Neue Standards für Corona-Impfung: STIKO veröffentlicht Empfehlungen für den Impfplan 2023

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

26. April 2023

Für gesunde Menschen reicht eine Basis-Immunität aus, die Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche ist passé, und für Risikopatienten und Ältere sind jährliche Booster-Impfungen vorgesehen: Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat am 25. April 2023 ihre Empfehlungen für die COVID-19-Impfung in das Stellungnahmeverfahren gegeben [1].

Die Beschlüsse sollen in den Impfplan 2023 implementiert werden und lösen damit die bisherigen, mehrfach aktualisierten Impfempfehlungen zu COVID-19 ab. In einem Press Briefing des Science Media Centers haben Experten die STIKO-Empfehlungen vorgestellt [2].

Dr. Martin Terhardt, Kinder- und Jugendarzt in Berlin und Mitglied der STIKO, fasste die Empfehlungen in 3 Hauptpunkten zusammen:

  • Alle gesunden Menschen zwischen 18 und 59 Jahren sollen über eine Basis-Immunität verfügen; Basis-Immunität heißt: 3 immunologische Ereignisse, davon mindestens 2 Impfungen, das 3. immunologische Ereignis kann eine Infektion sein. Im Idealfall setzt sich die Basis-Immunität aus 2 Impfungen und 1 Auffrischimpfung zusammen.

  • Allen Menschen mit chronischen Erkrankungen, deren Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf erhöht ist, empfiehlt die STIKO zusätzlich zur Basis-Immunität eine regelmäßige, zunächst jährliche Auffrischungsimpfung mit bivalenten Impfstoffen. In diese Gruppe fallen chronisch kranke Menschen ab 6 Monaten bis ins hohe Alter, alle über 60-Jährigen auch ohne chronische Erkrankungen, alle Bewohner von Alten- oder Pflegeheimen und alle Menschen, die im Gesundheitssystem oder in der Pflege arbeiten.

Für gesunde Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre gibt es keine Impfempfehlung mehr.

Immunsupprimierte Patienten: Jeden Fall individuell betrachten

Für immungeschädigte Menschen gelten Sonderregelungen, die man nicht so gut in eine allgemeine Impfempfehlung packen kann, sagte Terhardt. Bei Patienten mit Immunsuppression handele es sich um keine einheitliche Gruppe. Vielmehr handele es sich um eine „Vielzahl unterschiedlicher Erkrankungen, die unterschiedliche Komponenten des Immunsystems betreffen können“, erklärte Prof. Dr. Christian Bogdan, Direktor des Mikrobiologischen Instituts am Universitätsklinikum Erlangen und Mitglied der STIKO.

 
Klar ist – für diese Patientengruppe [immunsupprimierte Patienten] ist eine Standard-Empfehlung nicht möglich, ein ‚One size fits all‘ funktioniert hier nicht. Prof. Dr. Christian Bogdan
 

Die Empfehlung laute deshalb, dass man jeden Einzelfall individuell betrachten müsse im Hinblick auf das Ansprechen der Standard-Impfempfehlung. „Jeder immunsupprimierte Patient sollte zunächst die Basis-Immunität erhalten. In Abhängigkeit von der Erkrankung muss dann geprüft werden, ob sich ein ausreichender Impfschutz aufgebaut hat“, so Bogdan.

Sei das nicht der Fall, seien weitere Impfungen indiziert, möglicherweise auch mit reduzierten Impfabständen, möglicherweise mit Wechseln zwischen den Impfstoffen oder auch mit doppelter Impfdosis. „Klar ist – für diese Patientengruppe ist eine Standard-Empfehlung nicht möglich, ein ‚One size fits all‘ funktioniert hier nicht“, sagte Bogan.

Keine Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche

Die bisherige Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche entfällt. „Es gibt dabei aber den Zusatz: ‚Die STIKO sieht kein erhöhtes Risiko durch die Impfung‘“, erinnerte Prof. Dr. Carsten Watzl, Leiter des Forschungsbereichs Immunologie und wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts.

 
Das Post-Vac-Syndrom ist eine Impfkomplikation, die wir absolut ernst nehmen. Prof. Dr. Christian Bogdan
 

Dieser Zusatz sei sehr wichtig, „denn manchmal wird aus einer fehlenden STIKO-Empfehlung abgeleitet, dass man nicht impfen dürfe, weil das vielleicht zu gefährlich sei.“ Der Zusatz stelle das noch mal klar. „Das Risiko der Impfung ist bei den unter 18-Jährigen extrem gering, das Risiko einer Infektion aber ebenso.“ Eine eindeutige Kosten-Nutzen-Rechnung für eine Seite sei insofern nicht gegeben – „deshalb gibt es keine STIKO-Empfehlung, aber auch keine klare Aussage, dass man die Kinder nicht impfen soll“, erklärt Watzl.

Abstände von 12 Monaten: Effekt der Überimpfung ist nicht zu befürchten

Der Impfabstand für die Auffrischimpfung (≥ 12 Monate) resultiere „primär aus dem Umstand, dass wir im Moment zur effektiven Schutzdauer verlässlich nur 12 Monate angeben können“, so Bogdan. Es könne durchaus sein, dass man in Zukunft von 24 oder 36 Monaten reden könne – „das wird sicherlich davon abhängen, wie sich das Virus und die Krankheitsepidemiologie entwickeln.“

Werden bei der jährlichen Auffrischung die Abstände von 12 Monaten eingehalten, gebe es keinen Effekt des „Überimpfens“, bestätigte Watzl. „Immunologisch kann man zeigen, dass die Immunreaktion dazu führt, dass man nach der Impfung besser geschützt ist als vor der Impfung“, sagte Watzl. Das Immunsystem sei in der Lage, regelmäßig auf den gleichen Erreger zu reagieren, gerade bei diesen langen Abständen.

Debatte um Post-Vac-Syndrom hat die Entscheidung nicht beeinflusst

Die Debatte um das Post-Vac-Syndrom habe die Entscheidung der STIKO nicht beeinflusst, stellte Bogdan klar. „Die Veränderung der Immunitätslage und die Entwicklung des Virus hin zu einer zwar infektiöseren, aber nicht kränker machenden Variante hat dazu geführt, dass wir die Situation neu bewerten und jetzt eine Standard-Empfehlung herausgeben konnten“, erklärte Bogdan.

Es sei „völlig klar und unbestritten“, dass es bei Menschen nach einer Impfung zu einer Impfreaktion kommen kann, die nicht mehr als normal eingeschätzt werden könne. „Das heißt, dass es entweder zu einer Impfkomplikation oder im Extremfall auch zu einer schädigenden Wirkung kommt, die dauerhaft anhält.“ Solche Ereignisse hingen „gar nicht so sehr vom jeweiligen Impfstoff ab, sondern von der Funktionsweise unseres Immunsystems“, erklärte Bogdan.

 
Es wird Menschen geben, bei denen die Impfung tatsächlich kausal zu einem Problem geführt hat, es wird aber Menschen geben, bei denen das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Prof. Dr. Christian Bogdan
 

Auch Infektionen könnten im Einzelfall dazu führen, dass über die eigentliche klassische Symptomatik hinaus immunologische Phänomene aufträten, dass z.B. Antikörper sich dann gegen die eigenen Körperstrukturen richteten. „Unter einer Impfung tritt das ungleich seltener auf als unter einer Infektion“, sagte Bogdan.

Das liege daran, dass bei einer Infektion die Menge an Antigenen um ein Vielfaches höher sei als die Menge an Antigenen, mit der man durch eine Impfung konfrontiert werde. Hinzu komme, dass bei einer Impfung in den allermeisten Fällen kein vermehrungsfähiges Virus eingebracht werde, es handele sich größtenteils um Totimpfstoffe.

„Das Post-Vac-Syndrom ist eine Impfkomplikation, die wir absolut ernst nehmen“, betonte Bogdan. In Anbetracht des Zeitraumes und des Umfangs der Impfungen – seit Januar 2021 bis Frühjahr 2023 wurden 200 Millionen Impfdosen verimpft – sei es aber „unvermeidbar gewesen, dass eine Impfung zeitlich mit dem Auftreten eines klinischen Beschwerdebildes zusammenfällt“, betonte Bogdan.

Ob ein kausaler Zusammenhang mit der Impfung bestehe, werde umfangreich untersucht: „Es wird Menschen geben, bei denen die Impfung tatsächlich kausal zu einem Problem geführt hat, es wird aber Menschen geben, bei denen das eine mit dem anderen nichts zu tun hat“, sagte Bogdan.

Schutz der Impfung vor Long-COVID ist „suboptimal“

Neugeborene haben für die ersten 3 bis 6 Monate einen Nestschutz gegen SARS-CoV-2. Ab 6 Monaten ist das Risiko von gesunden Kindern, schwer zu erkranken, sehr gering, ihr unspezifisches Immunsystem werde in aller Regel gut mit dem Erreger fertig.

Anders ist die Situation, wenn die Kinder nicht gesund sind, betonte Terhardt: „Kinder mit Herzfehlern, angeborenen Lungenerkrankungen, Stoffwechselerkrankungen – all das sind Risiken, die dazu führen sollten, dass diese Kinder geimpft werden. Wenn das Kind allerdings nicht in eine Risikogruppe gehört, würde ich im Moment nicht mehr zur Impfung raten“, so Terhardt.

Im Hinblick auf das Long-COVID-Risiko für Kinder und Jugendliche wies Terhardt darauf hin, dass aufgrund der hohen Basis-Immunität in der Bevölkerung auch das Long-COVID-Risiko gesunken sei. „Schon zuvor war das Long-COVID-Risiko für Erwachsene höher als für Kinder und Jugendliche“, sagte Terhardt. Erste Daten zeigten, dass die Impfung auch das Long-COVID-Risiko in einem geringen Maße senken könne: „Aber generell ist die Situation nicht mehr so, dass das ein Grund wäre, die Impfung in dieser Altersgruppe deswegen zu empfehlen“.

 
Der Schutz der Impfung vor Long-COVID ist suboptimal. Prof. Dr. Carsten Watzl
 

Auch Watzl wies daraufhin, dass die Impfung zwar das Risiko für Long-COVID reduziere, es aber nicht auf null setze. „Und weil wir wissen, dass die Impfung nicht dauerhaft vor der reinen Infektion schützen und auch eine leichte oder asymptomatische Infektion zu Long-COVID führen kann, ist der Schutz der Impfung vor Long-COVID suboptimal.“

Noch nicht sagen lässt sich, ob die Impfung in Zukunft selbst bezahlt werden muss, wenn keine STIKO-Empfehlung dazu vorliegt. „Es kann sein, dass die Impfung in solchen Fällen dann kostenpflichtig wird, das wird der Gemeinsame Bundesausschuss G-BA entscheiden“, sagte Terhardt.

PIMS spielt seit Omikron keine gravierende Rolle mehr

Das Risiko für Kinder, an PIMS (Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome) zu erkranken, hat sich seit dem Auftreten der Omikron-Varianten deutlich minimiert, bestätigte Terhardt. Weil PIMS deshalb „keine gravierende Rolle“ mehr spiele, stellt die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) ihr PIMS-Monitoring Ende April 2023 ein.

Einen Impfstoff, der sowohl vor Influenza als auch vor COVID-19 schützt, gibt es noch nicht. Laut Terhardt sind solche Kombi-Impfstoffe in der Entwicklung, aber noch nicht zulassungsreif. Ebenfalls in der Entwicklung sind verschiedene nasale Impfstoffe. Ihr Vorteil wäre „eine gute lokale Immunantwort, ein lokales Immungedächtnis und eine mukosale Immunität“, erklärte Watzl. Die Frage sei, ob sich damit ein länger anhaltender Schutz auch vor der Infektion erreichen ließe. „In diesem Bereich tut sich jedenfalls sehr viel.“

Bogdan erinnerte daran, dass SARS-CoV2 trotz der positiven Entwicklung „nicht verschwunden ist. Nach wie vor erkranken Menschen schwer an der Infektion und sterben daran. Es gibt auch immer noch Menschen, die weder geimpft sind noch eine Infektion durchgemacht haben. Diese Menschen können sehr, sehr schwer erkranken – auch durch Omikron“, stellte Bogdan klar. Und fügte hinzu: „Jeder, der immunologisch noch naiv ist, sollte sich deshalb dringend impfen lassen.“ Das Virus, so Bogdan, „wird uns begleiten.“

Die Beschlüsse werden jetzt im Stellungnahmeverfahren von den Bundesländern und den Fachgesellschaften geprüft, Änderungsvorschläge können unterbreitet werden. Im Anschluss an das Verfahren wird dann die endgültige Empfehlung der STIKO veröffentlicht.

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