Mannheim – An Bluthochdruck leidet jeder 3. Bundesbürger, ab einem Alter von 65 Jahren weist sogar jeder 2. eine arterielle Hypertonie auf. Dass auch der ältere Patient von einer konsequenten Hochdrucktherapie profitiert, hob Prof. Dr. Joachim Weil, Chefarzt der Klinik für Kardiologie und Angiologie an den Sana Kliniken Lübeck, auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) in Mannheim hervor [1].
„Liegt der Blutdruck über 160 mm/Hg, ist das ein zusätzliches Risiko dafür, eine Demenz zu entwickeln“, erinnerte Weil und wies auf die Ergebnisse einer Studie hin, in der die Daten von über 800.000 Koreanern im Alter von 66 Jahren analysiert worden waren. Die Analyse ergab, dass das Risiko für Alzheimer-Demenz und für vaskuläre Demenz ab einem systolischen Blutdruck von ≥ 160 bzw. 130 bis 139 mmHg stieg. Ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Demenzinzidenz und einem niedrigen Blutdruck wurde hingegen nicht beobachtet. „Unabhängig von ihrer körperlichen Gebrechlichkeit sollte der Blutdruck bei jungen älteren Menschen deshalb streng kontrolliert werden, um Demenzerkrankungen vorzubeugen“, betonte Weil.
Risiko für Schlaganfälle und Herzversagen deutlich reduziert
Eine der wichtigsten Studien, die einen Benefit der Hochdrucktherapie gerade bei Älteren zeigt, ist die HYVET-Studie. Eingeschlossen waren 3.845 Patienten (ab 80 Jahren) mit einem Blutdruck von ab 160 mmHg, die entweder auf das Diuretikum Indapamid oder auf Placebo randomisiert wurden. Der Zielblutdruck war 150/80 mmHg. Um diesen zu erreichen, wurde in der Interventionsgruppe noch der ACE-Hemmer Perindopril und in der Placebogruppe ein weiteres Placebo verabreicht. Nach 2 Jahren war der mittlere Blutdruck in der Interventionsgruppe um 15,0/6,1 mmHg niedriger als in der Placebogruppe.
In der Intention-to-Treat-Analyse war die Intervention verbunden mit:
einer 30%igen Verringerung der Rate an tödlichen oder nicht-tödlichen Schlaganfällen verbunden,
einer 21%igen Reduktion von Tod aus jeglicher Ursache,
einer 23%igen Verringerung der Sterberate aus kardiovaskulären Ursachen und
einer 64%igen Verringerung der Rate an Herzversagen.
In der Interventionsgruppe wurden weniger schwerwiegende unerwünschte Ereignisse gemeldet (358 gegenüber 448 in der Placebogruppe; p°=°0,001). „Die Ergebnisse belegen, dass eine blutdrucksenkende Behandlung mit Indapamid mit oder ohne Perindopril, bei Personen ab 80 Jahren von Vorteil ist“, erklärte Weil.
Benefit ist eindeutig, doch die Behandlungsrealität sieht häufig anders aus
Auch die Daten der STEP Study Group aus China deuten auf einen Benefit hin, wenngleich die Probanden (n°=°8.511) mit einem Alter zwischen 60 und 80 Jahren deutlich jünger waren. In STEP wurden die Patienten mit Bluthochdruck auf ein systolisches Blutdruckziel von 110 bis unter 130°mmHg (Intensivbehandlung, n°=°4243) oder auf ein Ziel von 130 bis unter 150°mmHg (Standardbehandlung, n°=°4268) randomisiert.
Primärer Endpunkt war eine Kombination aus Schlaganfall, akutem Koronarsyndrom, akuter dekompensierter Herzinsuffizienz, koronarer Revaskularisation, Vorhofflimmern oder Tod aufgrund kardiovaskulärer Ursachen.
Nach 1 Jahr lag der mittlere systolische Blutdruck in der Intensivgruppe bei 127,5°mmHg und in der Standardgruppe bei 135,3°mmHg. Während einer medianen Nachbeobachtungszeit von 3,34 Jahren traten bei 147 Patienten (3,5%) in der Intensivgruppe Ereignisse mit primärem Ausgang auf, verglichen mit 196 Patienten (4,6%) unter Standardbehandlung (Hazard Ratio [HR] 0,74; p°=°0,007). Bei älteren Hockdruck-Patienten führte die Intensivbehandlung zu einer geringeren Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse als die Standardbehandlung. „Das spricht dafür, dass auch die älteren Patienten von einer intensivierten blutdrucksenkenden Therapie profitieren“, sagte Weil.
Leider sehe die Behandlungsrealität anders aus. Zwar gebe es keine Daten aus Deutschland. Daten aus dem American Journal of Hypertension an über 19.000 Patienten zeigen aber für Australien und die USA, dass es einen Anteil von 30% Patienten gibt, die an Bluthochdruck leiden und unbehandelt sind. Von den behandelten Teilnehmern wiederum wiesen 53% einen Blutdruck von ≥°140/90 mmHg auf. „Da haben wir sicherlich ein gewisses Defizit“, sagte Weil.
Für eine konsequente Blutdruckkontrolle des älteren Patienten empfiehlt Weil:
eine individualisierte Therapie (biologisches Alter, Begleiterkrankungen berücksichtigen),
Therapiebeginn abhängig von funktionellem und kognitivem Status,
eine geriatrische Evaluation sollte erfolgen,
Risiko und Nutzen abwägen,
Polypharmazie berücksichtigen,
geeignete Substanzklassen,
niedrig dosierte Einfachtherapie,
regelmäßige Kontrollen des Therapieverlaufs,
andere blutdrucksenkende Faktoren identifizieren.
HFpEF im Kontext des physiologischen Alterns betrachten
Prof. Dr. Christoph Birner, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I am Klinikum St. Marien Amberg, warb dafür, ältere Patienten mit diastolischer Herzinsuffizienz nicht nur medikamentös zu therapieren. Bei den über 80-Jährigen liegt die Prävalenz der Herzinsuffizienz bei 10%. „Je älter die Patienten werden, desto größer wird der Anteil an HFpEF, also an diastolischer Herzinsuffizienz, am Gesamtkollektiv. Damit haben wir eine enorme Krankheitslast und einen erheblichen therapeutischen Bedarf. Ehrlicherweise ist das ein Bedarf, den wir nicht stillen können“, sagte Birner. Denn die Studien zu medikamentösen Therapien bei Herzinsuffizienz waren – bis auf die eher hoffnungsvollen SGLT2-Inhibitor-Studien – „allesamt enttäuschend“.
Als charakteristisch für die HFpEF (Herzinsuffizienz mit erhaltender Ejektionsfraktion) nannte Birner folgende Auffälligkeiten:
strukturelle und funktionelle Veränderungen des linken Ventrikels,
linksventrikuläre Hypertrophie,
diastolische Dysfunktion,
Vorhofvergrößerung,
Fibrose.
„Das Ganze wird flankiert von molekularen Veränderungen. Aber im Lauf des Alterungsprozesses treten die gleichen Veränderungen am Herzen auf“, erklärte Birner und warb dafür, die HFpEF deshalb im „Kontext des physiologischen Alterns“ zu sehen. So betrachtet sei die HFpEF keine alleinstehende kardiologische Erkrankung mehr, sondern eine „kardiale Facette eines übergeordneten geriatrischen, von Komorbiditäten gekennzeichneten Krankheitsbildes“, sagte Birner.
Kardinalsymptom: Verminderte körperliche Belastbarkeit
Das Kardinalsymptom der HFpEF sei die verminderte körperliche Belastbarkeit. Über die maximale Sauerstoff-Aufnahme-Kapazität (VO2max) ist die körperliche Belastbarkeit mittels Ergospirometrie messbar. Charakteristisch für HFpEF-Patienten ist die – verglichen mit altersgematchten gesunden Probanden – signifikant geringere maximale Sauerstoff-Aufnahme. Das hat erhebliche funktionelle Konsequenzen: Alltägliche Verrichtungen wie Staubsaugen oder langsames Spazierengehen finden schon oberhalb der anaeroben Schwelle statt. Entsprechend ist eine reduzierte VO2max mit einer deutlichen verringerten Lebensqualität und schlechteren Überlebenswahrscheinlichkeit assoziiert.
Birner berichtete von einer Studie aus 2018, in der der Weg des Sauerstoffwechsels bei HFpEF nachverfolgt wurde. Die Studienautoren fanden heraus, dass die körperliche Leistungsfähigkeit durch mehrere Defekte beeinträchtigt wird, darunter eine Verringerung des Herzzeitvolumens und der Diffusionskapazität der Skelettmuskulatur.
Die Studie habe gezeigt, dass das Herzzeitvolumen bei HFpEF aber nur einen marginalen Anteil (7%) an der reduzierten körperlichen Belastbarkeit hat, ein deutlich größerer Anteil (27%) war bedingt durch eine defiziente Skelettmuskulatur.
Was kann ein spezifisches Bewegungstraining leisten?
„Es ist wenig sinnvoll, bei Herzinsuffizenz nur isoliert die kardiale Störung im Blick zu haben“, sagte Birner. Man müsse mehrere Parameter optimieren, z.B. die Sauerstoffbereitstellung, den Hämoglobin-Wert, die alveoläre Ventilation, die Diffusionskapazität in der Lunge. Körperliches Training könnte verschiedene dieser Parameter positiv beeinflussen, denn Studien zum Bewegungstraining bei Älteren zeigten durchweg eine Erhöhung der VO2max. Überwiegend wurden Ausdauer, schnelles Gehen, Fahrradfahren und Widerstandstraining trainiert.
Die REHAB-HF-Studie zeigte, dass ein Training auch mit gebrechlichen älteren Patienten möglich ist. Eingeschlossen wurden 349 Patienten, die mit akuter dekompensierter Herzinsuffizienz ins Krankenhaus gekommen waren. 97% der Patienten waren gebrechlich, im Schnitt litten die Patienten an 5 Begleiterkrankungen.
Die Patienten wurden auf 2 Gruppen randomisiert: Interventionsgruppe (n°=°175; Alter 73,1°±°8,5) und Kontrollgruppe (n°=°174; 72,2°±°7,7). Die Interventionsgruppe bekam ein körperliches Training, angepasst progressiv über mehrere Monate mit dem Ziel, die körperliche Ausdauer zu steigern.
Der Mittelwert der Short Physical Performance Battery lag nach 3 Monaten bei 8,3°±°0,2 in der Interventionsgruppe und 6,9°±°0,2 in der Kontrollgruppe. Nach 6 Monaten lagen die Raten für eine erneute Hospitalisierung bei 1,18 in der Interventionsgruppe und bei 1,28 in der Kontrollgruppe. In der Interventionsgruppe gab es 21 Todesfälle (15 aus kardiovaskulären Gründen) und in der Kontrollgruppe 16 Todesfälle (8 aus kardiovaskulären Gründen).
„Das Training war effektiv; je mehr Interventionen die Patienten hatten, desto größer der Anteil der Patienten mit der stärksten körperlichen Belastbarkeit – das waren diejenigen, die über 20 Minuten am Stück gehen konnten.“ Neben der Möglichkeit, über spezielles Ausdauertraining die Sauerstoffaufnahme zu erhöhen, führt auch eine Kalorienrestriktion zur Erhöhung der maximalen Sauerstoffaufnahme, erklärte Birner.
SGLT2-Hemmer hätten bei der HFpEF zurecht einen hohen Stellenwert. „Betrachtet man HFpEF aber aus der Perspektive der körperlichen Belastbarkeit heraus, dann versagen auch die SGLT2-Hemmer. Birner wies darauf hin, dass auch SGLT2-Hemmer nicht zu einer relevanten Zunahme der VO2max führten und Empagliflozin nicht zu einer besseren Leistung beim 6-Minuten-Gehtest. „Wir sollten unsere HFpEF-Patienten nicht nur medikamentös behandeln, sondern vielleicht zuallererst mit speziellem Bewegungstraining“, sagte Birner.
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Credits:
Photographer: © Alexander Raths
Lead image: Dreamstime.com
Medscape © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Hypertonie und Herzinsuffizienz: Tipps für Ihre älteren Patienten – Herzprobleme im Kontext des Alterungsprozesses behandeln - Medscape - 24. Apr 2023.
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