Im Onko-Blog dieser Woche berichten wir über einige interessante Studien, die bei der Jahrestagung der American Association for Cancer Research (AACR) vom 14. bis 19. April 2023 in Orlando und online vorgestellt worden sind.
Erste Ergebnisse von Phase-3-Studien bei Lungen-, Leber- und Gallenwegskarzinom zeigen weitere Einsatzmöglichkeiten von Immuntherapeutika. Vielversprechende Daten zu einem personalisierten Impfstoff für das Melanom lassen hoffen, dass die Entwicklungen in diesem Bereich möglicherweise in absehbarer Zeit den erwünschen Erfolg haben werden. Eine amerikanische Arbeitsgruppe spricht sich für ein breit eingesetztes Screening mit Whole Exome Sequencing aus, um durch Mutationen gefährdete Personen rechtzeitig zu erkennen.
Lungenkrebs: Perioperatives Durvalumab plus neoadjuvante Chemotherapie
Hochrisiko-Leberkrebs: Adjuvantes Atezolizumab plus Bevacizumab bessert RFS
Gallenwegskarzinom: Pembrolizumab/Gemcitabin/Cisplatin besser als Gemcitabin/Cisplatin
Melanom: Personalisierter Impfstoff plus Pembrolizumab
Endometriumkarzinom: Deep-Learning-Vorhersagemodell für Fernmetastasen-Risiko
Krebs-Prädisposition: Breit eingesetzte Exom-Sequenzierung identifiziert gefährdete Personen zuverlässig
Lungenkrebs: Perioperatives Durvalumab plus neoadjuvante Chemotherapie
Perioperatives Durvalumab und eine neoadjuvante, platinbasierte Chemotherapie besserten bei Patienten mit resezierbarem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC) das pathologische vollständige Ansprechen (pCR) und das ereignisfreie Überleben (EFS) signifikant im Vergleich zu Placebo plus Chemotherapie, so die Ergebnisse der 1. Zwischenanalyse der Phase-3-Studie AEGEAN (Abstract CT005).
Aktuelle Studien haben den klinischen Nutzen von PD-(L)1-Inhibitoren in der neoadjuvanten und adjuvanten Behandlung von resezierbaren Lungentumoren gezeigt. Um den Nutzen eines perioperativen Regimes zu untersuchen, erhielten in der internationalen, doppelblinden, randomisierten Phase-3-Studie AEGEAN 802 Patienten mit resezierbarem NSCLC (Stadium IIA-IIIB) und ohne EGFR/ALK-Mutationen neoadjuvant Durvalumab plus eine Platin-basierte Chemotherapie oder neoadjuvant Placebo plus eine Platin-basierte Chemotherapie in 4 Zyklen alle 3 Wochen. Nach der Operation folgten Durvalumab oder Placebo alle 4 Wochen für bis zu 12 Zyklen.
Primäre Endpunkte waren die pathologische komplette Remission (pCR) und das ereignisfreie Überleben (EFS). Beim AACR-Kongress wurden die Ergebnisse der 1. vorgeplanten Interimsanalyse nach einem medianen Follow-up von 11,7 Monaten vorgestellt. Das mediane EFS war mit Durvalumab noch nicht erreicht; unter Placebo betrug es 25,9 Monate (stratifizierte HR 0,68; p=0,0039). Die 12- und 24-Monats-EFS-Raten mit Durvalumab betrugen 73,4% bzw. 63,3% versus 64,5% und 52,4% mit Placebo.
Auch das pathologische komplette Ansprechen war mit Durvalumab plus Chemotherapie besser mit 17,2% versus 4,3%.
Die Kombinationsbehandlung ging mit den bislang bekannten Nebenwirkungen einher.
Hochrisiko-Leberkrebs: Adjuvantes Atezolizumab plus Bevacizumab bessert RFS
Die adjuvante Therapie mit Atezolizumab plus Bevacizumab führte bei Patienten nach Operation eines Hochrisiko-Leberkarzinoms zu einer signifikanten und klinisch bedeutsamen Verbesserung des rezidivfreien Überlebens (RFS) im Vergleich zu aktiver Überwachung. Dies ergab eine vordefinierte Interimsanalyse der offenen randomisierten Phase-3-Studie IMbrave050 (Abstract CT003).
Derzeit gibt es keine Standardtherapie im adjuvanten Setting bei einem hepatozellulären Karzinom nach Resektion oder Ablation mit kurativer Intention. Das Rezidivrisiko ist jedoch hoch; die 5-Jahres-Rezidivrate liegt bei 63% und ist bei Hoch-Risiko-Patienten z. B. mit großen Tumoren, multiplen Tumoren, schlechter Tumordifferenzierung oder vaskulärer Invasion noch höher.
In der IMbrave050-Studie erhielten Patienten mit Leberkrebs und mit hohem Rezidivrisiko randomisiert 4 bis 12 Wochen nach der Operation Atezolizumab 1.200 mg plus Bevacizumab 15 mg/kg alle 3 Wochen (n=334) oder wurden aktiv überwacht (n=334). Die Behandlung dauerte bis zum Rezidiv oder bis zum Auftreten inakzeptabler Nebenwirkungen.
Primärer Endpunkt war das Rezidiv-freie Überleben (RFS), zu den sekundären Endpunkten gehörten die Zeit bis zum Rezidiv und das Gesamtüberleben (OS). Die demographischen Parameter der beiden Gruppen waren vergleichbar.
Die vordefinierte 1. Interimsanalyse ergab, dass das RFS durch die Kombinationstherapie im Vergleich zur aktiven Überwachung signifikant verbessert wurde. In beiden Gruppen ist der mediane Wert nach einem Follow-up von 17,4 Monaten im Median noch nicht erreicht; die HR betrug 0,72 mit einem p-Wert von 0,012. Nach 12 Monaten war bei 78% unter der Kombination und bei 65% in der Vergleichsgruppe noch kein Rezidiv aufgetreten.
Die Daten zum Gesamtüberleben sind noch nicht reif. Patienten der Überwachungsgruppe konnten in die Therapiegruppe wechseln, falls ein Rezidiv auftrat oder falls eine 2. Operation erforderlich war. Diesen Wechsel vollzogen 61%.
Es wurden keine neuen, bislang nicht bekannten Nebenwirkungen beobachtet.
„Atezolizumab plus Bevacizumab könnte eine praxisverändernde adjuvante Behandlungsoption für Patienten mit Hochrisiko-HCC sein, die die klinischen Indikationen für eine chirurgische Resektion ändern könnte“, so die Schlussfolgerung der Autoren.
Gallenwegskarzinom: Pembrolizumab/Gemcitabin/Cisplatin besser als Gemcitabin/Cisplatin
Die zusätzliche Gabe des PD1-Inhibitors Pembrolizumab zu Gemcitabin und Cisplatin verlängerte bei Patienten mit nicht vorbehandeltem fortgeschrittenen Gallenwegskarzinom das Gesamtüberleben signifikant im Vergleich zu Behandlung mit Gemcitabin und Cisplatin. Dies zeigte eine Interimsanalyse der Phase-3-Studie KEYNOTE-966 (Abstract CT008). Damit bietet sich nach Meinung der Autoren die Dreierkombi als neue Therapieoption bei Patienten mit nicht vorbehandeltem fortgeschrittenen Gallenwegskarzinom an.
Die Kombination aus Gemcitabin/Cisplatin hat sich in den letzten 10 Jahren als Standardtherapie bei fortgeschrittenen Gallenwegskarzinomen etabliert. Immuncheckpoint-Inhibitoren allein erwiesen sich in Studien jedoch als wenig wirksam. Weil Gemcitabin plus Cisplatin eine Immunantwort auf Krebszellen fördern können, wurde der Effekt der Dreifachkombination in der Phase-3-Studie KEYNOTE 966 untersucht. Ergebnisse sind parallel in The Lancet erschienen.
Geeignete Teilnehmer erhielten randomisiert Pembrolizumab 200 mg (n=533) oder Placebo (n=536) alle 3 Wochen (maximal 35 Zyklen) intravenös jeweils in Kombination mit Gemcitabin (keine maximale Dauer) und Cisplatin (maximal 8 Zyklen).
Nach einem medianen Follow-up von 25,6 Monaten betrug das mediane Gesamtüberleben (OS) in der Pembrolizumab-Gruppe 12,7 Monate, in der Vergleichsgruppe 10,9 Monate (HR 0,83, p = 0,0034).
Das progressionsfreie Überleben (80% vs. 84%) und die Ansprechraten (29 vs. 28%) unterschieden sich zwischen beiden Gruppen nicht; in der Pembrolizumab-Gruppe hielt das Ansprechen jedoch länger an (8,3 Monate vs. 6,8 Monate).
Neue, bislang nicht bekannte Nebenwirkungen traten nicht auf.
Melanom: Personalisierter Impfstoff plus Pembrolizumab
Der personalisierte mRNA-basierte Impfstoff mRNA-4157 (V940) besserte in Kombination mit Pembrolizumab als adjuvante Therapie das rezidivfreie Überleben (RFS) von Patienten mit reseziertem Hochrisiko-Melanom im Vergleich zu Pembrolizumab allein. Der Effekt war unabhängig von der Mutationslast des Tumors. Dies ergab die offene, randomisierte Phase-2-Studie mRNA-4157-P201/KEYNOTE-942 (Abstracts CT001, CT224).
Der personalisierte mRNA-4157-Impfstoff wird auf der Basis einer DNA- und RNA-Sequenzierung von Tumorgewebe des Patienten hergestellt und enthält bis zu 34 Tumor-spezifische Neoantigene.
In der offenen Phase-2-Studie erhielten die Patienten 2:1 randomisiert 9-mal 1 mg Impfstoff i.m. alle 3 Wochen plus bis zu 18-mal 200 mg Pembrolizumab i.v. alle 3 Wochen (n=107) oder Pembrolizumab allein (n=50). Primärer Endpunkt war das rezidivfreie Überleben (RFS).
Nach einem medianen Follow-up von fast 2 Jahren war der primäre Endpunkt in der Kombi-Gruppe signifikant besser als in der Vergleichsgruppe (Hazard Ratio 0,561, p=0,0266). Das 18-Monats-RFS betrug 78,6% mit dem Impfstoff und 62,2% mit Pembrolizumab allein.
Zum 1. Mal konnte damit in einer randomisierten Studie gezeigt werden, dass ein mRNA-Neoantigen-Impfstoff den Effekt einer PD1-Inhibition verstärken kann, ohne dass die Häufigkeit von Nebenwirkungen stark zunimmt.
Nach Aussage des Autors in der Kongress-Pressekonferenz könnte dieser Ansatz bei vielen anderen Tumoren auch funktionieren.
Eine Einschränkung sieht er darin, dass für die Herstellung des Impfstoffs ausreichende Mengen an Tumorgewebe erforderlich sind, die bei Erkrankungen im Frühstadium möglicherweise nicht vorliegen.
Aufgrund der ermutigenden Daten dieser Studien wird voraussichtlich in den nächsten Monaten eine Phase-3-Studie beginnen.
Endometriumkarzinom: Deep-Learning-Vorhersagemodell für Fernmetastasen
Mit Hilfe des Deep-Learning-Modells HECTOR lassen sich Patienten mit Endometrium-Karzinom identifizieren, die ein hohes oder ein geringes Risiko für die Entstehung von Fernmetastasen haben. Das von einer internationalen Arbeitsgruppe entwickelte Modell verwendet nur 2 Daten der Patientinnen, nämlich die Färbung mit Hämatoxylin und Eosin (H&E) und das Stadium der Erkrankung (Abstract 5695).
Das Ausmaß des Risikos eines Fernrezidivs ist beim Endometriumkarzinom wichtig für die personalisierte adjuvante Therapie. Bei Auftreten eines Fernrezidiv überleben nur 10 bis 20% der Betroffenen 5 Jahre. Risikostratifizierung und Therapieempfehlungen basieren derzeit auf histopathologischen und molekularen Markern, was aber aufgrund der Variabilität zwischen den Untersuchern und den Testkosten eine Herausforderung darstellt.
HECTOR (Histopathology-based endometrial cancer tailored treatment and distant recurrence outcome risk prediction deep learning model) wurde mit Hilfe von H&E-Whole-Slide-Bildern (WSI) aus den randomisierten PORTEC-1/-2/-3-Studien und aus 3 klinischen Kohorten entwickelt und getestet. HECTOR kombiniert Informationen aus den H&E-basierten molekularen Klassen und dem Stadium der Erkrankung.
Beim Vergleich von HECTOR mit Cox-Modellen, in die Histotyp, Schweregrad, lymphovaskuläre Invasion und Stadium ohne oder mit molekularen Markern eingingen, erwies sich HECTOR als treffsicherer. Patientinnen, die nach HECTOR ein niedriges Risiko für ein Fernrezidiv aufwiesen, hatten eine 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit von 0,98, bei hohem Risiko betrug sie 0,58.
Nach Meinung der Autoren kann HECTOR in einen Standard-Arbeitsablauf gut integriert werden. Allerdings handelte es sich hier um eine retrospektive Studie. Eine große externe Validierung mit verschiedenen Patientenpopulationen steht noch aus.
Krebs-Prädisposition: Breit eingesetzte Exom-Sequenzierung identifiziert gefährdete Personen zuverlässig
Mit einer breiten Anwendung des Whole Exome Sequencing (WES) können Träger von Genen erkannt werden, die sie für Brust- und Ovarialkarzinom (HBOC) wie BRCA1 und BRCA2 oder ein Lynch-Syndrom (LS) wie MLH1, MSH2, MSH6, PMS2 und EPCAM prädisponieren. Die Erkennungsrate ist um etwa 40% höher, als wenn nur die durch derzeitige amerikanische Leitlinien für ein genetisches Screening qualifizierte Personen untersucht werden. Außerdem wird rund 1 Drittel der Personen, die nach den Leitlinien qualifiziert sind, gar nicht getestet.
Aus Ergebnissen einer Studie an 3 Mayo-Kliniken schließen die Autoren, dass ein hoher Bedarf für eine breites genetisches Screening besteht, um gefährdete Personen rechtzeitig zu erkennen (Abstract 5768). Diese können verstärkt Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen und sich prophylaktischen Eingriffen unterziehen.
Beim WES werden proteincodierende Bereiche (Exons) analysiert, die weniger als 2% des gesamten Genoms umfassen, aber mehr als 85% aller krankheitsrelevanten Varianten enthalten. Rasch sinkende Kosten und die einfache Umsetzung mit Hilfe von Speichelproben begünstigen einen breiten Einsatz.
Daher wird in der Tapestry-Studie bei Patienten in den Mayo-Kliniken in Minnesota, Arizona und Florida ein WES aus Speichelproben durchgeführt. Bislang sind 44.306 Patienten untersucht worden. Dabei wurden 550 Träger von HBOC- (n=387) und LS-Veränderungen (n=163) gefunden, was einer Prävalenz von 1,24% entspricht. Hiervon kannten 52,1% (49,1% HBOC, 59,3% LS) diesen genetischen Befund zuvor nicht.
Von den 550 Trägern wären 215 (39,2%) nach den Leitlinien der amerikanischen NCCN nicht genetisch getestet worden. Häufigste Ursachen hierfür waren z. B., dass es keine entsprechende Anamnese gab (63,3%) oder zu wenig Verwandte an Krebs erkrankt waren (60,5%) 34,2% der Personen, die die Auswahlkriterien der Leitlinien erfüllten, waren jedoch ebenfalls nicht getestet worden.
Prof. Dr. N. Jewel Samadder, Coautor der Studie, sprach sich in der Kongress-Pressekonferenz für einen breiten Einsatz des WES aus. Seiner Meinung nach sei dies bei einem Aufwand zwischen 300 und 500 US-Dollar auch kosteneffektiv. „Das ist es wert“, denn bei den Trägern der mutierten Gene trete die Erkrankung meist früh auf, und zwar bereits im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Man habe durch die Befunde im WES die Möglichkeit, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Für Betroffene mit LS könnten dies regelmäßige Koloskopien, Blut- und Urinuntersuchungen oder eine prophylaktische Hysterektomie sein. Bei HBOC-Veränderungen könnten vermehrt Untersuchungen der Brust und/oder prophylaktische Mastektomien oder Oophorektomien durchgeführt werden, sagte der Forscher.
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Credits:
Photographer: © Mr.phonlawat Chaicheevinlikit
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Diesen Artikel so zitieren: AACR-Jahrestagung 2023: Neue Therapien bei Melanomen sowie bei Lungen-, Leber- und Gallenwegskarzinomen - Medscape - 25. Apr 2023.
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