Long-COVID: Checklisten und Tipps, Ausmaß noch immer nicht bekannt; Impffortschritt und Übersterblichkeit

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

20. April 2023

Im Medscape-Corona-Newsblog finden Sie regelmäßig die aktuellen Trends zu Neuinfektionen und Belegung von Intensivstationen sowie eine Auswahl von klinisch relevanten Kurzmeldungen zur Pandemie.

Corona-Newsblog, Update vom 20. April 2023

Heute Morgen gibt das Robert Koch-Institut (RKI), Berlin, auf seinem Dashboard 14,4 Infektionen pro 100.000 Einwohner als 7-Tage-Inzidenz an. Am 19. April lag der Wert noch bei 15,1.

Unsere Themen heute:

  • 3 Jahre Pandemie: Ausmaß von Long-COVID noch immer nicht bekannt

  • Patienten mit Long-COVID: Checklisten und Diagnose-Tipps

  • Impfen senkt das Risiko für Long-COVID

  • Je langsamer der Impffortschritt, desto höher die Übersterblichkeit

3 Jahre Pandemie: Ausmaß von Long-COVID noch immer nicht bekannt

Wie verbreitet ist Long-COVID? Die WHO schätzt, dass zwischen 10% und 20% der mit COVID-19 infizierten Personen 3 Monate oder länger Symptome aufweisen. Der Household Pulse Survey des U.S. Census Bureau geht von knapp 11% aus und eine im Januar veröffentlichte Studie des Scripps Research Translational Institute in San Diego schätzt, dass mindestens 1 von 10 mit COVID-19 infizierten Amerikanern auch langfristig Symptome aufweist.

Einige Experten halten diese Schätzungen für eher konservativ, andere Experten halten sie für zu hoch und gehen von 5% aus. Ein Grund für diese Diskrepanz: Es gibt noch immer keine Standarddefinition für Long-COVID.

Laut WHO werden mehr als 200 Symptome mit Long-COVID in Verbindung gebracht. Sie definiert die Erkrankung als Fortbestehen oder die Entwicklung neuer Symptome 3 Monate nach einer Erstinfektion. Die Symptome dauern mindestens 2 Monate an und es gibt für sie keine andere Erklärung als Long-COVID. Auch dazu sind einige Experten der Ansicht, dass diese Parameter zu weit gefasst sind, während andere sie für zu eng halten.

Forscher, die sich mit Langzeitinfektionen nach COVID-19 befassen, vermuten, dass Long-COVID auf mehrere Ursachen zurückzuführen sein könnte – darunter Entzündungen, Autoimmunität und Immunstörungen. Sie hoffen, dass die Identifizierung von Biomarkern die Diagnose Long-COVID erleichtern wird. Noch gibt es für typische Long-COVID-Symptome wie Fatigue oder Brain Fog keine klaren Diagnosekriterien oder -instrumente.

„Ein großer Teil der Belastung durch Long-COVID bleibt derzeit unerkannt, weil Betroffene nicht wissen, wohin sie sich wenden können, wie sie Hilfe bekommen, oder wann es aufhört – also leiden sie still zu Hause“, sagt Dr. Sarah Wulf Hanson vom Institute for Health Metrics and Evaluation an der University of Washington.

Erschwerend kommt hinzu, dass Symptome wie Angststörungen oder Depressionen sowohl durch die Pandemie selbst, als auch durch eine persistierende COVID-19-Infektion oder durch bereits bestehende Symptome verursacht werden können.

Trotz des fehlenden Konsenses über die genaue Krankheitsdefinition nennen Gesundheitsbehörden weltweit Fatigue, Brain Fog, Gedächtnis- und Schlafprobleme, Kurzatmigkeit, Angst und Depression, Schwindel und Gelenk- oder Muskelschmerzen als häufigste Symptome. Long-COVID-Symptome können auch verschwinden und wieder auftreten, was die Erkrankung noch komplexer macht.

Viele der größten Studien über Long-COVID verwenden elektronische Gesundheitsdaten, die zwar wertvolle Ressourcen darstellen, aber auch Verzerrungen enthalten, z.B. haben manche Menschen in den USA kaum oder keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung. Ein weiteres großes Manko einiger Long-COVID-Studien ist das Fehlen einer Kontrollgruppe. Viele Studien basieren auf Umfragen mit Selbstauskünften – auch das ein Verfahren, das mit erheblichen Verzerrungen behaftet sein kann.

Eine Reihe von Studien zu Long-COVID setzt für eine bessere Methodik einen positiven Test auf COVID-19 voraus. Einige Forscher sind auch da vorsichtig, denn ein Test setze voraus, dass die Patienten den gleichen Zugang zu Tests haben – oder dass sie sich überhaupt testen lassen würden – was vor allem bei einem asymptomatischen Verlauf fraglich ist. „Und das ist keine kleine Zahl von Menschen“, sagt Lisa McCorkell, Mitbegründerin und Forscherin der Patient-Led Research Collaborative und Long-COVID-Patientin.

Da die Pandemie nun in ihr 4. Jahr geht, ist die Zahl der Menschen, die noch nie an COVID-19 erkrankt waren, drastisch gesunken. Das macht es schwieriger, überhaupt Probanden für eine gesunde Kontrollgruppe zu finden. Das unterstreicht die Notwendigkeit weiterer Forschung, um Biomarker zu finden, die Long-COVID eindeutig anzeigen können.

Patienten mit Long-COVID: Checklisten und DiagnoseTipps

So unklar das tatsächliche Ausmaß von Long-COVID ist, so schwierig ist die Diagnose: „Es gibt keinen klaren Algorithmus, um Long-COVID zu erkennen – es gibt keine eindeutigen Bluttests oder Biomarker oder bestimmte Dinge, auf die man bei einer körperlichen Untersuchung achten sollte“, sagt Dr. Lawrence Purpura, Spezialist für Infektionskrankheiten und Leiter der Klinik für Long-COVID am Columbia University Medical Center in New York City. „Es handelt sich um eine komplizierte Krankheit, die jedes Organsystem des Körpers betreffen kann.“

 

„Es gibt immer noch einen Mangel an Aufklärung darüber, was Long-COVID ist und welche Symptome damit verbunden sind“, sagt auch Lisa McCorkell. „Viele der Symptome, die bei Long-COVID auftreten, sind Symptome anderer chronischer Erkrankungen, wie z.B. chronischer Fatigue, die oft abgetan werden. Und selbst wenn die behandelnden Ärzte den Patienten glauben und sie zur Blutabnahme und zur Bildgebung schicken – viele kommen dann mit normalen Befunden zurück.“

 

Dennoch haben neue Forschungsergebnisse eine Art Checkliste ergeben. In einer im Dezember letzten Jahres in Nature Medicine veröffentlichten Arbeit wurden die Symptome zur Erleichterung der Diagnose in 4 Gruppen eingeteilt:

  • Herz- und Nierenprobleme wie Herzklopfen, Brustschmerzen und Nierenschäden

  • Angstzustände und Schlaflosigkeit

  • Muskel-Skelett-System und Nervensystem: Schmerzen, Osteoarthritis und Probleme mit geistigen Fähigkeiten

  • Verdauungs- und Atmungssystem: Atembeschwerden, Asthma, Magenschmerzen, Übelkeit und Erbrechen

Einige Ärzte weisen darauf hin, dass es bei Long-COVID diverse Symptome gibt, die immer wieder auftreten und auf die Hausärzte achten sollten:

  • Postexertionales Unwohlsein (PEM): Eine PEM ist etwas anderes als normale Müdigkeit. PEM ist die Verschlimmerung der Symptome nach körperlicher oder geistiger Anstrengung. Dies tritt in der Regel 1 oder 2 Tage nach der Aktivität auf, kann aber auch Tage und manchmal Wochen andauern.

  • Dysautonomie: Dies ist ein Oberbegriff für eine Störung des autonomen Nervensystems, das Blutdruck, Herzfrequenz und Atmung reguliert. Eine Dysautonomie kann zu Herzklopfen und orthostatischer Intoleranz führen.

  • Belastungsintoleranz: Eine 2022 in der Fachzeitschrift JAMA Network Open veröffentlichte Übersichtsarbeit analysierte 38 Studien über Long-COVID und körperliche Betätigung und stellte fest, dass es Patienten mit dieser Erkrankung sehr viel schwerer fällt, sich körperlich zu betätigen. Laut den Studienautoren war die körperliche Leistungsfähigkeit auf ein Niveau reduziert, das etwa 1 Jahrzehnt später im Leben zu erwarten wäre.

Eine von McCorkell mitverfasste Studie hat sich auf einige der häufigsten Symptome konzentriert:

  • Schmerzen in der Brust

  • Herzklopfen

  • Husten

  • Kurzatmigkeit

  • Schmerzen im Bauch

  • Übelkeit

  • Probleme mit geistigen Fähigkeiten

  • Müdigkeit

  • unruhiger Schlaf

  • Gedächtnisverlust

  • Klingeln in den Ohren (Tinnitus)

  • erektile Dysfunktion

  • unregelmäßige Menstruation

  • Verschlimmerung des prämenstruellen Syndroms

Impfen senkt das Risiko für Long-COVID

Eine der besten Möglichkeiten, das Long-COVID-Risiko zu senken, ist die Impfung. Eine 2022 in Antimicrobial Stewardship & Healthcare Epidemiology erschienene Studie zeigt, dass eine Impfung mit mindestens einer Dosis vor einem positiven COVID-Test das Risiko einer langwierigen COVID-Infektion um etwa 35% senkt. Ungeimpfte Personen, die sich von COVID erholten und dann geimpft wurden, verringerten ihr Long-COVID-Risiko um 27%.

 

Darüber hinaus ergab eine in JAMA Internal Medicine veröffentlichte Studie, dass Frauen, die sich mit COVID infiziert hatten, seltener an Long-COVID erkrankten und widerstandsfähiger waren, wenn sie einen gesunden Lebensstil pflegten:

  • gesundes Gewicht (ein BMI zwischen 18,5 und 24,7)

  • niemals Raucher

  • mäßiger Alkoholkonsum

  • eine hochwertige Ernährung

  • 7 bis 9 Stunden Schlaf pro Nacht

  • Mindestens 150 Minuten körperliche Betätigung pro Woche

McCorkell merkt aber an, dass sie selbst vor ihrer Infektion einen gesunden Lebensstil gepflegt hatte und dennoch an Long-COVID erkrankt ist. Ihrer Einschätzung nach zeigt das, dass diese Ansätze eben nicht bei jedem funktionieren.

„Ich denke, ein Grund dafür, dass meine Symptome bei den Hausärzten so lange kein Thema waren, lag darin, dass sie mich als jung und gesund wahrnahmen und meine Berichte als Einbildung abtaten“, berichtet sie. „Wir wissen jetzt aber, dass jeder Long-COVID bekommen kann, unabhängig von Alter, Gesundheitszustand oder der Schwere der Erkrankung. Deshalb ist es so wichtig, dass Hausärzte in der Lage sind, die Symptome zu erkennen.“

Je langsamer der Impffortschritt, desto höher die Übersterblichkeit

Impfen schützt. Ein aktueller Preprint zur Übersterblichkeit in europäischen Ländern zeigt Je langsamer und ineffizienter der Impf- und Booster-Fortschritt in einem Land vor sich ging, desto höher die Übersterblichkeit.

Dr. Olga Matveeva, Sendai Viralytics, Acton, und Dr. Svetlana A. Shabalina , National Institutes of Health, Bethesda, USA, wählten 29 Länder aus der Datenbank des OurWorldInData-Projekts und kategorisierten sie nach „schnelleren“ oder „langsameren“ Impfraten.

Die „schnelleren“ Länder schützten ihre Einwohner in allen Phasen der Pandemie und sogar vor der Impfung besser vor der Sterblichkeit als die „langsameren“ Länder.

Während der Massenimpfung, als die Delta-Variante vorherrschte, war der Unterschied in den Sterblichkeitsraten zwischen den „schnelleren“ und „langsameren“ Ländern am größten. Die durchschnittliche Übersterblichkeit in den „langsameren“ Ländern war fast 5-mal so hoch wie in den „schnelleren“ Ländern, die Odds Ratio betrug 4,9.

Langsamere Boosterraten waren mit einer signifikant höheren Sterblichkeit während der von Omicron BA.1 und BA.2 dominierten Perioden verbunden (OR: 2,6).

Unter den europäischen Ländern schnitten Dänemark, Norwegen und Irland mit einer Sterblichkeitsrate von 0,1% der Bevölkerung oder weniger am besten ab. In Bulgarien, Serbien und Russland hingegen lag die Sterblichkeitsrate mit bis zu 1% der Bevölkerung deutlich höher. Die langsame Verabreichung von Impfungen und Boostern war ein wichtiger Faktor, der zu einer um eine Größenordnung höheren Übersterblichkeit in den „langsameren“ europäischen Ländern beitrug.

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Kommentar

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