Erstmals konnten jetzt bestimmte Hirnregionen identifiziert werden, die durch eine Hypertonie geschädigt werden und zur Demenzentwicklung beitragen können. Die Studie wurde im European Heart Journal veröffentlicht [1].
Man weiß, dass eine Hypertonie an der Demenzentwicklung und der Schädigung der Hirnfunktionen beteiligt ist. In der aktuellen Untersuchung wird im Detail beschrieben, wie es dazu kommen kann. Die Studie stellt damit einen weiteren Schritt zum Verständnis der Zusammenhänge zwischen Bluthochdruck und Demenz dar.
Die Schlussfolgerungen der Studie zu den Auswirkungen eines Bluthochdrucks auf die kognitiven Funktionen beruhen auf den Informationen aus kranialer Magnetresonanztomografie (MRT), Genanalysen und den Beobachtungsdaten von Tausenden Personen. Anschließend überprüften die Forschenden ihre Ergebnisse an einer separaten, großen Patientenpopulation aus Italien.
Prof. Dr. Tomasz Guzik, Kardiologe an der Universität Edinburgh und am Jagiellonian University Medical College im polnischen Krakau, leitete die Studie: „Wir haben bestimmte Hirnareale identifiziert, die unter einem erhöhten Blutdruck besonders leiden. Dazu gehören das Putamen und einige Regionen in der weißen Substanz.“
Er erklärt weiter: „Wir vermuteten, dass in diesen Bereichen eine Hypertonie kognitive Funktionen wie Gedächtnis und Denkvermögen beeinflusst und eine Demenzentwicklung vorantreibt. Als wir unseren Verdacht anhand italienischer Krankendaten zur Hypertonie überprüften, stellten wir fest, dass die von uns identifizierten Hirnbereiche tatsächlich betroffen waren.“
Guzik hofft jetzt, dass diese Ergebnisse den Weg zur Entwicklung neuer Behandlungsmethoden bei einer kognitiven Beeinträchtigung von Menschen mit Bluthochdruck ebnen könnten. „Die Untersuchung der Gene und Proteine in diesen Gehirnstrukturen könnte uns helfen zu verstehen, wie eine Hypertonie das Gehirn beeinflusst und zu kognitiven Störungen führt. Außerdem lässt sich durch die Untersuchung dieser spezifischen Hirnregionen möglicherweise einmal vorhersagen, welche Personen im Rahmen eines Bluthochdrucks eher einen Gedächtnisverlust und eine Demenz entwickeln werden. Dies könnte zur personalisierten Medizin beitragen, sodass wir später gezieltere Therapien einsetzen können, um die Entwicklung kognitiver Beeinträchtigungen bei den am stärksten gefährdeten Personen zu verhindern“, ergänzte er.
9 Bereiche des Gehirns betroffen
Das internationale Forschungsteam wurde vom Europäischen Forschungsrat, der British Heart Foundation und dem italienischen Gesundheitsministerium mitfinanziert. Das Team untersuchte die MRT-Daten von über 30.000 Personen aus der britischen UK-Biobank-Studie.
Als biostatistische Methode, um festzustellen, ob Bluthochdruck tatsächlich die Ursache für Veränderungen in bestimmten Teilen des Gehirns ist und nicht nur mit diesen Veränderungen in Verbindung gebracht wird, bediente man sich der Mendel-Randomisierung.
„Die Mendel-Randomisierung ist eine Möglichkeit, genetische Informationen zu nutzen, um zu verstehen, wie eine Sache eine andere beeinflusst“, erklärte Guzik. „Wenn in unserer Studie ein Gen, das eine Hypertonie verursacht, auch mit bestimmten Hirnstrukturen und deren Funktion in Verbindung steht, deutet dies darauf hin, dass der Bluthochdruck an dieser Stelle tatsächlich eine Funktionsstörung des Gehirns verursacht, die zu Problemen mit dem Gedächtnis und dem Denken und schließlich zur Demenz führt.“
Guzik fasste zusammen: „Wir fanden Veränderungen in 9 Hirnarealen, die mit einem Bluthochdruck und schlechteren kognitiven Funktionen in Zusammenhang stehen.“
Zu diesen Regionen zählte das Putamen, das für die Bewegungssteuerung und die Beeinflussung verschiedener Formen des Lernens mitverantwortlich ist. Weitere betroffene Bereiche waren der vordere Thalamusstiel, die anteriore Corona radiata und der vordere Teil der Capsula interna. Es handelt sich dabei also um Regionen der weißen Substanz, welche verschiedene Hirnteile miteinander verbinden und die Signalübertragung zwischen ihnen ermöglichen. Der vordere Thalamusstiel ist an Exekutivfunktionen wie der Planung einfacher und komplexer täglicher Aufgaben beteiligt, während die beiden anderen Regionen an der Entscheidungsfindung und am Umgang mit Emotionen beteiligt sind.
Zu den Veränderungen in diesen Bereichen gehörten eine Volumenminderung und eine Veränderung der Hirnoberfläche, Veränderungen der Verbindungen zwischen verschiedenen Hirnarealen sowie veränderte Hirnaktivitätsmessungen.
Hoffnung auf neue Behandlungsmethoden
Die Mitautorin der Studie Dr. Joanna Wardlaw, Leiterin der Neuroradiologie an der Universität von Edinburgh, sagte: „Es ist schon länger bekannt, dass Bluthochdruck einen Risikofaktor für kognitiven Abbau darstellt, aber in welcher Weise Hypertonie das Gehirn schädigt, war nicht klar. Diese Studie zeigt, dass bestimmte Hirnregionen ein besonders hohes Risiko für Hypertonieschäden aufweisen. Das könnte dabei helfen, dass sich künftig Personen mit einem erhöhten Risiko für einen kognitiven Abbau bereits in einem frühen Stadium identifizieren lassen und dann gezieltere Therapien möglich werden.“
Dr. James Leiper, stellvertretender Direktor der British Heart Foundation, die die Forschungsarbeiten finanzierte, erklärte gegenüber Medscape: „Durch die Identifizierung spezifischer Hirnregionen, die durch Bluthochdruck geschädigt werden, sind die Forschenden unserem Verständnis für den beunruhigenden Zusammenhang zwischen Hypertonie und kognitivem Verfall einen großen Schritt nähergekommen. „Die 9 identifizierten Gebiete könnten zu 9 neuen Forschungsschwerpunkten darüber werden, wie ein Bluthochdruck Hirnschädigungen verursacht.“
Leiper weiter: „Ein Abbau der kognitiven Leistungsfähigkeit kann für die Betroffenen sehr einschränkende und auch beängstigende Folgen haben. Wenn wir die Veränderungen in diesen Hirnregionen, welche die kognitiven Funktionen beeinflussen, besser verstehen, lassen sich vielleicht neue Wege finden, um vielen Menschen mit Bluthochdruck diese Erfahrung zu ersparen.“
Früherkennung von Hirnschäden möglich
Dr. Timothy Rittman, Forschungsleiter bei Alzheimer's Research UK, sagte: „Bluthochdruck ist weit verbreitet und kann, wenn er unbehandelt bleibt, das Risiko für bestimmte Formen der Demenz im späteren Leben erhöhen.“
„Diese Studie setzt dazu an, die Mechanismen für diesen Zusammenhang zu entschlüsseln, indem sie mit hochentwickelten statistischen Methoden eine Verbindung zwischen Bluthochdruck einerseits und Gedächtnis- und Denkstörungen andererseits herstellt. Dabei wird zum ersten Mal auch der Volumenrückgang in bestimmten Teilen des Gehirns ins Spiel gebracht.“
Rittman weiter: „Dies könnte neue Möglichkeiten dafür eröffnen, wie sich das Ausmaß der Schädigung bestimmen lässt, den ein dauerhaft zu hoher Blutdruck im Gehirn anrichtet, was einen sehr großen Einfluss auf die Senkung des Demenzrisikos haben könnte. Wenn die ersten Anzeichen einer Hirnschädigung frühzeitig erkannt werden, können wir sie möglicherweise durch eine bessere Überwachung und eine antihypertensive Therapie verlangsamen.“
Zu den Einschränkungen der Studie gehört, dass sich der Datenfundus der UK-Biobank hauptsächlich aus ethnisch Weißen und aus Personen mittleren Alters speist, sodass unklar ist, wie weit sich die Ergebnisse auf andere Populationen übertragen lassen.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.co.uk übersetzt und adaptiert.
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Credits:
Photographer: © Robert Kneschke
Lead Image: Dreamstime
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Diesen Artikel so zitieren: Erstmals nachgewiesen: Bluthochdruck schädigt 9 Hirnregionen – so steigt womöglich das Risiko für Demenz - Medscape - 20. Apr 2023.
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