Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (B90/ Grüne) haben am 12. April 2023 in Berlin „das Ende der bisherigen Cannabis-Politik in Deutschland“ angekündigt. Wegen des geltenden EU-Rechts mussten die Vorschläge der Minister vom vergangenen Herbst noch einmal überarbeitet werden. Lauterbach hatte eine weitgehende Legalisierung angestrebt. Apotheker-Verband und Kinderärzte kritisieren das Vorhaben.
Die bisherige Cannabis-Politik in Deutschland sei gescheitert, sagte Lauterbach: „Seit 2011 ist die Zahl der Betäubungsmittelgesetz-Verstöße in jedem Jahr gestiegen, bis auf 300.000 Fälle im Jahr 2020. Nur mit der Verschärfung des Strafrechts kommen wir da nicht weiter!“, so der Minister.
Die Kriminalisierung des Cannabis-Konsums in Deutschland soll deshalb ein Ende haben und durch ein geregeltes 2-Säulen-System ersetzt werden, so der Wille der Ampel-Koalition. Das heißt:
Die Droge soll künftig nicht-kommerziell angebaut und konsumiert werden dürfen.
Und die Koalition will in mehreren Regionen Deutschlands kommerzielle Lieferketten für Cannabis einrichten und erproben.
Özdemir und Lauterbach haben das entsprechende Eckpunktepapier der Bundesregierung mit einem 2-Säulenmodell vorgelegt.
Die 1. Säule: Privater & gemeinschaftlicher, nicht-kommerzieller Eigenanbau
Wer Cannabis konsumieren will und über 18 Jahre alt ist, kann sich den Stoff zukünftig straffrei über die Mitgliedschaft in sogenannten „Cannabis-Vereinen“ beschaffen. Hier wird die Droge angebaut und an Mitglieder des Vereins für den Eigenkonsum abgegeben.
Maximale Menge, die pro Tag abgegeben werden darf, sind höchstens 25 Gramm Cannabis – und höchstens 50 Gramm im Monat.
Erwachsene unter 21 dürfen nur 30 Gramm im Monat erhalten.
Bedingung: Es darf in den Clubs nicht konsumiert werden. Damit wolle man die Probleme vermeiden, die die Niederlande sich mit dem legalisierten gemeinsamen Drogengebrauch in Konsumräumen geschaffen haben, erklärte Lauterbach. Denn diese Regelung habe den Schwarzmarkt nicht zurückgedrängt. „In Holland wird sozial konsumiert und über den Schwarzmarkt importiert“, sagte Lauterbach, „daran haben wir uns kein Beispiel genommen.“
Zum Anbau von Cannabis-Pflanzen: Die Koalition will den privaten Anbau von Cannabis unter bestimmten Bedingungen erlauben. Auf der heimischen Fensterbank würden danach künftig 3 weibliche, blühende Pflanzen pro volljähriger Person für den privaten Verbrauch an „Genuss-Cannabis“ straffrei sein, so das Eckpunktepapier. Die Pflanzen müssen vor dem Zugriff von Kindern geschützt werden.
Die 2. Säule: Regionales Modellvorgaben mit kommerziellen Lieferketten
Die Ampel-Koalition möchte den Verkauf von Genuss-Cannabis in lizensierten, staatlich kontrollierten Fachgeschäften an Erwachsene erlauben. Kreise und Städte mehrerer Bundesländer sollen dazu „kommerzielle Lieferketten“ erproben – angefangen bei der Produktion über den Vertrieb bis hin zum Verkauf von Cannabis. Diese Tests sind auf 5 Jahre beschränkt und sollen wissenschaftlich evaluiert werden.
Allerdings sei diese 2. Säule von Seiten der EU „voraussichtlich weiterhin notifizierungspflichtig“, wie Lauterbach sagte. Das heißt, die EU-Kommission und einzelne Mitgliedsstaaten können bei der Einrichtung der Lieferketten Erklärungen verlangen, in Kenntnis gesetzt zu werden und Stellungnahmen abzugeben. Er könne nicht ausschließen, dass es bei der 1. Säule bleibe, sagte Lauterbach. „Wir bitten in Europa bei dieser innovativen und präventionsorientierten Cannabis-Politik um Unterstützung!“
Özdemir: „Der Schwarzmarkt wird sich schwarzärgern!“
Mit dem neuen Konzept wolle man den Schwarzmarkt zurückdrängen, die Kriminalisierung der Konsumenten stoppen und sie vor verschnittenen Drogen schützen, hieß es. „Wer sich nicht freuen wird, das sind die kriminellen, illegalen Dealer“, kommentierte Özdemir das Eckpunktepapier. „Der Schwarzmarkt wird sich schwarzärgern, und das ist auch gut so!“
Erste Kritik am Cannabis-Plan
Nach der Vorstellung des Eckpunktepapiers meldeten sich Apotheken- und Ärzteverbände zu Wort. Dr. Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), sagte, durch die Freigabe von Cannabis sei keine andere Situation zu erwarten als bei Alkohol, an den die Kinder erfahrungsgemäß leicht herankämen. „Das Angebot für diese Altersgruppe wird durch die Freigabe ab 18 Jahren nicht limitiert, sondern im Gegenteil eher erweitert. Entweder werden ältere Bekannte oder der nach wie vor existierende Schwarzmarkt für den Erwerb von Cannabis genutzt.“
Der Bundesverband Deutscher Apothekerverbände (ABDA) kritisiert die Freigabe von Cannabis, will aber den Schritt der Bundesregierung nicht weiter kommentieren. „Die Freigabe von Cannabis zu Genusszwecken lehnen wir aus fachlichen Gründen ab“, so Dr. Ulrike Sellerberg, Sprecherin der ABDA, zu Medscape. „Die Eckpunkte werden wir nicht weiter kommentieren, da keine regelhafte Beteiligung der Apotheken vorgesehen ist. Falls Apotheken als Abgabestelle in den vorgesehenen Modellvorhaben beteiligt werden sollen, bleibt es der einzelnen Apothekerin beziehungsweise dem einzelnen Apotheker überlassen, sich zu positionieren.“
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Photographer: © Kasarp Techawongtham
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Medscape Nachrichten © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Cannabis in Kiffer-Clubs oder auf der Fensterbank – so soll der Paradigmen-Wechsel in der Drogenpolitik aussehen - Medscape - 19. Apr 2023.
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