Wie geht man als Ärztin oder Arzt damit um, wenn Patienten außerhalb der Sprechzeiten um einen Rat bitten? Vor allem, wenn es sich dabei um Familienangehörige oder Bekannte handelt, kann es kompliziert werden. So behelfen sich Ihre Kolleginnen und Kollegen aus dem coliquio-Forum.
Dilemma: Medizinischer Rat außerhalb der Sprechstunde
Viele Ärztinnen und Ärzte kennen das Dilemma, wenn Verwandte oder Freunde außerhalb der Sprechstunde um einen medizinischen Rat bitten. Hinzu kommen zufällige Begegnungen mit Patientinnen und Patienten in der Freizeit, die möglicherweise Grenzen überschreiten. Hier ist ein professioneller Umgang gefragt, möchte man doch die eigenen Freunde nicht verprellen oder in juristische Schwierigkeiten geraten.
Prof. Dr. Yazan Abou-Ismail von der Abteilung für Hämatologie der Universität Utah, Salt Lake City, unterscheidet hier zwischen dem Erteilen allgemeiner Informationen und konkreten Nachfragen. Ersteres sei völlig in Ordnung, im zweiten Falle würde er höflich an den behandelnden Hausarzt verweisen, der dann entsprechende Untersuchungen vornehmen und über das weitere Vorgehen bestimmen könne.
Auch die American Medical Association (AMA) hat sich mit dem Thema beschäftigt und gibt folgende Ratschläge:
Höfliches Ablehnen.
Andere Formen der Unterstützung anbieten, etwa Hilfe bei der Suche nach einem qualifizierten Arzt oder Ärztin.
Kein Zögern bei einem Notfall.
Umfrage: Medizinische Ratschläge an Verwandte oder Freunde?
Eine coliquio-Umfrage mit über 1.700 teilnehmenden Ärztinnen und Ärzten befasste sich ebenfalls mit dem Thema „medizinische Ratschläge an Verwandte und Freunde.“:
45,2% der Teilnehmenden gaben dabei an, grundsätzlich immer weiterzuhelfen.
Weitere 53,7% merkten an, dass es dabei ganz auf die Frage ankomme.
Nur 1,2% der Kolleginnen und Kollegen gaben an, außerhalb der Praxis oder Klinik generell keine medizinischen Ratschläge zu erteilen.
Angeregt durch die Forumsfrage von chanice ist außerdem eine Diskussion darüber entstanden, was zu tun ist, wenn etwa aus dem entfernten Bekannten- oder Freundeskreis per WhatsApp-Nachricht Probleme oder Fragen geschickt werden, bei denen es sich nicht um einen Notfall handelt.
Tipps für einen souveränen Umgang mit unerwünschten Anfragen
paraklet empfiehlt, im Freundeskreis keine Beratungen oder daraus resultierende Therapien zu initiieren: „Durch die Beziehungsebene resultiert eine Distanzlosigkeit, die weder den um Rat gebetenen Bekannten respektiert und schätzt noch die eigene Befindlichkeit ernst nimmt [...]. Behandelt werden Patienten und deren Weg führt über einen Termin und durch die Praxis – alles andere ist obsolet.“
dagkopp antwortet auf private Anfragen generell, dass sich die entsprechende Person gerne bei der MPA (in der Schweiz: Medizinische/r Praxis-Assistent/in) einen Termin geben lassen kann. Zudem macht dagkopp in diesem Zuge deutlich, den nötigen Abstand zur Praxis außerhalb der Geschäftszeiten zu benötigen.
Einladen und dabei begrenzen ist das Motto bei nature. Außer in Notfällen ist sie nur in der eigenen Praxis Ärztin, aber eben nicht „en passent“, zwischen Tür und Angel oder zum Ausquetschen auf einer Feier. Sie lädt daher alle Anfragenden herzlich zu einem Termin in der Praxis ein, um dort ganz für die Anfrage da zu sein. Die Schlussbemerkung: „Das hat für mich auch etwas mit Qualität in der Medizin zu tun“, lasse ihr zufolge keine Widerrede zu.
dr_knock bemüht sich bei fachfremden Fragen, gegebenenfalls eine Orientierung zu bieten oder eine passende Anlaufstelle zu finden. Häufig gehe es auch nur darum, etwa einen Befund zu „übersetzen“.
Anfragen über das Handy
tatncotaiu aus der Allgemeinmedizin rät in einem solchen Fall dazu, die Nummer bei WhatsApp zu löschen, eine Blacklist für ungebetene Anrufer anzulegen und diese zu pflegen.
orthodoc2000 verweist auf weitere technische Möglichkeiten, Privates von Beruflichem zu trennen. So gebe es bei vielen Mobiltelefonen die Option, 2 SIM-Karten zu nutzen – und so auch die Möglichkeit, 2x WhatsApp, Facebook und Co. einzurichten. Auf dem beruflichen WhatsApp-Kanal könne auch ein einheitlicher Antwort-Text generiert werden, den jede Person erhält, die eine Anfrage gesendet hat.
Hinweis zum Datenschutz
ubohnet hat einen Tipp mit Verweis auf die datenschutzrechtliche Lage parat: „Machen Sie sich Nicht-Zulässigkeit wegen Datenschutz (z.B. bei Anfragen via WhatsApp) zum Freund. Standardtext: „Aus datenschutzrechtlichen Gründen können ärztliche Behandlungen/Beratungen nicht über dieses Medium erfolgen. Melden Sie sich bitte zu regulären Sprechstundenzeiten zur Abstimmung eines Termins in der Praxis.“
Über das Ziel hinausgeschossen
dermara, im Fachgebiet Dermatologie tätig, berichtet von einer Patientin, die vor dem Saftregal eines Discounters ihren Oberkörper entblößte, um ihre Hautveränderungen vorzuzeigen. Ebenso im Supermarkt, nur am Gemüsestand, wurde ordi92 distanzlos und fordernd von einer Patientin gebeten, doch bitte ein Rezept für ein bestimmtes Medikament auszustellen, sie werde den Krankenschein dann irgendwann einwerfen. Die Dame suchte sich in der Folge einen anderen Arzt, traurig darüber war ordi92 allerdings nicht.
sylnlaeg aus der Gynäkologie berichtet, Freunde und Bekannte behandelt zu haben, darüber aber nie glücklich gewesen zu sein. Gäbe es noch einmal die Möglichkeit, mit einer Praxistätigkeit zu starten, würde sylnlaeg sich dazu klar positionieren und keine Betreuungen mehr von Frauen aus dem Bekanntenkreis übernehmen.
Besondere Begebenheiten in der Psychotherapie
soulmate aus der Psychologischen Psychotherapie nimmt grundsätzlich keine neuen Patientinnen oder Patienten an, die auch nur im Entferntesten bekannt sein könnten. Hierunter fielen sowohl für private wie berufliche Beziehungen, Nachbarn, Menschen aus Vereinen etc., um Grenzüberschreitungen dieser Art von vornherein einzuschränken.
svensaar aus der Psychiatrie und Psychotherapie rät dazu, klar zwischen der Sach- und der Beziehungseben zu unterscheiden, um über erstere schnell und unkompliziert klare Verhältnisse zu schaffen. Es gelte, „zuerst positiv formulieren und auf die eigene Sprechstunde verweisen, während der man gerne bereit ist, sich der Frage anzunehmen.“ Man sollte aber dann auch anschließen: „Auf diesem Wege ist es jedoch nicht möglich.“ Außerdem sollte man dabei nicht um Verständnis werben. Handle es sich um einen Notfall, sei dieser ohnehin einweisungspflichtig, wofür es Strukturen gebe.
Zum Abschluss eine Prise Humor
„Ach, sie sind Arzt? Ich habe da mal kurz ...“ – sollte es einmal auf einer Party oder in anderen sozialen Netzwerken zu einer solchen Anfrage kommen, empfiehlt orthodoc2000, sich als Astrophysiker vorzustellen – hiermit könnten die meisten nichts anfangen.
Bei unpassenden physischen Fragen nimmt sich aposshne immer die Anweisung: „Na denn, bis auf die Unterwäsche ausziehen und hinlegen!“ zu Hilfe. Auf diese Weise seien die allermeisten Fragen mit Humor in den Griff zu bekommen.
traumfee erinnert abschließend an den bekannten Witz: „Auf einer Party fragt ein Arzt einen Rechtsanwalt: ‚Sag mal, kann ich das in Rechnung stellen, wenn mich Leute im Privatleben um einen medizinischen Rat bitten?‘ Daraufhin der Rechtsanwalt: ‚Ja, macht 200€!‘“
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de.
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Diesen Artikel so zitieren: Ärztlicher Rat nach Feierabend: Was Kollegen empfehlen, wie man mit Anfragen von Angehörigen oder Bekannten umgehen sollte - Medscape - 19. Apr 2023.
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