Die Ampelkoalition hat vor Ostern den Kabinettsentwurf für das Pflegeunterstützungs und -entlastungsgesetz (PUEG) beschlossen. Es soll vor allem die angeschlagene Pflegefinanzierung verbessern. Das heißt: Die Beiträge zur Pflegeversicherung werden steigen.
Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach trug am Mittwoch vor Ostern in Berlin 4 Gründe für diese Pflegereform vor: die steigenden Löhne in der Pflege, die Inflation und der Umstand, dass mehr Menschen gepflegt und immer länger gepflegt werden. „Das sind Kostenfaktoren, die auf längere Dauer wirken werden“, sagte er.
Dies alles mache das neue Gesetz nötig. „In einer menschlichen Gesellschaft muss uns die Pflege Hochbetagter mehr wert sein. Dass immer mehr Menschen nach einem arbeitsreichen Leben in die Sozialhilfe abrutschen, werden wir nicht akzeptieren“, sagte der Minister.
Deshalb werde die Reform ab 2025 rund 6,6 Milliarden Euro im Jahr zusätzlich in die Kassen der Pflegeversicherer spülen. Das bedeutet einen Aufwuchs von 11%.
Tatsächlich wurden für die Pflegeversicherung 2017 noch jährlich 35 Milliarden Euro ausgegeben. Derzeit flössen etwa 60 Milliarden Euro in die Pflegeversicherung, so Lauterbach. „Es gibt überhaupt keine Sozialversicherung, die eine ähnliche Dynamik hat.“
Versicherte müssen 6,6 Milliarden Euro mehr einzahlen
Die Neuregelungen des PUEG im Detail:
Das Pflegegeld wird zum 1. Januar 2024 um 5% erhöht. Wenn ein Pflegebedürftiger mit mindestens Pflegegrad 2 von Angehörigen oder Freunden zu Hause gepflegt wird, hat er Anspruch auf Pflegegeld. Es beträgt derzeit je nach Pflegegrad monatlich zwischen 316 und 901 Euro.
Ebenso werden die ambulanten Sachleistungsbeträge ab dem 1.1.2024 um 5% erhöht. Diese Beträge zahlt die Versicherung an pflegende Angehörige. Mit dem Geld können sie Leistungen der Grundpflege erwerben.
Das sogenannte Pflegeunterstützungsgeld kann ab 1. Januar 2024 von Angehörigen künftig pro Kalenderjahr für bis zu 10 Arbeitstage je pflegebedürftiger Person beansprucht werden. Derzeit ist es beschränkt auf einmalig insgesamt 10 Arbeitstage pro Person.
Auch die Pflegebedürftigen in vollstationären Einrichtungen erhalten ab Jahresbeginn 2024 mehr Geld: Die Sätze werden von 5% auf 15% bei 0 - 12 Monaten Verweildauer angehoben, von 25% auf 30% bei 13 - 24 Monaten, von 45% auf 50% bei 25 - 36 Monaten und von 70% auf 75% bei mehr als 36 Monaten.
Das Gesetz sieht vor, dass alle Geld- und Sachleistungen zukünftig automatisch an die Preisentwicklung gekoppelt werden, also „automatisch dynamisiert“, wie es hieß. Näheres will das Ministerium noch in dieser Legislaturperiode erarbeiten.
Kabinett will ein „Kompetenzzentrum Pflege“
Nicht nur für Leistungsempfänger sieht das PUEG Änderungen vor, sondern auch für Beschäftigte in der Pflege. So soll das Personalbemessungserfahren schneller ausgebaut werden. Es regelt, wie viele Pflegende mit welcher Qualifikation in der stationären Pflege eingestellt werden müssen. Derzeit sind drei Stufen vorgesehen: Fachkräfte, Assistenzkräfte und Hilfskräfte.
Laut Gesetzentwurf wird ein Kompetenzzentrum Pflege eingerichtet. Es soll helfen, das Potential der Digitalisierung in der Pflege auszuschöpfen. Das Förderprogramm für digitale und technische Ausrüstungen in Pflegeinrichtungen wird mit seinem Volumen von jährlich 300 Millionen Euro bis zum Ende des Jahrzehnts verlängert.
Um dies zu finanzieren, wird der allgemeine Beitragssatz zum 1. Juli 2023 um 0,35% angehoben. Eine Steigerung, die Lauterbach „moderat“ nannte. Sie macht 6,6 Milliarden Euro im Jahr aus.
Laut Gesetzentwurf darf die Bundesregierung den Beitragssatz künftig per Rechtsverordnung bei Bedarf erhöhen. Er beträgt zurzeit 4%, wovon Arbeitgeber 2,3% zahlen.
Außerdem muss der Beitragssatz künftig gestaffelt werden – und zwar nach der Kinderzahl der Versicherten. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vor 2 Jahren beschlossen. Eltern mit 1 Kind zahlen lebenslang 3,45%. Dies gilt für Kinder jeglichen Alters. Versicherte mit 2 Kindern zahlen je Kind bis zum 5. Kind gestaffelt 0,25 Beitragssatzpunkte weniger je Kind, solange diese unter 25 sind. Wer mehr als 5 Kinder hat, zahlt die gleichen Abgaben wie die, die 5 Kinder haben.
Kritik an Lauterbachs Plänen
Der GKV-Spitzenverband kritisierte den Kabinettsentwurf, vor allem die Beitragserhöhung. „Mit dem vorliegenden Pflegegesetz greift die Bundesregierung einige Reformbedarfe der Pflegeversicherung bestenfalls ansatzweise auf, springt aber deutlich zu kurz und verfehlt die selbstgesetzten Ziele aus dem Koalitionsvertrag“, gab Gernot Kiefer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes, auf Anfrage von Medscape zu Protokoll. Der Staat habe sich von den Versicherten bereits 5 Milliarden Euro Mehrausgaben für die Bekämpfung der Corona Pandemie bezahlen lassen, so Kiefer. „Würde er dieses Geld erstatten, müsste es die von der Regierung geplante Beitragserhöhung am 1. Juli nicht geben.“
Auch die Diakonie ist enttäuscht. „Der Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bedeutet für die schwer angeschlagene Pflegeversicherung erneut nur weiße Salbe“, kritisierte Ulrich Lilie, Präsident des evangelischen Hilfswerkes. Besonders schmerze der Rückschritt bei der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege.
„Bisher war geplant, dass pflegende Angehörige diese Leistungen flexibler als bisher in Anspruch nehmen können. Dies ist im Kabinettsentwurf entfallen“, bedauerte Lilie. „Der Minister drückt sich um eine grundlegende Pflegereform, die auch die Finanzierung auf eine solide Basis stellt. Dazu gehört zwingend ein dauerhafter Bundeszuschuss für die versicherungsfremden Leistungen. Der Minister ist aber nicht einmal bereit, in der Bundesregierung dafür zu kämpfen.“
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Diesen Artikel so zitieren: Lauterbach: 6 Milliarden Euro mehr für die Pflege – was sich künftig ändern soll - Medscape - 12. Apr 2023.
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