Ist ein Ende der Lieferengpässe bei Medikamenten in Sicht? Mit dem „Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln“ (ALBVVG) will Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach es richten. Das Bundeskabinett stimmte gestern einem Entwurf des Ministers zu.
Der Gesetzentwurf sieht vor, Preisbremsen zu locken, Festbeträge und Rabattverträge auszusetzen, außerdem dürfen die Hersteller ihre Preise um bis zu 50% erhöhen. Auch die Lagerhaltung für Medikamente soll ausgeweitet werden. Kritik an Lauterbachs Plänen kommt u.a. vom GKV-Spitzenverband und vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH).
Vor allem bei Krebsmedikamenten und Antibiotika kommt es seit Jahren zu Problemen: Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gibt es aktuell bei 467 Medikamenten Lieferengpässe. Ende des vergangenen Jahres und zu Jahresbeginn waren auch einige Arzneien für Kinder in vielen Apotheken Mangelware. Um die Versorgungssicherheit kurz- und langfristig zu stärken, sind strukturelle Maßnahmen im Bereich der Festbeträge, Rabattverträge und der Versorgung mit Kinderarzneimitteln notwendig, betonte Lauterbach auf einer Pressekonferenz.
Mit der Ökonomisierung übertrieben
„Auch in der Arzneimittelversorgung haben wir es mit der Ökonomisierung übertrieben. Das korrigiert die Bundesregierung mit Augenmaß. Wir machen Deutschland wieder attraktiver als Absatzmarkt für generische Arzneimittel. Wir stärken europäische Produktionsstandorte. Und wir verbessern die Reaktionsmechanismen. Lieferengpässe wie im jüngsten Winter wollen wir damit vermeiden“, erklärte Lauterbach. „Ich möchte nicht noch einmal erleben, dass wir Kinder nicht versorgen können“, so der SPD-Minister. Das sei in einem „wohlhabenden Land“ wie Deutschland „nicht hinnehmbar“.
Das Gesetz sieht im Einzelnen vor:
Die Preise für Kinderarzneimittel werden gelockert, Festbeträge und Rabattverträge abgeschafft. Die Hersteller können ihre Abgabepreise einmalig um bis zu 50% des bis dato geltenden Festbetrages anheben, die Kassen übernehmen die Mehrkosten.
Antibiotika, die in der EU und im Europäischen Wirtschaftsraum produziert wurden, müssen bei Ausschreibungen von Kassenverträgen zusätzlich berücksichtigt werden. So soll die Anbietervielfalt erhöht werden.
Der Preisdruck durch Zuzahlungsbefreiungsregeln wird gesenkt: Statt heute 30% liegt die Zuzahlungsbefreiungsgrenze künftig bei 20%. Liegt also der Preis mindestens 20% unter Festbetrag, kann der GKV-Spitzenverband Arzneimittel von der Zuzahlung freistellen.
Austauschregeln für Apotheken werden vereinfacht: Ist ein Medikament nicht verfügbar, darf ein wirkstoffgleiches Mittel abgegeben werden. Für den Austausch sollen Apotheken und Großhändler einen Zuschlag erhalten.
Die Preise für versorgungskritische Arzneimittel können im Fall einer Marktverengung gelockert werden: Gibt es zu wenig Anbieter, können Festbetrag oder Preismoratorium einmalig um 50% angehoben werden.
Für Rabattverträge wird eine verbindliche, 3-monatige Lagerhaltung von rabattierten Arzneimitteln vorgeschrieben. Das beugt kurzfristigen Lieferengpässen vor.
Drohende Engpässe sollen in Zukunft deutlich früher erkannt werden, um gegensteuern zu können. Das BfArM erhält zusätzliche Informationsrechte u.a. gegenüber Herstellern und soll eine Art Frühwarnsystem entwickeln.
Die Versorgung durch Krankenhausapotheken wird verbessert: Die Verpflichtungen für die Bevorratung von parenteral anzuwendenden Arzneimitteln und für Antibiotika werden erhöht.
Neue Reserveantibiotika: Die Regeln zur Preisbildung werden so angepasst, dass der finanzielle Anreiz für die Forschung und Entwicklung von neuen Reserveantibiotika für Unternehmen verstärkt wird.
GKV-Spitzenverband und BAH sind skeptisch
„Dass die Bundesregierung endlich Lieferengpässe bekämpfen will, begrüßen wir als guten Willen. Doch leider werden die aktuell angedachten Maßnahmen die Versorgung mit Arzneimitteln nicht verbessern“, kommentiert Dr. Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des BAH den Gesetzentwurf. Cranz kritisiert, dass die vorgeschlagenen Regelungen grundlegende Probleme unberücksichtigt ließen. Vielmehr handele es sich um halbherzige, komplizierte Maßnahmen allenfalls zu Teilaspekten. Cranz erwartet deshalb nicht, dass die Maßnahmen zu einer umfassenden Verringerung von Abhängigkeiten führen.
Auch Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband, begrüßt, dass die Politik „die Probleme bei Lieferengpässen angeht“. Für den GKV-Spitzenverband stehe an erster Stelle, dass mit den Änderungen auch tatsächlich eine Verbesserung einher gehe.
„Wir sind allerdings skeptisch, ob dieses Ziel mit den vorgesehenen Maßnahmen erreicht werden kann, denn die Bundesregierung setzt hierfür alles auf eine Karte: mehr Geld für die Pharmaindustrie. Aber mehr Geld schafft nicht zwangsläufig mehr Liefersicherheit. Liefer- und Versorgungsprobleme bei Arzneimitteln haben vielfältige, meist globale Ursachen. Hier wird es keine Lösung sein, einseitig die Versichertengemeinschaft in Deutschland zu belasten oder Arzneimittel aus europäischen Nachbarländern abzuziehen.“
Aus Sicht des GKV-Spitzenverbands muss die Informations- und Datenlage verbessert werden, bedarf es weitergehender Bevorratungspflichten und einer nachhaltigen Diversifizierung von Produktion und Lieferketten in versorgungskritischen Bereichen.
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Diesen Artikel so zitieren: Gut gemeint, aber nicht gut gemacht? Kritik an Lauterbachs Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln - Medscape - 6. Apr 2023.
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