Rund 33% mehr Lungenkrebs innerhalb von 10 Jahren; Ernährung und Risiko eines Multiplen Myeloms

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

4. April 2023

Im Onko-Blog dieser Woche geht es unter anderem um die Upfront-Therapie mit Enzalutamid beim Prostatakarzinom. Im Weißbuch Lunge sind aktuelle Zahlen zum Lungenkrebs in Deutschland veröffentlicht. Die DGVS fordert, dass eine Darmkrebs-Vorsorge bei Personen mit familiärer Belastung schon ab einem Alter von 30 Jahren durchgeführt werden sollten. Zu wenig Studiendaten bei Krebs-Patienten mit Herzerkrankungen erschweren Therapie mit Anthrazyklinen. Derzeitige Kenntnisse zum Einfluss von Ernährung und Lebensstil beim Multiplen Myelom sind in einem aktuellen Review zusammengefasst.

  • Prostatakarzinom: Upfront-Therapie mit Enzalutamid verlängert Langzeit-Überleben

  • Lungenkrebs: Zunahme um 33% in den letzten 10 Jahren

  • Kolorektalkarzinom: Vorsorgeuntersuchen sollen bei familiärer Belastung früher beginnen

  • Neuroblastom: Entscheidung über Bösartigkeit fällt schon in der Schwangerschaft

  • B-Zell-Lymphom: Herzinsuffizienz-Patienten erhalten seltener Anthrazykline

  • Multiples Myelom: Einfluss von Ernährung und Lebensstil 

Prostatakarzinom: Upfront-Therapie mit Enzalutamid verlängert Langzeit-Überleben

Die zusätzliche Gabe des oral applizierbaren Androgenrezeptor-Hemmers Enzalutamid zur Standardtherapie verlängert bei Patienten mit metastasiertem, hormonempfindlichem Prostatakarzinom (mHSPC) das Gesamtüberleben anhaltend im Vergleich zur alleinigen Standardtherapie. Dies ergab die finale Analyse der Überlebensdaten der internationalen offenen randomisierten Phase-3-Studie ENZAMET, die in  Lancet Oncology  erschienen ist.

Alle Patienten wurden zur Testosteronsuppression mit Goserelin, Leuprorelid oder Degarelix behandelt. 563 Patienten erhielten zusätzlich Enzalutamid (160 mg/Tag); 562 Patienten wurden zusätzlich mit Bicalutamid, Nilutamid oder Flutamid behandelt. Von insgesamt 1.125 Teilnehmern erhielten 503 zusätzlich Docetaxel.

Erste Zwischenergebnisse, die im Juni 2019 vorgestellt worden waren (Medscape berichtete), hatten eine Verbesserung der 3-Jahres-Überlebensrate von 72% auf 80% durch die Zugabe von Enzalutamid ergeben.

Die finale OS-Analyse nach 476 Todesfällen und einer Follow-up-Dauer von 68 Monaten zeigte, dass das mediane Gesamtüberleben noch nicht erreicht war. Die 5-Jahres-Überlebensrate lag bei 67% in der Enzalutamid- und bei 57% in der Vergleichs-Gruppe. Dieses Ergebnis war in vordefinierten Subgruppen konsistent.

Es traten keine neuen, bislang nicht beobachteten Nebenwirkungen auf.

Vor kurzem haben Pfizer und Astellas in einer Pressemitteilung positive Ergebnisse der Phase-3-Studie EMBARK angekündigt, in der Enzalutamid plus Leuprolid bei Männern mit nicht metastasiertem hormonsensitivem Prostatakarzinom (nmHSPC) das metastasenfreie Überleben im Vergleich zu Placebo plus Leuprolid signifikant verlängert hat. Die Ergebnisse zum OS sind noch nicht reif. 

Lungenkrebs: Zunahme um 33% in den letzten 10 Jahren

Die Zahl der Lungenkrebs-Diagnosen haben bundesweit in den letzten 10 Jahren um 33% zugenommen. Bei Männern ist die Diagnoseprävalenz seit 2010 um 21% gestiegen, bei Frauen – ausgehend von einem geringeren Niveau – um 51%. Die relativen Unterschiede zwischen Männern und Frauen haben damit im Beobachtungszeitraum eher abgenommen. Diese Zahlen stammen aus dem Weißbuch Lunge 2023, das die Deutsche Lungenstiftung (DLS) und die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) herausgeben. 

Von Lungenkrebs betroffen sind vorrangig Menschen in höheren Altersgruppen. Während bei Männern die höchsten altersabhängigen Diagnoseprävalenzen für 75- bis 79-Jährige ermittelt wurde, liegt der Alterspeak bei Frauen zwischen 70 und 74 Jahren. Bei Hochbetagten wird Lungenkrebs demgegenüber deutlich seltener dokumentiert. 

Ausgehend von extrem hohen Werten oberhalb von 11 für die Standardized Mortality Ratio (SMR) ist es in den vergangenen Jahren – insbesondere ab 2015 – zu einem merklichen Rückgang der Sterblichkeit gekommen. Ab 2017 ließen sich SMR-Werte unterhalb von 10 ermitteln, 2019 lag er noch bei etwa 9.

Kolorektalkarzinom: Untersuchen sollen bei familiärer Belastung früher beginnen

Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) fordert, dass bei Menschen mit Darmkrebs-Erkrankung in der Familie regelmäßige Untersuchungen bereits ab dem 30. Lebensjahr sinnvoll und kosteneffektiv seien. Das zeigten Ergebnisse der im letzten Jahr veröffentlichen FARKOR-Studie, so die DGVS in einer Pressemitteilung.

FARKOR steht für das Projekt „Vorsorge bei familiärem Risiko für das kolorektale Karzinom“ – dies ist eine Studie, die auf Initiative der Felix Burda Stiftung als bayrisches Modellprojekt durch den Innovationsausschuss des G-BA seit 2017 gefördert wurde. 

Im Rahmen der FARKOR-Studie wurden Patienten zwischen 25 und 49 Jahren, die aus anderen Gründen – nicht aufgrund des Verdachts auf ein kolorektales Karzinom – einen Arztkontakt hatten, gezielt auf mögliche Darmkrebsfälle in der Verwandtschaft angesprochen. Bejahten sie diese Frage, wurde ihnen eine entsprechende Vorsorgeuntersuchung angeboten. 

Das war bei gut 22% der Angesprochenen der Fall, von denen wiederum knapp die Hälfte das Vorsorgeangebot, bestehend aus einem immunologischen Test auf okkultes Blut im Stuhl (iFOBT) oder einer Koloskopie, annahm. 

Bei rund jedem 8. Untersuchten wurden Krebsvorstufen gefunden, in 4 Fällen konnten manifeste Karzinome erkannt werden. Damit sind die Veränderungen der Darmschleimhaut bei den Probanden, die durchschnittlich 41,2 Jahre alt waren, ähnlich häufig gewesen wie in der Normalbevölkerung ab 50 Jahren. 

Das FARKOR-Projekt liegt derzeit dem G-BA zur Begutachtung vor.

Neuroblastom: Entscheidung über Bösartigkeit fällt schon in der Schwangerschaft

Neuroblastome, häufige Tumoren bei Kleinkindern und Säuglingen, entstehen unabhängig vom späteren klinischen Verlauf bereits im 1. Trimester der Schwangerschaft. Schon zu diesem Zeitpunkt entscheidet sich, ob sie sich später spontan zurückbilden oder aggressiv voranschreiten. Das hat ein Forscherteam vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und dem Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ) in  Nature Genetics  publiziert. 

Neuroblastome treten im Bereich der Nebennieren oder entlang der Wirbelsäule im Hals, Brustkorb oder Bauchbereich auf. Eine Besonderheit ist ihr unterschiedlicher Krankheitsverlauf. In einigen Fällen bildet sich der Tumor ohne Therapie komplett zurück. Bei etwa der Hälfte der Patienten kann jedoch auch eine hochintensive Therapie ein aggressives Wachstum nicht verhindern.

Die Heidelberger Forscher konnten jetzt erstmals zeigen, dass sowohl Neuroblastome von Hochrisikopatienten als auch von Patienten mit günstigem Krankheitsverlauf einen gemeinsamen zellulären Ursprung haben. Bereits in der Embryonalentwicklung während des 1. Drittels der Schwangerschaft beginnt die Zellteilung aus dem Ruder zu laufen, dabei werden die Weichen für einen günstigen oder aggressiven Verlauf gestellt.

Nach den Untersuchungsergebnissen lassen sich Neuroblastome in zwei Kategorien einteilen: Solche, in denen genetische Veränderungen bereits früh zum Tumorwachstum führen. Dies sind Tumoren mit einem günstigen Verlauf, auch wenn sie zunächst schneller wachsen. Es finden dann jedoch keine drastischen genetischen Ereignisse mehr statt, mit deren Hilfe die Krebszellen langfristig unsterblich werden, wie in einer Pressemitteilung erklärt wird. Zudem werden sie aufgrund des frühen schnellen Wachstums meist auch früh erkannt.

Zur zweiten Kategorie gehörten Neuroblastome, die erst später bösartig werden, dann aber aggressiv wachsen. Sie durchlaufen eine komplexere und langwierigere Evolution. Aufgrund der Zellumgebung oder aufgrund interner genetischer Schäden sterben die meisten dieser Neuroblastom-Zellen ab. Allerdings entwickeln diese Zellen durch den Selektionsdruck besonders aggressive Mechanismen, um dem Zelltod dauerhaft zu entgehen und unendlich teilungsaktiv zu bleiben. Dies dauert aber relativ lang, und deshalb werden die Tumoren auch erst später diagnostiziert.

Derzeit arbeiten die Wissenschaftler daran, die Tumorevolution als Biomarker bei Neuroblastomen zu etablieren. 

B-Zell-Lymphom: Herzinsuffizienz-Patienten erhalten seltener Anthrazykline

Rund 14% der Patienten mit diffusem großen B-Zell-Lymphom (DLBCL) leiden bei Diagnose der malignen Erkrankung an einer Herzinsuffizienz. Sie werden seltener mit Anthrazyklinen oder anderen Chemotherapeutika behandelt als Patienten ohne Herzinsuffizienz, was ihre Sterblichkeit erhöht, so das Ergebnis einer longitudinalen Kohortenstudie, die ein US-amerikanische Arbeitsgruppe in  JAMA Cardiology publiziert hat.

Die Arbeitsgruppe verwendete Daten aus dem Surveillance, Epidemiology, and End Results(SEER)-Medicare-Register von 1999 bis 2016. Von den 30.728 Patienten mit DLBCL litten 4.266 zum Zeitpunkt der Lymphom-Diagnose an einer Herzinsuffizienz. Sie wurden seltener mit einem Anthrazyklin behandelt (Odds- Ratio 0,55). Nur 78 von 1.119 Herzinsuffizienz-Patienten (7%), die ein Anthrazyklin erhielten, bekamen Dexrazoxan oder liposomales Doxorubicin. Die Ein-Jahres-Lymphom-Mortalität betrug 41,8% mit und 29,6% ohne vorbestehende Herzinsuffizienz. 

Modellanalysen deuten darauf hin, dass der geringere Einsatz von Anthrazyklinen für eine Erhöhung der Lymphom-bedingten Todesfälle um 36% verantwortlich sein könnte.

„Die Ergebnisse sind nicht unerwartet, weil Anthrazykline vermieden werden, um das Risiko für eine Herzinsuffizienz zu verringern. Sie zeigen jedoch eine ernüchternde Perspektive des ungedeckten Bedarfs bei Patienten mit vorbestehender Herzinsuffizienz und DLBCL“, heißt es im begleitenden Editorial. Außerdem heißt es dort, dass der geringe Einsatz protektiver Maßnahmen wie Dexrazoxan und liposomalem Doxorubicin das Fehlen entsprechender Studien bei Patienten mit vorbestehenden Herzerkrankungen widerspiegele. 

Multiples Myelom: Einfluss von Ernährung und Lebensstil

In einer umfangreiche Übersichtsarbeit in  Leukemia  hat eine US-amerikanisch-italienische Arbeitsgruppe den derzeitigen Kenntnisstand zum Einfluss von Ernährungsfaktoren und des Darmmikrobioms auf die Pathogenese des multiplen Myeloms (MM) zusammengefasst. 

Die bisher vorliegenden Untersuchungen ergaben, dass das MM-Risiko bei Personen mit pflanzlichen Ernährungsmustern im Vergleich zu Fleischessern geringer ist. Der Verzehr von Obst, Gemüse, insbesondere von Cruciferae-Gemüse (z.B. Kohl, grünes Blattgemüse, Rucola, Kohlrabi, Kresse, Rettiche, Radieschen), von Vollkornprodukten und Meeresfrüchten war mit einem verminderten MM-Risiko assoziiert. 

Bei Patienten mit MM ist ein Vitamin-D-Mangel häufig, der sich auf das klinische Erscheinungsbild, die Myelom-Aktivität, den Knochenumsatz und die Therapie-Ergebnisse (PFS und OS) auswirkte. 

Störungen des Mikrobioms bei MM sind mit Progression, Wirksamkeit und Toxizität einer Therapie assoziiert. Derzeit laufen Studien, um die Wirkung von Ernährungs- und Nahrungsergänzungsmitteln auf das Darmmikrobiom zu bewerten.

Nach Ansicht der Autoren sind diese Faktoren weitgehend modifizierbar. Sie könnten das Risiko für ein MM senken oder auch die Therapie-Ergebnisse verbessern. Allerdings sind noch größere prospektive Studien erforderlich, um diese Ergebnisse zu bestätigen. 

Aufgrund der bisher vorliegenden Daten kommen die Autoren zu folgenden Ernährungsempfehlungen. Demnach sollten Konsumenten…

  • pflanzliche Lebensmittel wann immer möglich konsumieren mit einer breiten Palette von Früchten einschließlich Zitrusfrüchten sowie von Gemüse, besonders Tomaten, Rukola, Brokkoli, Rosenkohl, Kohl, Grünkohl, Rüben u.a.,

  • bevorzugt Vollkornprodukte und ballaststoffreiche Lebensmittel verzehren,

  • Fisch mit dem höchsten Gehalt an Omega-3-Fettsäuren wählen,

  • eher selten Fleisch (vor allem von rotem Fleisch), Eier und Milchprodukte (v.a. fettreichen Milchprodukten) essen,

  • Vitamin D bei Mangel supplementieren,

  • Eine Vitamin-C-reiche Ernährung bevorzugen, aber hohe Dosen vermeiden.

Moderater Alkoholkonsum ist den Autoren zufolge mit einem verringerten Risiko für eine Progression des MM assoziiert.

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Kommentar

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