Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hat bei seiner Sitzung im März 9 Arzneimittel zur Zulassung empfohlen: 4 neue, nicht-orphane Präparate, 1 Biosimilar und 4 Generika bzw. Arzneimittel mit Hybridzulassung [1,2].
Bimervax® als Booster-Impfstoff gegen COVID-19
Grünes Licht gab der Ausschuss für Bimervax® als COVID-19-Auffrischungsimpfung. Zielgruppe sind Personen ab 16 Jahren, die bereits mit einem mRNA-Vakzin geimpft wurden.
Der neue Impfstoff enthält ein im Labor hergestelltes Protein, das aus einem Abschnitt des SARS-CoV-2-Spike-Proteins der Alpha- und Beta-Virusvarianten besteht.
Der CHMP kam zu dem Schluss, dass ausreichend belastbare Daten über die Qualität, Sicherheit und Immunogenität des Impfstoffs vorliegen, um seine Zulassung in der EU zu empfehlen.
Seine Entscheidung stützt sich vor allem auf eine Immunobridging-Studie, in der Immunreaktionen durch Bimervax® und durch Comirnaty® verglichen wurden. An der Studie nahmen 765 Erwachsene teil, die als Erstimpfung 2 Dosen Comirnaty® erhalten hatten. Als Booster kam entweder Bimervax® oder Comirnaty® zum Einsatz.
Obwohl Bimervax® die Produktion von Antikörpern gegen den ursprünglichen Stamm von SARS-CoV-2 schwächer induzierte als Comirnaty®, führte das Vakzin zu höheren Antikörperspiegeln gegen die Beta- und Omikron-Variante und zu vergleichbaren Spiegeln gegen die Delta-Variante.
Unterstützende Daten kamen aus einer laufenden Studie, an der 36 Jugendliche im Alter von 16 bis 17 Jahren teilnahmen. Für 11 von ihnen lagen Daten zur Immunantwort vor. Die Studie ergab, dass Bimervax® als Booster bei diesen Jugendlichen eine angemessene Immunreaktion induzierte, wobei die Antikörperproduktion mit der von Erwachsenen, die Bimervax® erhielten, vergleichbar war.
Der CHMP kam daher zu dem Schluss, dass eine Auffrischungsimpfung mit Bimervax® den Schutz gegen COVID-19 bei Personen ab 16 Jahren voraussichtlich mindestens ebenso wirksam wiederherstellt wie Comirnaty®.
Briumvi® (Ublituximab) bei Multipler Sklerose
Ein positives Votum gab es auch zu Briumvi® (Ublituximab) zur Behandlung der schubförmigen Multiplen Sklerose.
Ublituximab wirkt als Immunsuppressivum. Es zielt selektiv auf CD20-exprimierende B-Zellen ab, die an entzündlichen Veränderungen im zentralen Nervensystem von Patienten mit Multipler Sklerose beteiligt sind.
Briumvi® senkt laut EMA die jährlichen Schubrate um 49% bis 59% bei gleichzeitiger Verringerung der Anzahl akuter entzündlicher Läsionen um mindestens 90% im Vergleich zu Teriflunomid. Daten kamen aus 2 randomisierten, doppelblinden, aktiv kontrollierten klinischen Phase-3-Studien mit Patienten, die an schubförmiger Multipler Sklerose erkrankt waren. Die häufigsten Nebenwirkungen sind infusionsbedingte Reaktionen und Infektionen.
Omvoh® (Mirkizumab) bei Colitis ulcerosa
Omvoh® (Mirkizumab) erhielt vom CHMP eine positive Stellungnahme für die Behandlung von moderater bis schwerer, aktiver Colitis ulcerosa.
Mirikizumab, ein Interleukin-Inhibitor, bindet selektiv an die p19-Untereinheit von menschlichem IL-23 und hemmt so dessen Interaktion mit dem IL-23-Rezeptor. Die Biosynthese von Effektor-Zytokinen, welche entzündliche Erkrankungen fördern, normalisiert sich.
Omvoh® kann zur Remission von Colitis ulcerosa führen – auch bei Patienten ohne vorherige Behandlung mit Biologika bzw. bei Patienten ohne erfolgreiche Biologika-Therapie.
Die häufigsten Nebenwirkungen sind Infektionen der oberen Atemwege (am häufigsten Nasopharyngitis), Kopfschmerzen, Hautausschläge und Reaktionen an der Injektionsstelle (bei subkutaner Injektion). Ein Anstieg der Leberenzyme mit und ohne Erhöhung des Gesamtbilirubins wurden ebenfalls beobachtet.
Pedmarqsi® (Natriumthiosulfat) bei Chemotherapien
Der Ausschuss empfahl ebenfalls, Pedmarqsi® (Natriumthiosulfat) zur Vorbeugung von Ototoxizität, die durch eine Cisplatin-Chemotherapie verursacht wird, zuzulassen. Pedmarqsi® richtet sich an Patienten im Alter von 1 Monat bis zu 18 Jahren mit lokalisierten, nicht metastasierenden, soliden Tumoren.
Natriumthiosulfat wirkt aufgrund eines noch nicht vollständig verstandenen Mechanismus. Vermutlich erhöht sich nach der Infusion der Spiegel endogener Antioxidantien. Diese verringern intrazellulären oxidativen Stress durch Cisplatin – und senken das Risiko einer Schädigung von Cochlea-Zellen.
Daten kommen aus einer randomisierten, offenen Phase-3-Studie bei Kindern mit Standard-Risiko-Hepatoblastom, die mit Cisplatin allein oder in Kombination mit Pedmarqsi® behandelt wurden. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Erbrechen, Übelkeit, Hypernatriämie, Hypophosphatämie und Hypokaliämie.
Biosimilar: Epysqli® (Eculizumab) bei paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie
Der Ausschuss gab eine positive Stellungnahme zu Epysqli® (Eculizumab) ab, einem Biosimilar für die Behandlung der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie. Bei dieser seltenen Erkrankung kommt es zur vorzeitigen Zerstörung und Beeinträchtigung der Produktion von Blutzellen.
Eculizumab wirkt als selektives Immunsuppressivum. Der rekombinante, humanisierte, monoklonale IgG2/4k-Antikörper bindet an das C5-Komplementprotein und hemmt dadurch die Aktivierung des terminalen Komplements.
Bei Epysqli® handelt es sich um ein Biosimilar-Arzneimittel. Es ist dem Referenzprodukt Soliris® (Eculizumab), das am 20. Juni 2007 in der EU zugelassen wurde, sehr ähnlich. Daten zeigen, dass Epysqli® eine vergleichbare Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit wie Soliris® aufweist.
Hybridantrag: Qaialdo® (Spironolacton) bei Ödemen
Der CHMP veröffentlichte auch eine positive Stellungnahme zu Qaialdo® (Spironolacton) für die Behandlung refraktärer Ödeme. Solche Schwellungen sprechen nicht auf Diuretika oder auf eine Natriumrestriktion an.
Hier handelt es sich um einen Hybridantrag, der sich zum Teil auf die Ergebnisse vorklinischer Tests und klinischer Prüfungen eines bereits zugelassenen Referenzprodukts Aldactone® und zum Teil auf neue Daten stützt.
Spironolacton, ein Aldosteron-Antagonist, hemmt Mineralokortikoidrezeptoren in den Nieren, um die Ausscheidung von Wasser und Natrium und die Retention von Kalium zu fördern.
Im Vergleich zum Referenzarzneimittel hat Qaialdo® eine andere Darreichungsform (orale Suspension) und Stärke.
Studien haben die zufriedenstellende Qualität von Qaialdo® und seine Bioäquivalenz mit dem Referenzarzneimittel Aldactone® nachgewiesen. Da Qaialdo® mit dem Referenzarzneimittel bioäquivalent ist, werden seine Vorteile und Risiken als gleichwertig angesehen.
Die häufigsten Nebenwirkungen sind Hyperkaliämie, insbesondere bei Patienten mit Nierenfunktionsstörungen oder bei Patienten, die gleichzeitig ACE-Hemmer oder Angiotensin-II-Antagonisten erhalten, eine gutartige Vergrößerung der Brustdrüsen beim Mann und Brustschmerzen.
Generika-Zulassungen
Der Ausschuss nahm positive Stellungnahmen für 3 Generika an:
Dabigatran Etexilat Accord® (Dabigatran Etexilat) zur Vorbeugung venöser thromboembolischer Ereignisse
Lacosamid Adroiq® (Lacosamid) zur Behandlung von Epilepsie
Sugammadex Adroiq® (Sugammadex) zur Aufhebung der durch Rocuronium oder Vecuronium ausgelösten neuromuskulären Blockade
Erweiterung von Indikationen
Außerdem empfahl der CHMP 6 Indikationserweiterungen für bereits in der EU zugelassene Arzneimittel:
Breyanzi® (Lisocabtagen maraleucel): Hinzu kommt die Behandlung erwachsener Patienten mit diffusem großzelligem B-Zell-Lymphom (DLBCL), hochgradigem B-Zell-Lymphom (HGBCL), primär mediastinalem großzelligem B-Zell-Lymphom (PMBCL) und follikulärem Lymphom Grad 3B (FL3B), die innerhalb von 12 Monaten nach Abschluss einer Erstlinien-Chemoimmuntherapie einen Rückfall erleiden oder gegenüber dieser refraktär sind.
Entresto® bzw. Neparvis® (Sacubitril/Valsartan): Der CHMP gab grünes Licht für eine neue Darreichungsform in Verbindung mit 2 neuen Stärken (6 mg/6 mg und 15 mg/16 mg Granulat in einer Kapsel zum Öffnen). Auch soll das Präparat künftig bei Kindern und Jugendlichen ab 1 Jahr zur Behandlung der symptomatischen chronischen Herzinsuffizienz mit linksventrikulärer systolischer Dysfunktion verordnet werden.
Tenkasi® (Oritavancin): Der CHMP nahm eine Erweiterung der bestehenden Indikation um die Behandlung pädiatrischer Patienten an. Damit ist Tenkasi® ist für die Behandlung von akuten bakteriellen Infektionen der Haut und der Hautstrukturen nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei pädiatrischen Patienten ab 3 Monaten indiziert.
Ultomiris® (Ravulizumab) soll künftig zur Behandlung erwachsener Patienten mit Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD), die Anti-Aquaporin-4 (AQP4)-Antikörper-positiv sind, eingesetzt werden.
Wegovy® (Semaglutid) soll künftig zur Ergänzung zu einer kalorienreduzierten Diät und erhöhter körperlicher Aktivität bei Jugendlichen ab 12 Jahren zugelassen werden – bei Patienten mit mindestens 60 kg Körpergewicht und mit Übergewicht.
Zurückgezogene Anträge
3 Anträge auf Marktzulassung wurden zurückgezogen:
Feraheme® (Ferumoxytol) zur intravenösen Behandlung von Eisenmangelanämie
Onteeo® (Tocilizumab) zur Behandlung von rheumatoider Arthritis, aktiver systemischer juveniler idiopathischer Arthritis, juveniler idiopathischer Polyarthritis, Riesenzellarteriitis und COVID-19
Raltegravir Viatris® (Raltegravir) zur Behandlung von HIV-1-Infektionen
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Credits:
Photographer: © Peeke Reka
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Diesen Artikel so zitieren: EMA: 9 Zulassungsempfehlungen, u.a. ein proteinbasiertes COVID-19-Vakzin, Therapien gegen MS und gegen Colitis ulcerosa - Medscape - 31. Mär 2023.
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