Monoklonale Antikörper gegen das Calcitonin-Gene-Related-Peptide (CGRP) haben sich in der Migräneprophylaxe als hocheffektiv erwiesen – durften aber erst nach mindestens 4 erfolglosen Vortherapien verordnet werden. Das hat sich jetzt zumindest für den CGRP-Antikörper Erenumab geändert: „Mit Erenumab können wir nun sehr viel früher eingreifen, da sich nur noch eine Vortherapie als unwirksam erwiesen haben muss“, berichtete Prof. Dr. Hartmut Göbel beim Deutschen Schmerz- und Palliativtag [1].
Der Chefarzt der Schmerzklinik Kiel betonte, dass ein rechtzeitiges Eingreifen bei Migräne entscheidend sei, um Progression und Chronifizierung zu verhindern: „Bislang haben wir viel Zeit verloren, da wir eine ganze Reihe von Vortherapien durchführen mussten“, sagte er.
Derzeit sind in Deutschland 4 CGRP-Antikörper zur Prophylaxe der Migräne zugelassen: Erenumab, Fremanezumab, Galcanezumab und Eptinezumab. Laut IQWiG weisen 3 von ihnen - Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab – einen beträchtlichen Zusatznutzen bei episodischer und chronischer Migräne auf.
Mindestens 4 Migränetage, mindestens 4 Vortherapien
„Sie können Erwachsenen mit mindestens 4 Migränetagen im Monat im Rahmen einer bundesweiten Praxisbesonderheit verordnet werden“, sagte PD Dr. Michael Küster vom Schmerzzentrum Bonn-Bad Godesberg. Voraussetzung sei, dass die Patienten auf mindestens 4 zweckmäßige Vergleichstherapien nicht angesprochen haben, diese nicht vertragen oder Kontraindikationen vorliegen.
Zweckmäßige Vergleichstherapien sind bei episodischer Migräne das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin, die Beta-Blocker Metoprolol, Propranolol und Bisoprolol (off-label), der Calcium-Antagonist Flunarizin und das Antiepileptikum Topiramat. Bei chronischer Migräne müssen sogar 5 Vortherapien ausprobiert werden, hier kommt noch die Behandlung mit Onabotulinumtoxin A als Voraussetzung hinzu.
HER-MES zeigte Überlegenheit von Erenumab gegenüber Therapiestandard
All dies hat sich für Erenumab nun geändert, als einziger CGRP-Antikörper darf es bereits nach einer einzigen erfolglosen Vortherapie verordnet werden. Zu verdanken sei dies der Head-to-Head-Studie HER-MES, wie Göbel berichtete. Sie verglich Erenumab gegen den Therapiestandard (Topiramat) zur Migräneprophylaxe bei 777 Patienten mit episodischer oder chronischer Migräne an 82 Zentren in Deutschland. Untersucht wurden Verträglichkeit und Wirksamkeit einer 24-wöchigen Behandlung.
„Die Ergebnisse waren erstaunlich eindeutig“, so Göbel. Erenumab erwies sich als signifikant besser verträglich als Topiramat. Statt bei 38,9% lag die Zahl der Behandlungsabbrüche unter Erenumab nur bei 10,6%. „Unter Topiramat brachen fast 4-mal so viele Patienten die Therapie ab wie unter Erenumab.“
Und auch bei der Wirksamkeit lag Erenumab weit vorne: Die Wahrscheinlichkeit einer Reduktion der monatlichen Migränetage um mindestens 50% war bei den Erenumab-Patienten fast um das 3-fache höher als bei den Topiramat-Patienten: 55,4% vs. 31,2%.
„In der Folge ist jetzt der frühere Einsatz von Erenumab im Rahmen der bundesweiten Praxisbesonderheit möglich“, so Göbel.
Andere CGRP-Antikörper erfordern weiterhin mehrere Vortherapien
Anders ist die Sachlage bei den anderen CGRP-Antikörpern: Für Fremanezumab und Galcanezumab gilt weiterhin die alte Regelung, dass bei episodischer Migräne 4 und bei chronischer Migräne 5 Vortherapien unwirksam, unverträglich oder kontraindiziert gewesen sein müssen.
Bei Eptinezumab sieht es noch einmal anders aus: Da dieser CGRP-Antikörper als einziger vom G-BA keinen Zusatznutzen zugesprochen bekommen hat, muss vor seiner Verordnung auch noch Erenumab als weitere Vortherapie ausprobiert worden sein.
Die Wirtschaftlichkeit immer im Auge
Die Jahrestherapiekosten von Erenumab liegen aktuell bei 3794 Euro, die der anderen CGRP-Antikörper belaufen sich auf 5035 Euro (Fremanezumab), 5301 Euro (Galcenazumab) und 5416-16.248 Euro (Eptinezumab), die zweckmäßige Vergleichstherapie mit anderen Substanzen kostet maximal 277 Euro (Topiramat).
„Es ist wichtig all dies zu wissen, da man bei der Verordnung individuell die Wirtschaftlichkeit im Auge haben muss“, betonte Göbel.
Sind die Kriterien für eine Praxisbesonderheit erfüllt, muss die Einleitung und Überwachung der Behandlung durch erfahrene Ärzte erfolgen und das Ansprechen der Patienten dokumentiert werden. „Bei Patienten, die nach 3 Monaten Behandlung noch kein Ansprechen gezeigt haben, ist die Folgeverordnung nicht mehr von der Praxisbesonderheit abgedeckt“, betonte Küster.
Therapiedauer hängt von Art der Migräne ab
Die empfohlene Therapiedauer hängt davon ab, wie schwer die Migräne ist und welche Komorbiditäten bestehen. „Bei episodischer Migräne kann nach 9-12 Monaten überlegt werden, einen Absetzversuch zu machen“, sagte Dr. Heike Israel-Willner vom Neurologischen Facharztzentrum Berlin. „Bei chronischer Migräne und bei Komorbiditäten soll die Therapie länger erfolgen, aber nach 24 Monaten sollte auf jeden Fall ein Absetzversuch unternommen werden.“
Spricht der Patient auf die Migräneprophylaxe mit einem CGRP-Antikörper nicht an, kann der Wechsel auf einen anderen CGRP-Antikörper erwogen werden. „Die Chance, durch den Switch noch einen positiven Effekt zu erzielen, liegt bei 30%“, sagte Israel-Willner. Dabei müssten allerdings die Unterschiede in der Erstattungsfähigkeit hinsichtlich der Zahl der Vortherapien berücksichtigt werden, betonte sie.
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Medscape Nachrichten © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Abkürzung für teure Migräne-Prophylaxe: Früher von CGRP-Antikörpern profitieren – bei Erenumab nur eine Vortherapie nötig - Medscape - 31. Mär 2023.
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