Neue Studie widerlegt Existenz von Adipositas-Paradoxon bei Herzinsuffizienz – es war wohl ein BMI-Artefakt

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

30. März 2023

Patienten mit Herzinsuffizienz und reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) haben angeblich bessere Überlebenschancen, wenn sie übergewichtig sind. Man spricht vom sogenannten Adipositas-Paradoxon – das aber möglicherweise gar nicht existiert, wie eine neue Studie zeigt [1]. Nutzt man nämlich das Taille-Größe-Verhältnis (TGV) anstatt des Body-Mass-Index (BMI), verschwindet der Überlebensvorteil von Patienten mit einem BMI über 25 kg/m2.

Dass Adipositas einer der wichtigsten Risikofaktoren für die Entwicklung einer Herzinsuffizienz ist, daran besteht kein Zweifel. Aber was ist, wenn die Herzinsuffizienz erst einmal besteht? „Es ist mittlerweile gut 2 Jahrzehnte her, dass das Adipositas-Paradoxon erstmals bei Dialysepatienten beschrieben wurde. Seither haben eine ganze Reihe von Autoren in den Datensätzen großer klinischer Studien bestätigt, dass HF-Patienten mit höherem BMI eine bessere Prognose haben als diejenigen mit niedrigerem BMI“, schreiben Prof. Dr. Stephan von Haehling und Dr. Ryosuke Sato von der Klinik für Kardiologie und Pneumologie an der Universitätsmedizin Göttingen in einem Editorial im European Heart Journal  [2].

BMI ist ein schlechter Indikator für die Fettmenge im Körper

Daraus wurde vielfach abgeleitet, dass Übergewicht bzw. Adipositas für Patienten mit Herzinsuffizienz, speziell HFrEF, vorteilhaft ist. Ärzte standen vor der Frage, ob sie ihren übergewichtigen HF-Patienten überhaupt zum Abnehmen raten sollten.

„Aber wir wussten, dass das nicht stimmen kann und dass Adipositas schlecht sein muss, nicht gut. Wir vermuteten, dass der BMI – ein schlechter Indikator für die Menge an Fettgewebe im Körper – ein Teil des Problems sein muss“, erklärt Seniorautor Prof. Dr. John McMurray vom British Heart Foundation Cardiovascular Research Centre an der Universität Glasgow, Schottland.

 
Wir vermuteten, dass der BMI – ein schlechter Indikator für die Menge an Fettgewebe im Körper – ein Teil des Problems sein muss. Prof. Dr. John McMurray
 

Tatsächlich wurde die Assoziation zwischen Adipositas und Outcomes bei HFrEF in den meisten Studien basierend auf dem BMI ermittelt, der als Maß für Adipositas viele Limitationen aufweist. Er berücksichtigt zum Beispiel nicht die Lokalisation oder die Menge des Körperfetts oder seine Relation zum Muskelgewebe und das Gewicht des Skeletts.

Terminator war nicht übergewichtig

Von Haehling und Sato erklären die Schwächen des BMI im Hinblick auf das kardiovaskuläre Risiko so: „Wäre es plausibel anzunehmen, dass ein Wrestling-Star aus den USA (mehr Muskeln) und ein japanischer Sumo-Ringer (mehr Fett) mit dem gleichen BMI das gleiche kardiovaskuläre Risikoprofil haben? Das gilt auch für Menschen wie Arnold Schwarzenegger in seinen jüngeren Jahren, der einen BMI von um die 30 kg/m2 hatte, als er den Terminator spielte.“

Die Forschungsgruppe um McMurray und Erstautor Dr. Jawad H. Butt untersuchte erstmals, wie es sich auf die Einschätzung des kardiovaskulären Risikos von HF-Patienten auswirkt, wenn andere anthropometrische Maße herangezogen werden – etwa das TGV, der Taillenumfang oder das Taille-Hüft-Verhältnis. Sie berücksichtigten darüber hinaus aber auch weitere prognostische Faktoren, etwa die Konzentration an natriuretischen Peptidhormonen, die bei Herzinsuffizienz verstärkt ausgeschüttet werden.

„Natriuretische Peptide sind die wichtigsten prognostischen Variablen bei Patienten mit HF. Sie steigen bei ihnen normalerweise an, aber HF-Patienten mit Adipositas weisen niedrigere Konzentrationen auf als normalgewichtige HF-Patienten“, erklärt McMurray.

Adipositas-Paradoxon hält Adjustierung um andere prognostische Faktoren nicht stand

Die Forschenden analysierten die Daten von 1.832 Frauen und 6.567 Männern mit HFrEF, die an der PARADIGM-HF-Studie teilgenommen hatten. Sie untersuchte die Wirksamkeit des Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitors (ARNI) Sacubitril/Valsartan im Vergleich zu Enalapril bei Patienten mit chronischer HFrEF.

Bei der Randomisierung für die Studie waren bei ihnen auch BMI, Blutdruck, anthropometrische Maße, Bluttestresultate, medizinische Vorgeschichte und vorausgegangene oder bestehende Therapien erhoben worden.

 
Das Paradoxon war weit weniger evident, wenn wir uns das Taille-Größe-Verhältnis anschauten, und es verschwand nach Adjustierung um andere prognostische Variablen. Dr. Jawad H. Butt
 

Tatsächlich fanden sie das Adipositas-Paradoxon: HF-Patienten mit einem BMI ≥25 kg/m2 hatten ein niedrigeres Sterberisiko als diejenigen mit Normalgewicht. Aber: „Das Paradoxon war weit weniger evident, wenn wir uns das Taille-Größe-Verhältnis anschauten, und es verschwand nach Adjustierung um andere prognostische Variablen“, betont Erstautor Butt.

Nach der Adjustierung um prognostische Variablen wie etwa NT-proBNP zeigten sowohl der BMI als auch das TGV, dass mehr Körperfett sehr wohl mit einem höheren Sterbe- und Hospitalisierungsrisiko einhergeht.

Höheres TGV geht mit höherem Hospitalisierungsrisiko einher

Besonders deutlich war dies bei der Verwendung des TGV zu sehen: Die oberen 20% der Herzinsuffizienz-Patienten mit dem meisten Körperfett hatten ein um 39% höheres Risiko, aufgrund der Herzinsuffizienz hospitalisiert zu werden, als die Patienten in den unteren 20%, die am wenigsten Körperfett aufwiesen.

Die Autoren um Butt weisen außerdem darauf hin, dass sich die günstigen Effekte der ARNI-Behandlung nicht unterschieden, unabhängig davon, ob man die Patienten nach dem BMI oder dem TGV in Gruppen aufteilte. Das mache eine potenzielle Theorie zur Erklärung des Adipositas-Paradoxons zunichte, nämlich, dass adipöse HF-Patienten möglicherweise stärker von der Behandlung profitieren, so von Haehling und Sato.

 
Unsere Studie zeigt, dass es kein Adipositas-Paradoxon gibt, wenn wir das Körperfett auf eine bessere Art und Weise messen. Dr. Jawad H. Butt und Prof. Dr. John McMurray
 

Die Autoren räumen ein, dass Körpermaße, wie der Taillenumfang, schwerer zu messen seien als das Körpergewicht, speziell wenn die Messungen durch unterschiedliche Personen erfolgten. Auch dass die Messungen nur ein einziges Mal erfolgten, zu Beginn von PARADIGM-HF, stelle eine Einschränkung dar. Veränderungen von Gewicht oder Taillenumfang im Follow-up konnten so nämlich nicht berücksichtigt werden. Und auch Informationen zur kardiorespiratorischen Fitness der Teilnehmenden fehlten. All dies müsse bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden.

Assoziation bei Untergewichtigen muss noch geklärt werden

Sato und von Haehling ergänzen, dass in weiteren Studien untersucht werden müsse, ob sich die Ergebnisse auch auf Herzinsuffizienz-Patienten mit niedrigem BMI oder TGV übertragen ließen. Untergewichtige Patienten mit einem BMI unter 18,5 kg/m2 waren in PARADIGM-HF unterrepräsentiert, „sind aber genau eine dieser Populationen, die die Bedeutung des Adipositas-Paradoxes unterstreichen“.

 
Adipositas ist in Wirklichkeit mit schlechteren Outcomes assoziiert, nicht mit besseren. Dr. Jawad H. Butt und Prof. Dr. John McMurray
 

Dennoch schlussfolgern die Forschenden um Butt und McMurray: „Unsere Studie zeigt, dass es kein Adipositas-Paradoxon gibt, wenn wir das Körperfett auf eine bessere Art und Weise messen. Es waren Indizes, die nicht das Körpergewicht umfassen, wie das Taille-Größe-Verhältnis, die die wahre Beziehung zwischen Körperfett und Patienten-Outcomes in unserer Studie aufgezeigt haben. Adipositas ist in Wirklichkeit mit schlechteren Outcomes assoziiert, nicht mit besseren.“

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