Gefahren durch „Arcturus“?; Ende der Corona-Warnapp; Nocebo-Effekte erklären manche Beschwerden nach Impfungen

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

30. März 2023

Im Medscape-Corona-Newsblog finden Sie regelmäßig die aktuellen Trends zu Neuinfektionen und Belegung von Intensivstationen sowie eine Auswahl von klinisch relevanten Kurzmeldungen zur Pandemie.

Corona-Newsblog, Update vom 30. März 2023

Heute Morgen gibt das Robert Koch-Institut (RKI), Berlin, auf seinem Dashboard 30 Infektionen pro 100.000 Einwohner als 7-Tage-Inzidenz an. Am 29. März lag der Wert bei 32.

Unsere Themen heute:

  • Erste Analysen: Warum „Arcturus“ gefährlich werden könnte

  • Corona-Warnapp: Das Ende naht

  • Wie Erwartungen und Erfahrungen unerwünschten Wirkungen der COVID-19-Impfung bestimmen

  • Post-/Long-COVID: Neue – und bekannte – Risikofaktoren 

  • Pflegeheime: COVID-19-Schnelltests des Personals waren sinnvoll

Erste Analysen: Warum „Arcturus“ gefährlich werden könnte

Wie Medscape im Blog berichtet hat, breitet sich neue Corona-Variante XBB.1.16 (Arcturus) weltweit aus. Noch ist es zu früh für eine klinische Bewertung. Doch Experten haben 3 Anhaltspunkte für mögliche Gefahren identifiziert:

  • Aufgrund von Mutationen in Genen des Spike-Proteins scheint Arcturus einen Selektionsvorteil gegenüber anderen Varianten zu haben. Bei einer dieser Mutationen gibt es Hinweise auf eine bessere Bindung an den ACE2-Rezeptor menschlicher Zellen. 

  • Außerdem zeigt die neue Variante Mutationen im ORF9b-Gen, welches an der Unterdrückung der körpereigenen Interferon-Antwort beteilig. Arcturus könnte sich dem Immunsystem entziehen. Wie stark das geschieht, ist unklar. 

  • Und nicht zuletzt bleibt als Frage, welchen Schutz Menschen nach einer Infektion mit früheren Varianten oder nach einer Impfung mit Wildtyp- oder Omikron-Vakzinen haben. 

„Es ist absolut nicht klar, inwiefern die vorhandene Immunität ausreicht, beziehungsweise umgangen wird, aber Aufmerksamkeit ist essenziell“, kommentiert Prof. Dr. Hajo Zeeb, Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation, Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS). „Da es ein globales Geschehen ist und bleibt, kann man nur zustimmen, wenn der Blick dorthin geht, wo sich neue Varianten ausbreiten oder gefunden werden, wie jetzt in Indien.“

Corona-Warnapp: Das Ende naht

In Berlin werden Planungen, wie das Ende der Corona-Warnapp aussehen könnte, konkreter. Schon Ende April soll die Warnfunktion inaktiviert werden. Nutzer können nach einem positiven Test bald keine anderen Menschen mehr warnen. Und ab Mai laufen technische Vorbereitungen im Hintergrund, um die App ab 1. Juni in einen Ruhemodus zu versetzen. Ab dem Zeitpunkt gibt es keine technischen Aktualisierungen mehr. User können aber weiterhin ihre Impfzertifikate in der App nutzen. 

Generell bleibt die Anwendung auf Servern im „Schlafmodus“; sie wird nicht entfernt. Sollte sich die pandemische Lage zuspitzen, kann sie – nach jetzigem Stand – in kurzer Zeit reaktiviert werden. 

Wie Erwartungen und Erfahrungen unerwünschten Wirkungen der COVID-19-Impfung bestimmen

Bundesweit sind immer noch 18,4 Millionen Einwohner (22,1% der Bevölkerung) nicht geimpft. Nur woran könnte es liegen? Damit haben sich in den letzten Jahren etliche Forschergruppen befasst. Sie fanden heraus, dass die Akzeptanz stark von der Sorge vor unerwünschten Wirkungen beeinflusst wird. Die Forschung zu Nocebo-Effekten legt nahe, dass Befürchtungen die Symptombelastung verstärken können. Genau das trifft zu, wie Forscher jetzt in JAMA Network Open berichten.

Im Rahmen einer prospektiven Kohortenstudie haben die Wissenschaftler Assoziationen von starken Beschwerden nach der 2. Impfung mit folgenden Aspekten untersucht:

  • Erwartungen der Teilnehmer zu Vorteilen und Risiken der Impfung,

  • eigene Erfahrungen zu unerwünschten Reaktionen nach der 1. Impfung,

  • unerwünschte Impfreaktionen im sozialen Umfeld der Befragten.

Eingeschlossen wurden 7.771 Personen, die zwischen dem 16. und 28. August 2021 ihre 2. Dosis eines mRNA-Vakzins erhalten hatten. Von ihnen beantworteten 5.370 den Fragebogen nicht, 535 machten unvollständige Angaben, und 188 wurden ausgeschlossen. Die Forscher konnten insgesamt 10.447 Angaben von 1.678 Personen auswerten. Das Durchschnittsalter betrug 34 Jahre, und 862 (51,4%) waren Frauen.

Hier zeigte sich: Das Risiko für schwerere unerwünschte Wirkungen nach der 2. Impfung war niedriger bei Personen, die höhere Erwartungen in die Impfung hatten (OR 0,72, 95%-KI 0,63-0,83, p<0,001).

Höhere Risiken für Impfreaktionen hatten Probanden, die

  • stärkere unerwünschte Effekte der Impfung erwarteten, aus welchem Grund auch immer (OR 1,39, 95%-KI 1,23-1,58, p<0,001),

  • stärkere Beschwerden nach der 1. Impfung hatten (OR 1,60, 95%-KI 1,42-1,82, p<0,001),

  • höhere Werte auf der Somatosensory Amplification Scale hatten (OR, 1,21, 95%-KI 1,06-1,38, p=0,004; der Score erfasst, ob Menschen normale somatische und viszerale Empfindungen als gefährlich oder störend empfinden),

  • als Vakzin mRNA-1273 (Moderna) statt BNT162b2 (BioNTech/Pfizer) erhielten (OR, 2,45, 95%-KI  2,01-2,99, p<0,001).

„In dieser Kohortenstudie traten in der 1. Woche nach der COVID-19-Impfung mehrere Nocebo-Effekte auf“, schreiben die Forscher. „Der Schweregrad der systemischen unerwünschten Wirkungen war nicht nur mit der impfstoffspezifischen Reaktogenität assoziiert, sondern auch mit negativeren Vorerfahrungen der 1. COVID-19-Impfung, mit negativeren Erwartungen an die Impfung und mit der Tendenz, normale Körperempfindungen als schwerwiegend statt als normal zu bewerten.“ Bleibt als Forderung der Wissenschaftler, für Impfkampagnen Informationen über COVID-19-Impfstoffe zu optimieren.

Post-/Long-COVID: Neue – und bekannte – Risikofaktoren 

Nach wie vor gibt es keine evidenzbasierten Therapien gegen Post-/Long-COVID. Millionen Menschen sind Schätzungen zufolge beeinträchtigt. Damit bleibt nur als Strategie, Risikofaktoren zu identifizieren. Für mehr Evidenz sorgt eine neue, in  JAMA Internal Medicine  veröffentlichte Review und Metaanalyse. 

Die Recherche ergab 5.334 Treffer, von denen 255 Artikel einer Volltextauswertung unterzogen wurden. Die Autoren schlossen 41 Artikel mit insgesamt 860.783 Patienten in ihre Analyse ein. 

Dabei war das weibliche Geschlecht (OR 1,56; 95%-KI 1,41-1,73), das Alter (OR 1,21; 95%-KI 1,11-1,33), ein hoher BMI (OR 1,15; 95%-KI 1,08-1,23) und Rauchen (OR 1,10; 95%-KI 1,07-1,13) mit einem erhöhten Risiko für Long-/Post-COVID verbunden. Diverse Komorbiditäten sowie ein früherer Krankenhausaufenthalt waren ebenfalls mit einem hohen Risiko assoziiert (OR 2,48, 95%-KI 1,97-3,13 bzw. OR 2,37; 95%-KI 2,18-2,56).

Patienten, die mit 2 Dosen gegen COVID-19 geimpft worden waren, hatten ein deutlich geringeres Risiko, an Long-/Post-COVID zu erkranken, als Patienten, die nicht geimpft worden waren (OR 0,57; 95%-KI 0,43-0,76).

Pflegeheime: COVID-19-Schnelltests des Personals waren sinnvoll

Trotz der Einführung von Schnelltests bei Mitarbeitern in Pflegeeinrichtungen gab es bislang nur wenige Erkenntnisse über den Nutzen für Bewohner. Resultate einer Untersuchung haben Forscher jetzt im  New England Journal of Medicine  veröffentlicht. 

Anhand von Daten aus den Jahren 2020 bis 2022 haben sie eine retrospektive Kohortenstudie mit Angestellten aus 13.424 Pflegeeinrichtungen während der 3 Pandemieperioden durchgeführt: vor Zulassung der Impfstoffe, vor der B.1.1.529(Omikron)-Welle und während der Omikron-Welle.

Während des gesamten Studienzeitraums wurden 519,7 COVID-19-Fälle pro 100 potenzielle Ausbrüche bei Bewohnern von Einrichtungen mit hohen Testquoten gemeldet, verglichen mit 591,2 Infektionen bei Bewohnern von Einrichtungen mit niedrigen Testquoten (bereinigte Differenz -71,5; 95%-KI -91,3 bis -51,6). Dabei kam es in Einrichtungen mit hohen Testraten zu 42,7 Todesfällen pro 100 potenzielle Ausbrüche, verglichen mit 49,8 Todesfällen in Einrichtungen mit niedrigen Testraten (bereinigte Differenz -7,1; 95%-KI -11,0 bis -3,2). 

Vor der Verfügbarkeit des Impfstoffs gab es in Einrichtungen mit hohem und niedrigem Testaufkommen 759,9 bzw. 1.060,2 Infektionen pro 100 potenzielle Ausbrüche (bereinigte Differenz -300,3; 95%-KI -377,1 bis -223,5) und 125,2 bzw. 166,8 Todesfälle (bereinigte Differenz -41,6; 95%-KI -57,8 bis -25,5). Während der Omikron-Welle war die Zahl an Todesfällen in beiden Gruppen ähnlich – aufgrund von Impfungen. 

„Mehr Tests des Personals in qualifizierten Pflegeeinrichtungen waren mit einem klinisch bedeutsamen Rückgang der Covid-19-Fälle und Todesfälle unter den Bewohnern verbunden, insbesondere vor der Verfügbarkeit des Impfstoffs“, schreiben die Autoren. 

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Kommentar

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