Jeder 3. Hausarzt über 60 und kaum Nachwuchs: Hausärzteverband schlägt Alarm wegen schleppender Reform des Medizinstudiums

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

29. März 2023

Die Situation in der hausärztlichen Versorgung spitzt sich zu: „Derzeit sind bundesweit tausende Hausarztsitze nicht besetzt, insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen“, berichtet Finia Schultz, Sprecherin des Deutschen Hausärzteverbandes. Schon jetzt sei die Nachfrage nach hausärztlicher Versorgung sehr hoch, auch aufgrund des demografischen Wandels.

„Die Folgen dieser Entwicklung spüren die Hausärztinnen und Hausärzte wie auch ihre Mitarbeitenden täglich in ihren Praxen, dort ist die Arbeitsbelastung seit Jahren auf einem sehr hohen Level. Dass in naher Zukunft die sogenannten ‚Babyboomer‘ in Rente gehen, wird das Problem weiter verschärfen“, erklärt Schultz.

 
Derzeit sind bundesweit tausende Hausarztsitze nicht besetzt, insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen. Finia Schultz
 

Ziel des bereits 2017 verabschiedeten Masterplans Medizinstudium 2020 ist unter anderem, die Allgemeinmedizin stärker im Studium zu verankern. Aus Sicht des Hausärzteverbandes ist das eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, mehr Medizinstudierende für eine Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin und somit für den Hausarztberuf zu gewinnen. Doch genau an dessen Umsetzung hakt es.

 
Seit mehreren Jahren verschleppen die Länder die dringend notwendige Reform des Medizinstudiums und blamieren sich dabei bis auf die Knochen. Dr. Markus Beier
 

„Seit mehreren Jahren verschleppen die Länder die dringend notwendige Reform des Medizinstudiums und blamieren sich dabei bis auf die Knochen. Jede und jeder, der daran mitwirkt, dass der Masterplan Medizinstudium 2020 auch im Jahr 2023 immer noch nicht umgesetzt wurde, trägt eine Mitverantwortung, wenn in 10 oder 15 Jahren nicht mehr genügend Hausärztinnen und Hausärzte da sind, um die Versorgung sicherzustellen,“ betont Dr. Markus Beier, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, in einer Stellungnahme.

Ist die Zukunft der hausärztlichen Versorgung nicht wichtig genug?

Da es zwischen den Gesundheits- und Kultusministern der Länder seit Jahren Streit um die Finanzierung der Reform gibt, wäre die Ministerpräsidentenkonferenz eine gute Gelegenheit gewesen, das Thema unter den Länderchefs zu erörtern und gemeinsam einer Lösung zuzuführen, so Beier. Dem Vernehmen nach sei das zwar vorgesehen gewesen, letztlich sei das Thema dann aber doch nicht auf die die Tagesordnung gesetzt worden. Geplant ist jetzt, das Thema erneut auf der Ebene der Gesundheits- und Kultusminister zu besprechen.

„Die Gesundheits- und Kultusminister drehen sich seit Jahren im Kreis. Jetzt liegt das Thema erneut bei ihnen auf dem Schreibtisch, weil ihre Chefinnen und Chefs die Zukunft der hausärztlichen Versorgung anscheinend für nicht wichtig genug erachten. Man muss den Eindruck gewinnen, dass die Länder die Reform absichtlich verschleppen“, sagt Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth, stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes.

 
Die Umsetzung des Masterplans Medizinstudium 2020 ist kein Nice-to-have. Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth
 

Dass der Masterplan seit Jahren nicht vorankomme, weil sich die Länder nicht auf die Finanzierung einigen könnten, sei „ein Skandal“, so Schultz. Dabei sollte jedem bewusst sein, dass eine Schwächung der hausärztlichen Versorgung eine Katastrophe mit massiven Folgen für die Qualität der Versorgung wäre. Zudem würden Facharztpraxen und Notaufnahmen noch stärker belastet, die Versorgung insgesamt teurer.

Buhlinger-Göpfarth forderte die Länder erneut auf, ihre Blockadehaltung aufzugeben und die Reform endlich in die Wege zu leiten: „Die Umsetzung des Masterplans Medizinstudium 2020 ist kein Nice-to-have, sondern sie ist die Voraussetzung dafür, dass sich die Menschen auch in Zukunft auf eine hochwertige hausärztliche Versorgung verlassen können. Die Kosten einer wegbrechenden hausärztlichen Versorgung werden die potenziellen Kosten der Reform um ein Vielfaches übersteigen. Es ist geradezu erschreckend, wie kurz die Verantwortlichen hier offensichtlich denken“, so Buhlinger-Göpfarth.

Gut ein Drittel der Hausärzte ist über 60 Jahre alt

Immer weniger Mediziner sind bereit, sich als Vertragsarzt, vor allem in ländlichen Gebieten, niederzulassen. Vor allem Hausärzte haben Schwierigkeiten, einen Nachfolger zu finden, so die KBV. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Budgetierung, zunehmende Bürokratisierung und eine schwache Infrastruktur auf dem Land gehören dazu.

Die KBV hatte bereits 2016 in einer Modellrechnung ermittelt, dass die Nachfrage nach ärztlicher Versorgung bis zum Jahr 2030 moderat ansteigen, das ärztliche Angebot jedoch sinken wird. Besonders betroffen ist dabei die Gruppe der Hausärzte und der fachärztlichen Grundversorger.

 
Das Interesse der Medizinstudierenden am Hausarztberuf nimmt weiter zu, was sich auch an der Zahl der Facharztanerkennungen in der Allgemeinmedizin widerspiegelt. Finia Schultz
 

Hinzu kommt die Überalterung der Gesellschaft, die sich auch in der Ärzteschaft spiegelt. In der hausärztlichen Versorgung lag der Anteil der über 60-Jährigen im Jahr 2021 mit 36,5% besonders hoch.

Auch positive Trends

Dennoch lassen sich auch positive Trends beobachten, erinnert Schultz. „Das Interesse der Medizinstudierenden am Hausarztberuf nimmt weiter zu, was sich auch an der Zahl der Facharztanerkennungen in der Allgemeinmedizin widerspiegelt.“ Auch Teile der Politik scheinen den Handlungsbedarf erkannt zu haben und zeigten Bemühungen, die hausärztliche Versorgung auch langfristig zu stärken.

 
Noch kann das Ruder herumgerissen werden, die Konzepte liegen seit langem auf dem Tisch – müssen jetzt aber endlich angepackt und umgesetzt werden. Finia Schultz
 

Ob alle Akteure allerdings die Dringlichkeit der Situation erkannt hätten, sei gerade mit Blick auf den Masterplan Medizinstudium 2020 zu bezweifeln, sagt Schultz und fügt hinzu: „Noch kann das Ruder herumgerissen werden, die Konzepte liegen seit langem auf dem Tisch – müssen jetzt aber endlich angepackt und umgesetzt werden.“

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