Obwohl Studien einen Rückgang der Zahl an Fällen mit klinischer Demenz in den USA zeigen, bleibt die Zahl an neurodegenerativen Pathologien unverändert hoch. Das zeigt eine kürzlich in JAMA Neurologyveröffentlichte Studie [1].
Die Resultate hätten „wichtige Auswirkungen für das Verständnis von Demenz“, erklären die Autoren. Denn viel spräche dafür, dass „alle Verbesserungen bei der klinischen Demenz über die Zeit wahrscheinlich mit einer verbesserten Widerstandsfähigkeit gegenüber den Pathologien verbunden sind“.
Pathologische Befunde – aber keine klinischen Symptome
Die Hauptautorin der Studie Dr. Francine Grodstein vom Rush Alzheimer's Disease Center in Chicago erklärte, Resilienz in dem Zusammenhang bedeute, dass keine klinischen Demenzsymptome aufträten, obwohl eine signifikante Pathologie vorliege, von der man erwarten würde, dass sie mit solchen Symptomen einhergehe.
„Wir glauben, dass bestimmte Faktoren diese Resilienz … begünstigen können, wobei einer der wichtigsten die Bildung ist“, fügt sie hinzu. „Aber die Resilienz könnte auch von anderen psychischen, biologischen oder verhaltensbezogenen Faktoren wie etwa Angst beeinflusst werden.“
Grodstein: „Unsere Ergebnisse deuten nicht darauf hin, dass eine veränderte Pathologie die Unterschiede bei der klinischen Demenz vollständig erklärt.“ Weitere Forschung sei wichtig, um solche Phänomene zu verstehen. „Die Ergebnisse stützen … die wachsende Akzeptanz der kognitiven Resilienz als Präventionsstrategie gegen eine Demenz.“
Unterschiede bei der zerebrovaskulären Pathologie
Die Studie zeigt auch, dass sich die meisten pathologischen Alzheimer-Kennzeichen scheinbar im Laufe der Zeit nicht verändern, dafür aber die zerebrovaskuläre Atherosklerose-Pathologie deutlich abnahm.
„Die Verringerung der zerebrovaskulären Pathologie ist sehr ermutigend und bestätigt, dass wir unsere Bemühungen … weiter verstärken müssen, um die Schlaganfallinzidenz zu senken, sprich die Zahl an Patienten mit Risikofaktoren wie Diabetes, Adipositas und Hypertonie zu verringern“, sagte Grodstein.
„Wir vermuten aber auch, dass dies den Trend nicht vollständig erklärt und die kognitive Belastbarkeit ebenfalls eine Rolle spielen könnte“, so Grodstein weiter.
„In letzter Zeit gab es ein großes Interesse an den Versuchen, die mit der Alzheimer-Krankheit verbundenen pathologischen Erscheinungen zu beeinflussen, wobei man zumindest nach aktuellem Stand nicht sehr erfolgreich war. Parallel dazu gibt es aber auch ein großes Interesse an der kognitiven Widerstandskraft.Wenn wir es nicht schaffen, die Pathologie zu verändern, dann lässt sich vielleicht herausfinden, wie wir die Resilienz gegenüber dieser Pathologie stärken können.“
In der Studie erklären die Autoren, in letzter Zeit hätten mehrere US-Studien auf einen möglichen Rückgang bei den Demenz-Inzidenzen hingewiesen. Allerdings seien die Daten dazu nicht ganz einheitlich.
Studien zur Häufigkeit von Demenzerkrankungen können jedoch keine eindeutigen Mechanismen aufzeigen, durch die sich Erkrankungsraten verändern. Um Strategien zur Risikominderung zu entwickeln, sei eben die Charakterisierung der Pathomechanismen unerlässlich, so das Team.
„Die Auswertung von Trends in der Neuropathologie gibt Aufschluss über Veränderungen in den mit der Demenz zusammenhängenden Signalwegen. Da zudem neuropathologische Erscheinungen in einem alternden Gehirn (mit und ohne klinische Demenz) allgegenwärtig sind, spiegelt die neuropathologischen Untersuchungstrends ein breiteres Spektrum an Krankheitszuständen wider, als dies bei reiner Konzentration auf die klinische Demenz der Fall wäre“, heißt es im Artikel.
Umfangreiche Auswertung neuropathologischer Daten
Die Gruppe um Grodstein konnte einzigartige Kohorten nutzen: Personen hatten sich dazu bereit erklärt, während ihres gesamten Lebens und auch nach ihrem Tod für Untersuchungen zur Verfügung zu stehen.
Für die aktuelle Studie betrachteten Forscher die Entwicklung von Neuropathologien in 2 US-Kohorten mit Autopsiedaten aus den Jahren 1997 bis 2022 mit einem Follow-up von bis zu 27 Jahren. Konkret untersuchten sie die Unterschiede bei den Neuropathologien von 1.554 Personen in 4 verschiedenen Geburtszeiträumen: 1905 bis 1914, 1915 bis 1919, 1920 bis 1924 und 1925 bis 1930.
Die Ergebnisse ließen zwischen den Geburtsjahrgangsgruppen keine Unterschiede bei der Alzheimer-Prävalenz oder bei den Durchschnittswerten der globalen Alzheimer-Pathologie erkennen.
Im Gegensatz dazu waren die Ausprägungen der zerebralen Atherosklerose und der Arteriosklerose im Laufe der Zeit dramatisch zurückgegangen. So reichte die altersstandardisierte Prävalenz der mäßigen bis schweren Atherosklerose von 54% bei den zwischen 1905 und 1914 Geborenen bis zu 22% bei den Geburtsjahrgängen 1925 bis 1930.
Wie lässt sich die Resilienz erklären?
„Wir haben verschiedene neurodegenerative Pathologien untersucht und keine Hinweise darauf gefunden, dass sie im Laufe der Zeit zurückgegangen wären. Dieser Umstand ist von großer Bedeutung, denn Veränderungen in der Pathologie scheinen nicht der Grund für eine mögliche Veränderung der klinischen Symptomatik der Erkrankung zu sein“, sagt Grodstein. „Die Schlussfolgerung daraus ist vielmehr, dass zwar eine Pathologie vorliegt, aber dass es auch eine zunehmende Resilienz gegenüber dieser gibt.“
„Da neurodegenerative Pathologien die stärksten pathologischen Determinanten der Kognition und der klinischen Demenz zu sein scheinen“, so die Forschenden, „ist jeder Rückgang einer Demenz im Sinne einer kognitiven Funktionsverbesserung und eines geringen (wenn auch nicht signifikanten) Rückgangs der klinischen Alzheimer-Demenz wahrscheinlich durch nicht degenerative Mechanismen zu erklären.“
Und weiter: „So ist etwa eine erhöhte Widerstandsfähigkeit gegenüber den neuropathologischen Erscheinungen mit zunehmender Dauer plausibel. In der Tat hat sich in mehreren Kohorten gezeigt, dassgeistige und intellektuelle Anregung als Faktoren der kognitiven Resilienz offensichtliche zeitliche Trends in der Demenzinzidenz abschwächen und gegen eine Demenz wirksam sein könnten.“
Andere Ergebnisse zeigten im Laufe der Zeit eine unerwartete Erhöhung der neurofibrillären Tau-Tangle-Dichte (Alzheimer-Fibrillen). Die Forschenden stellen fest, dass die Tau-Pathologie ein Hauptgrund für den kognitiven Verfall und die Demenz zu sein scheine. Dieses Ergebnis unterstütze „die Wahrscheinlichkeit einer mit der Zeit zunehmenden Resilienz gegenüber der Pathologie weiter“.
Zum Rückgang der zerebrovaskulären Erkrankungen, der in der Studie beobachtet wurde, sagten die Forschenden: „Dies ist wahrscheinlich Ausdruck des gleichzeitigen Rückgangs der klinischen vaskulären Morbidität und Mortalität seit etwa der Mitte des 20. Jahrhunderts.“
„Darüber hinaus unterstreicht der auffällige Rückgang der Athero- und der Arteriolosklerose im Gehirn die Auswirkungen der allgemeinen Bemühungen um eine Verbesserung der Gesundheit der Gefäße auf die Alterung des Gehirns und die Bedeutung einer Intensivierung dieser Anstrengungen. Denn nach den jüngsten Daten bleibt die Schlaganfallinzidenz unverändert, was möglicherweise auf die landesweit anhaltende Zunahme der Adipositas und des Typ-2-Diabetes zurückzuführen ist.“
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus https://www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Credits:
Photographer: © Atthapon Raksthaput
Lead Image: Dreamstime
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Diesen Artikel so zitieren: Keine Symptome trotz typischer Pathologie im Gehirn – wie erklären Forscher die Alzheimer-Resilienz? - Medscape - 24. Mär 2023.
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