Durch ihr eigenes Outing als Mitarbeitende an der Charité stellte Charlotte-Ariane Krumbholz fest, wie groß der Bedarf bei Vorgesetzten, Personalvertretern und Vorstandsmitgliedern ist, sich im Umgang mit Transgender, intergeschlechtlich geborenen Menschen und non-binären Personen zu informieren.

Charlotte-Ariane Krumbholz
©Robert Lehmann, Lichtbilder-Berlin.de
Charlotte-Ariane Krumbholz ist Pflegeperson, Beauftragte/r für geschlechtliche Vielfalt, Personalrätin (seit 2020) und erste stellvertretende Vorsitzende des Gesamtpersonalrats, Krankenpflegekommission und Strategiebotschafterin – Charité 2030 *. Sie berät und begleitet Mitarbeitende sowie Patientinnen und Patienten und deren Angehörige. In ihren Vorträgen möchte sie Medizinstudierende und andere Personen für das Thema sensibilisieren.
Medscape wollte im Interview wissen, welchen Problemen die Betroffenen im Medizinbetrieb begegnen und wie Ärzte und Ärztinnen mit trans und inter Patienten und Kollegen einen korrekten Umgang pflegen können. (*Anm. d. Red.: Geschlechts-neutrale Bezeichnungen einer Person sowie die Anrede mit Vor- und Nachnamen werden hier genutzt, um die Geschlechtsdiversität der interviewten Person zu berücksichtigen.)
Medscape: Was fällt Ihnen am Umgang mit trans und inter Personen in der Medizin auf?
Krumbholz: Es gibt viel Unsicherheit und Unwissen. Oft kommt es zu unbeabsichtigten Fehlhandlungen, weil eine Situation noch nie bedacht wurde. Zum Beispiel, wenn eine Person mit weiblichem Genital zur Behandlung kommt, aber nach dem Erscheinungsbild ein Mann ist. In welchen Raum oder auf welcher Station soll die Person untergebracht werden?
Das Wissen fehlt besonders im Umgang mit intergeschlechtlichen Körpervarianten. Inter-Kinder werden zwanghaft zugeordnet und als Junge bzw. Mädchen mit einem Defekt bezeichnet und nicht als Inter-Kind. Früher erfolgte dies stärker als heute.
Es gibt in der Medizin auch keine direkte Kompetenzperson, sondern die Thematik fällt zum Teil in die Endokrinologie, Urologie oder Gynäkologie.
Medscape: Wie erklären Sie sich diese Wissenslücken?
Krumbholz: Tatsächlich sind wir gesellschaftlich schon viel weiter als die Medizin. In der Gesellschaft ist es zum Teil mittlerweile anerkannt, dass es Menschen mit abweichender Geschlechtsidentität gibt. In der Psychologie ist die Thematik bekannt, da eine psychotherapeutische Begleitung für die Kostenübernahme durch die Krankenkassen bei Behandlungen nötig ist.
Aber z.B. bei dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) sind Geschlechtsvariationen außerhalb des binären Geschlechtersystems nicht vorgesehen. Non-binäre Personen gibt es in der Gesellschaft, aber in der medizinischen Versorgung werden sie nicht abgebildet.
Medscape: Was sind die Folgen?
Krumbholz: Die Menschen ziehen sich zurück, auch, weil sie schlechte Erfahrungen machen. Sie kommen in eine Praxis, zum Beispiel zum Urologen mit einem Versorgungswunsch – eine trans Frau, die aber eine Prostata hat, die untersucht werden müsste. Die Menschen erleben es, dass sie in der Praxis nicht ernst genommen werden oder schon bei der Anmeldung abgewiesen werden. Diese Personen nehmen nicht mehr an den Vorsorgeuntersuchungen teil, es entsteht eine große Versorgungslücke.
Intergeschlechtlichen Personen werden Informationen und Behandlungen oft vorenthalten. Es gibt Fälle, in denen Kinder operiert, aber darüber nie aufgeklärt wurden. Das Vertrauen ist weg, diese Menschen gehen nicht mehr zum Arzt.
Medscape: Sie halten Vorträge für Medizinstudenten. Was raten Sie ihnen?
Krumbholz: Ich möchte darüber aufklären, wie trans und inter Menschen das System empfinden. Was kann ich als Medizinerin oder Mediziner tun, um hier eine gute Versorgung zu gewährleisten? Zum Beispiel sollte die ärztliche Person* klären, wenn die Stimme männlich ist, aber die Person weiblich, wie die Person angesprochen werden möchte und wie sie sich selbst sieht. Sie sollten gut zuhören und das annehmen, was die Person sagt. Die Sprache macht hier sehr viel aus.
(*Anm. d. Red.: Die interviewte Person legt Wert auf gender-neutrale Sprache, weshalb wir hier den Begriff ärztliche Person verwenden.)
Kommunikation bildet eine vertrauensvolle Basis. Wenn jemand mit Schmerzen in die Praxis kommt, muss die Person auch ernst genommen werden. Die ärztliche Person sollte vermitteln: „Ich höre dir zu, ich nehme dich an, so wie du bist, auch wenn etwas anderes auf dem Papier steht.“ Gendern und die richtige Ansprache sind ein Anfang und auch meinen Namen oder mein Pronomen zu nennen.
Medscape: Sollte die ärztliche Person immer nach dem Pronomen fragen?
Krumbholz: Wenn es nicht eindeutig: ja, auf jeden Fall. Am Anfang passieren vielleicht Fehler, oder es kommt zu Missverständnissen. Das ist nicht schlimm. Spätestens, wenn die Person das anspricht und anders wünscht, muss es die Möglichkeit geben, dies anzunehmen und umzusetzen.
Menschen müssen auch nicht immer mit Herr oder Frau angesprochen werden. Man kann den Vornamen und den Nachnamen benutzen und somit auch Menschen zwischen den Geschlechtern ansprechen.
Die wichtigsten Begriffe zur Geschlechtsvielfalt
• Transgeschlechtlich sind Personen, deren Identität abweichend ihres bei der Geburt zugeordneten Geschlechts ist.
• Intergeschlechtliche Personen sind Menschen, deren geschlechtliches Erscheinungsbild von Geburt an, hinsichtlich der Chromosomen, der Keimdrüsen, der Hormonproduktion und der Körperform, nicht ausschließlich männlich oder weiblich ausgeprägt ist, sondern scheinbar eine Mischung darstellt.
• Non-binär ist eine Sammelbezeichnung für Geschlechtsidentitäten aus dem Transgender-Spektrum, die weder ausschließlich männlich noch weiblich sind, und sich außerhalb der binären Geschlechterordnung befinden.
• Queer bezeichnet Personen, die durch ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtlichkeit von der entsprechenden gesellschaftlichen Norm abweichen.
(Quelle: Charité)
Medscape: Mit welchen Problemen kommen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Ihnen?
Krumbholz: Ich berate einzelne Bereiche der Klinik, aber auch Mitarbeitende kommen zu mir, die z.B. non-binär sind und nicht auf die Herren- oder Frauentoilette gehen möchten. Ich berate Patientinnen und Patienten, die sich an der Charité behandeln lassen möchten und Sorge haben, dass ihr Geschlecht nicht richtig beachtet wird. Die meisten wollen wissen, wie sie mit etwas umgehen sollen oder haben Fragen zu den Pronomen und zur Nomenklatur.
Ich berate auch ganze Bereiche, die mit der Thematik in Kontakt kommen, oder Funktionsbereiche, die mit Patientendaten umgehen. Manchmal geht es um technische Probleme, z.B. kann mit unserer Software der Vor- oder Nachname der Patienten oder des Mitarbeitenden nicht frei nach Wunsch geändert werden. Die Daten werden immer wieder überschrieben. Aber eine neue Softwarelösung ist sehr teuer, weil es das ganze Kliniksystem betrifft.
Medscape: Wie helfen Sie den Personen weiter?
Krumbholz: Ich versuche ihnen Ratschläge zu geben, sodass das Team oder die Abteilung dies untereinander regeln kann. Ich möchte niemandem etwas vorschreiben. Alle Bedürfnisse zusammenzuführen, das ist das Ziel. Bisher haben wir gute Ergebnisse erzielt. Arbeitsprozesse ändern sich, Gender-konforme Sprache wird genutzt.
Aus einer Mutter-Kind-Station wurde z.B. eine Eltern-Kind-Station. Das bedeutet nicht nur, dass auch Väter hingehen dürfen, sondern auch Nicht-Mütter und Nicht-Väter. Personen, die das betrifft, sehen diese Veränderungen.
Medscape: Hat die Charité eine Vorreiterrolle in Deutschland?
Krumbholz: Mein Eindruck ist, dass die Charité vielleicht eine Vorreiterrolle hat, aber das ist nicht die Intention meiner Arbeit. Es sind notwendige Veränderungen und kein Wettkampf. Es scheint aber so zu sein, dass wir in eine Richtung gehen, die fortschrittlich ist.
Geschlechter-gerechte Sprache ist schon auf verschiedenen Ebenen an der Charité mit einbezogen, wir haben uns festgelegt und setzen das um.
Natürlich gibt es auch Widerstand. Geschlechtliche Eindeutigkeit ist auch ein Privileg. Wenn Menschen von etwas nicht betroffen sind und Dinge für sie kein Problem darstellen, müssen sie sich damit nicht beschäftigen, sie sehen und verstehen das nicht. Ich sehe immer wieder Probleme, aber das ist genau meine Aufgabe.
Medscape: In ihrer Signatur weisen Sie auf ihre Pronomen (kein Pronomen bzw. alternativ: sie/ihre) und die gewünschte Anrede hin. Wie wird das angenommen?
Krumbholz: Meine Signatur wird gut angenommen von aufmerksamen Menschen. Menschen, die das betrifft, reflektieren das und melden sich bei mir. Ich hätte gerne, dass jede/r an der Charité ihre/seine Pronomen in die Signatur schreibt. Denn Diversität betrifft auch andere Bereiche, nicht nur die Geschlechtsthematik. Es gibt Namen von Menschen aus anderen Ländern, bei denen das Geschlecht nicht erkennbar ist, der Vorname „Andrea“ im Italienischen ist so ein Beispiel.
Medscape: Für Kliniken und Arztpraxen ist Diversität wichtig, weil sie Arbeitskräfte brauchen. Wie entsteht ein Diversitäts-freundliches Arbeitsklima?
Krumbholz: Ich halte Vorträge auch vor Unternehmen über Strategieprozesse und die Möglichkeiten interner Schulungen. Geschlechter-gerechte Kommunikation ist eines der ersten Instrumente. Unternehmen können Diversitätskonzepte auch als Wirtschaftsfaktor betrachten. Mit der Versorgung von trans und inter Personen in einer Klinik werden auch Einnahmen generiert.
Geschlecht ist aber nur ein Teil der Diversitäts-Dimension. Ein Unternehmen muss alle Dimensionen betrachten, sonst hat es die Ressource Mensch vielleicht ausgegrenzt, die es braucht, um bestes Unternehmen zu sein. Das betrifft die Geschlechtsidentität, die Sprache und die Herkunft. Jede Person muss vertrauensvoll behandelt werden. Und ich muss ihr auch einen Arbeitsplatz bieten.
Medscape: Was ist Ihnen persönlich am wichtigsten?
Krumbholz: Mir persönlich liegt der Umgang mit inter Kindern am Herzen. Seit 2021 gibt es das Operationsverbot, welches nicht notwendige Operationen an minderjährigen intersexuellen Kindern verbietet. Aber es gibt Menschen, die vor 2021 zwanghaft operiert wurden. Viele Generationen sind davon betroffen, man hat ihnen bei der Geburt die Unversehrtheit des Körpers als Grundrecht aberkannt. Das ist sehr schmerzlich.
Die Versorgungslage für inter Menschen ist teilweise katastrophal, für trans Menschen ist sie auch nicht rosig. Nur weil alle darüber reden, ist es noch nicht gut.
Medscape: Vielen Dank für das Gespräch!
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Credits:
Photographer: © Juan Moyano
Lead image: Dreamstime.com
Medscape © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Zuhören und annehmen: So gelingt der freundliche Umgang mit trans und inter Personen in der Medizin - Medscape - 22. Mär 2023.
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