Ärzten fällt es oft schwer, Patienten mitzuteilen, dass sie sich bei einer Diagnose unsicher sind. Möglicherweise fürchten sie, das Vertrauen ihrer Patienten zu verlieren. Nur ist die Unsicherheit bei Diagnosen ein Teil der Medizin – und eben unvermeidbar. In JAMA Network Open berichten Forscher jetzt, welche Möglichkeiten es gibt, dies auch zu vermitteln. Grundlage ihrer Veröffentlichung sind Befragungen von Ärzten und Patienten [1].
Erfolgreiche Kommunikation – auch bei Unsicherheiten
„Es ist oft unklar, was wirklich los ist. Manche Patienten haben nur unspezifische Symptome“, sagt Dr. Gordon D. Schiff von der Harvard Medical School und vom Brigham and Women's Hospital in Boston, USA.
Schätzungen zufolge entlassen Ärzte mehr als 1 Drittel der Patienten ohne klare Diagnose aus der Notaufnahme. Behandler können zwar weitere Tests oder Untersuchungen anordnen, um mehr Gewissheit zu haben. Aber diese Methode führt nicht immer zum Erfolg und kann höhere Kosten im Gesundheitswesen nach sich ziehen. Alternativ können Ärzte Unsicherheiten bei der Diagnose als Chance nutzen, um Gespräche mit den Patienten zu verbessern, sagt Schiff.
„Doch wie spricht man mit Patienten darüber? Wie vermittelt man das?“, lautet Schiffs zentrale Frage. Um eine Antwort zu finden, entwickelte er zusammen mit Kollegen 4 klinische Szenarien mit unklaren Diagnosen. Dazu gehörte u.a. ein vergrößerter Lymphknoten bei einem Patienten, der wegen eines Lymphoms in Remission war, was auf ein Rezidiv der Krankheit hindeuten kann, aber nicht unbedingt muss. Hinzu kommen ein Patient mit neu auftretenden Kopfschmerzen, ein weiterer Patient mit unerklärlichem Fieber und einer mit Atemwegsinfektion.
Die Wissenschaftler sprachen nicht nur mit Hausärzten, um zu erfahren, wie sie in diesen Fällen Unsicherheiten der Diagnostik vermitteln würden. Sie fragten auch Patientenvertreter nach ihrer Meinung, wie Gespräche idealerweise verlaufen sollten. Viele hatten die Erfahrung gemacht, eine falsche Diagnose zu erhalten.
Insgesamt wurden fast 70 Personen befragt (24 Hausärzte, 40 Patienten sowie 5 Experten für Informatik, Qualität und Sicherheit).
Wichtige Elemente im Gespräch mit Patienten
Schiff und Kollegen erarbeiteten 6 standardisierte Elemente, die Teil eines Gesprächs sein sollten, falls eine Diagnose unklar ist:
Wie lautet die wahrscheinlichste Diagnose? Und welche Alternativen gibt es? Eine mögliche Formulierung: „Manchmal haben wir keine Antworten, aber wir werden weiter versuchen, herauszufinden, was los ist.“
Wie sehen die nächsten Schritte aus? Das können weitere Labortests, Untersuchungen, neue Termine, etc. sein.
Wie schnell sollten sich die Beschwerden bessern? Und wie schnell ist bestenfalls mit einer Genesung zu rechnen?
Welche methodischen Einschränkungen haben körperliche Untersuchung oder Labortests? Das sollte vollständig offen kommuniziert werden.
Wie erreichen Patienten in Zukunft ihren Arzt am besten, etwa, um neue Termine zu vereinbaren?
Wie nehmen Patienten all diese Informationen wahr? Was denken oder fühlen sie dabei?
Die Forscher empfehlen, das Gespräch digital aufzunehmen, in Echtzeit mit einer Spracherkennungssoftware zu transkribieren und anschließend auszudrucken, damit der Patient alle Informationen mit nach Hause nehmen kann. Der Arzt sollte während des Gesprächs Augenkontakt mit dem Patienten halten, schlagen sie vor.
„Patienten hatten das Gefühl, dass es sich um einen Dialog handelte und dass sie tatsächlich verstanden haben, was gesagt wurde. Die meisten fühlten sich dabei als Partner“, sagte Dr. Maram Khazen, Mitverfasserin der Studie, die sich mit Kommunikationsdynamik beschäftigt. Khazen war als Postdoktorandin bei Schiff und ist jetzt Dozentin am Max Stern Yezreel Valley College in Israel.
Ein „großartiger Anfang“
Dr. Hardeep Singh forscht am Michael E. DeBakey Veterans Affairs Medical Center und am Baylor College of Medicine in Houston, USA. Er bezeichnete die neue Arbeit als „einen großartigen Anfang“. Er sagte aber, dass die Komplexität der Thematik weitere Untersuchungen rechtfertige. Singh war nicht an der Studie beteiligt. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt ist die Patientensicherheit.
Er wies darauf hin, dass bestimmte Interessengruppen von Patienten viel Input geliefert hätten, dass diese Teilnehmer aber nicht unbedingt repräsentativ für Menschen mit unklaren Diagnosen im ärztlichen Alltag seien.
„Die Wortwahl ist wirklich wichtig“, ergänzt Singh. Er hat bei einer Studie aus dem Jahr 2018 herausgefunden, dass Menschen negativer reagierten, wenn Ärzte ihre Unsicherheit unverblümt zugaben, als wenn sie Patienten gezielt durch verschiedene mögliche Diagnosen führten. Das Modell von Schiff und Khazen biete gute Grundsätze für die Diskussion von Unsicherheiten, fügte er hinzu, aber weitere Forschung sei erforderlich, um optimale Formulierungen für Gespräche zu finden.
„Es ist wirklich ermutigend, dass wir qualitativ hochwertige Forschung wie diese haben, die Prinzipien der Patientenbeteiligung nutzt“, sagt Dr. Dimitrios Papanagnou, Arzt für Notfallmedizin und stellvertretender Dekan der Medizin an der Thomas Jefferson University in Philadelphia, Pennsylvania.
Papanagnou, der nicht an der Studie beteiligt war, rief dazu auf, Patienten mit unterschiedlichen Erfahrungen, aus unterrepräsentierten Gruppen, in die Forschung mit einzubeziehen. Schiff und Khazen sind ebenfalls der Meinung, dass das Instrument in größeren Stichproben von Patienten aus unterschiedlichen Gruppen getestet werden muss.
Einige gemeinsame Themen zur Kommunikation von Diagnoseunsicherheiten tauchen in verschiedenen Bereichen der Medizin auf. Papanagnou half bei der Entwicklung einer Checkliste für die Kommunikation von Unsicherheiten bei der Entlassung von Patienten aus der Notaufnahme nach Hause, deren Grundsätze denen ähneln, die Schiff und Khazen für Ärzte der Primärversorgung empfehlen.
Der Beitrag wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Credits:
Photographer: © Igor Mojzes
Lead Image: Dreamstime
Medscape Nachrichten © 2023 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Unsicher bei der Diagnose? Wie Sie jetzt mit Ihren Patienten sprechen sollten – 6 Tipps von Harvard-Forschern - Medscape - 22. Mär 2023.
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