Ghosting – wenn Patienten der Praxis fernbleiben: Wie gehen Kollegen damit um?

Nathalie Haidlauf

Interessenkonflikte

21. März 2023

Eine Person, die Sie lange und intensiv betreut haben, bleibt Ihrer Praxis dauerhaft fern – ohne Vorankündigung, Erklärung oder erkennbaren Grund. Wie gehen Sie mit solchen Situationen um? Wir haben uns im coliquio -Forum umgehört, wie Ihre Kolleginnen und Kollegen in solchen Fällen vorgehen.

Plötzliches Fernbleiben ohne Grund

Vermutlich jeder Arzt und jede Ärztin kennt das Phänomen: Eine Person, die man intensiv betreut hat, bleibt plötzlich der Praxis fern. Im zwischenmenschlichen Bereich spricht man hier von „Ghosting“, dem vollständigen Kontakt- und Kommunikationsabbruch ohne Ankündigung.

Auch Psychotherapeutinnen und -therapeuten erleben immer wieder solche Fälle. Aus ärztlicher bzw. therapeutischer Sicht kann dieses Verhalten unbefriedigend sein und mitunter Ärger auslösen, denn es bleibt unklar, wie sich die Krankheitsgeschichte weiterentwickelt hat und was der Grund für das Fernbleiben der Praxis ist. 

Auch unfreiwillig und trotz des Bemühens um professionelle Distanz kann es passieren, dass man das Fernbleiben persönlich nimmt und die Schuld bei sich sucht. Vor allem in den ersten Jahren der Berufstätigkeit ist das noch eine Herausforderung, wie z.B. Allgemeinmedizinerin ricbri berichtete: „Habe mir in 58 Jahren Tätigkeit nur anfangs Gedanken gemacht und den Fehler bei mir gesucht. Bin mit den Jahren gelassener geworden.“

Und chanice berichtet: „Am Anfang habe ich mich darüber geärgert. Später nicht mehr. Oft sind es Patientinnen, für die man sich besonders gemüht hat. Manchmal hat man den Grund dann über Umwege erfahren. Meist waren es merkwürdige Gründe, wie z.B., dass man zu wenig Zeit hatte (bei Patienten, die zeitlich die Sprechstunde gesprengt haben).“

Ebenfalls hilfreich beim Loslassen und Distanzgewinnen ist ein anderer Blickwinkel. Denn überdurchschnittlich häufig handele es sich beim „Ghosten“ um Patientinnen und Patienten, die selbst recht betreuungsintensiv waren. wolfgangpstellt fest: „Meine Erfahrung ist, dass v.a. solche Patienten ghosten, für die man sich maximal oft ohne oder für nur sehr wenig Entgelt bemüht hat.“ 

Ullibella stimmt zu, dass es sich vorwiegend um „Verhaltens-originelle“ Personen handelt, die plötzlich und ohne erkennbaren Grund der Praxis fernbleiben. In solchen Fällen sei es dann einfacher, das Fernbleiben nicht so schwer zu nehmen. So sieht es auch ricbri: „Bei wenigen Patienten war ich über den Wechsel nicht unglücklich, waren in der Regel die besonders strapaziösen Patienten.“

 
Bei wenigen Patienten war ich über den Wechsel nicht unglücklich, waren in der Regel die besonders strapaziösen Patienten. ricbri
 

Ist sie einmal zu, bleibt die Tür verschlossen

Die Entscheidung, nicht mehr in die Praxis zu kommen und die Behandlung nicht fortzuführen, ist das eine. Doch wie gehen Ärztinnen und Ärzte damit um, wenn genau diese Patientinnen und Patienten nach einiger Zeit ohne Erklärung zurückkommen?

chanice und viele ihrer Kolleginnen und Kollegen, die sich im Forum zu diesem Thema austauschten, lehnen das Wiederaufnehmen solcher Patientinnen und Patienten kategorisch ab. 

Nach der Erfahrung von petspei ist es hierbei wichtig, sich in solchen Fällen davon zu überzeugen, dass eine notwendige Akutbehandlung nicht vorliegt und dann sachlich und klar zu kommunizieren, dass das Vertrauensverhältnis gestört sei und eine Behandlung nur noch in Notfällen möglich sei.

Insbesondere, wenn die Patientin bzw. der Patient ohnehin zu denjenigen gehört hat, die viel Zeit kosten und Praxisabläufe behindern, sollte man das Wiederaufnehmen kritisch sehen, so katzenfutter: „Es kommt immer darauf an, warum jemand wechselt. Eine Patientin hat tatsächlich gewechselt, weil sie auf ein nicht bestelltes Rezept 10 Minuten warten musste, und auch sonst kam sie (wir sind eine Termin-Praxis!) immer ohne Termin und war dann sauer, dass sie nach 20 Minuten noch nicht dran war. Und diese Patientin würde ich auch aus den genannten Gründen (ärgert nur ständig die Anmeldung) nicht! wiederaufnehmen. Das nennt man Praxis-Hygiene.“

Andere Kolleginnen und Kollegen schließen eine Wiederaufnahme nicht kategorisch aus, sondern entscheiden von Fall zu Fall – oder betrachten es sogar als Kompliment, wenn jemand zurückkommt, so wie ibudocjw: „Die Leute können auch gerne wieder kommen, fühle mich dadurch sogar geehrt.“

Ghosting kann emotionale Belastung als Ursache haben

Dass in manchen Fällen eine emotionale Belastung der Grund für das Fernbleiben der Praxis sein kann, haben einige Kolleginnen und Kollegen erlebt. Beispielsweise, wenn die Betroffenen eine naheliegende Diagnose nicht wahrhaben wollen und daher den Kontakt abbrechen. Solche Fälle kennt ibudocjw, hausärztlich tätig, aus eigener Erfahrung: „Oft habe ich schon bemerkt, dass sie dann verschwinden, wenn es wirklich auf eine psych. Problematik hinausläuft und eine Abklärung diesbezüglich empfohlen wird („bin doch nicht verrückt“).“ 

Doch selbst wenn die psychische Verfassung der Patientin bzw. des Patienten gar nicht thematisiert wird, kann sie das Arzt-Patienten-Verhältnis belasten. Nach der Erfahrung von winbus, deutet „Ghosting“ oftmals auf eine psychische Erkrankung hin: „Die meisten ansprüchigen, fordernden und widersprüchlichen Patienten haben tiefe Schwierigkeiten mit Kontrolle, Fürsorge, Bindung und Verbindlichkeit.“

 
Die meisten ansprüchigen, fordernden und widersprüchlichen Patienten haben tiefe Schwierigkeiten mit Kontrolle, Fürsorge, Bindung und Verbindlichkeit. winbus
 

Solche Patienten wünschen sich eine Versorgung über das übliche Maß hinaus, sind schnell gekränkt und fühlen sich überfordert, wenn eine Bindung entsteht und Verbindlichkeit von ihnen gefordert wird. Die Folge: Sie brechen irgendwann ohne Erklärung den Kontakt ab und „reinszenieren damit die Ablehnung, die sie gewohnt sind“.

Auch traumatisierende Erlebnisse in der Praxis können der Grund für das Fernbleiben sein. Beispielsweise berichtet sylnlaeg (Frauenheilkunde und Geburtshilfe) von einer Patientin, die wegen Zervixinsuffizienz von ihr ins Krankenhaus überwiesen wurde und die anschließend der Praxis ganz fernblieb. Erst nach 2 oder 3 Jahren begegneten sie sich zufällig, und die Patientin erklärte, sie hätte aus psychischen Gründen nicht mehr in die Praxis kommen können, weil sie dadurch immer an die Ereignisse erinnert worden wäre. 

Ob in folgendem Fall ein ähnliches Muster dahintersteckt, wurde im Forum diskutiert: seplnerhe, tätig in der Allgemeinmedizin, hatte in der Praxis einen Notfall, der im Nachgang zum Kontaktabbruch führte, obwohl die Patientin optimal versorgt wurde. „In meiner jahrzehntelangen Tätigkeit gibt es nur einen Fall, den ich nie begriffen habe: Eine jahrelange Patientin erlitt in meiner Praxis ein akutes Rechtsherzversagen, hat es überlebt und wurde dann nie mehr bei mir gesehen.“ 

Ein nüchterner Blick hilft dabei, gelassen bleiben

Insgesamt kristallisierte sich in der Diskussion heraus, dass die meisten Ärztinnen und Ärzte versuchen, auftretende Fälle von Ghosting nicht persönlich zu nehmen. Was dabei helfen kann, ist zum einen die zunehmende Berufserfahrung und Gelassenheit. Zum anderen kann es hilfreich sein, die Perspektive zu wechseln, so sonieohtcr: „Umgekehrt betrachtet: Würden Sie sich selbst großartig Gedanken machen, wenn Sie selbst den Zahnarzt wechseln? Oder eine Zweitmeinung einholen? Ich vermute, dass die wenigsten sich große Gedanken machen.“ 

 
Umgekehrt betrachtet: Würden Sie sich selbst großartig Gedanken machen, wenn Sie selbst den Zahnarzt wechseln? Oder eine Zweitmeinung einholen? sonieohtcr
 

Ähnlich pragmatisch sieht es petspei: „Es gibt Patienten, die kommen einfach selten, manche ziehen weg, manche versterben im Krankenhaus und man bekommt keine Nachricht. Außer in den Fällen, in denen eine kontinuierliche Behandlung nicht unterbrochen werden sollte, habe ich nie nachgeforscht.“

Zu mehr Gelassenheit tragen sicherlich auch Fälle bei, in denen es tatsächlich keinen Vertrauensverlust und keinen Arztwechsel gegeben hatte, sondern der oder die Betreffende einfach die gesundheitliche Vorsorge vernachlässigte. Diese Erfahrung hat suseaug2013 gemacht: „Es gibt auch einzelne Fälle, wo der Patient nach 10 oder 20 Jahren wieder kommt, und sie waren nirgends anders, zu meinem Erstaunen, der Zahnersatz ist dann abgenutzt und muss erneuert werden. Also auch gut.“ 

Fazit: Man sollte gelassen mit dem Phänomen „Ghosting“ umgehen

Was sich an mehreren Stellen in der Diskussion herauskristallisiert: Insbesondere, wenn man neu im Beruf ist oder sich sehr viele Gedanken um eine Patientin bzw. einen Patienten gemacht hat, kann es schwerfallen, den Kontaktabbruch nüchtern zu betrachten. „In meinen jüngeren Jahren hab ich das tatsächlich persönlich genommen, weil ich es nicht besser wusste. Da ich heute die Energie dafür nicht mehr habe, bin ich etwas distanzierter und es geht mir gut damit“, so suseaug2013.

Zunehmende Berufs- und Lebenserfahrung tragen dazu bei, gelassener mit dem Phänomen „Ghosting“ umzugehen. Und gleichzeitig kann es trotz jahrelanger Erfahrung passieren, dass es einen Fall gibt, bei dem noch Fragezeichen oder sogar Selbstzweifel bleiben. Auch das ist menschlich und kein Grund zur Sorge, solange die Gesamtbilanz stimmt, meint josral: „Ich mache den Job jetzt 30 Jahre lang. Es gab auch, zumindest von denen ich es erfahren habe, sehr unterschiedliche Gründe. Ich nehme es schon lange nicht mehr persönlich. Zumindest nicht, solange viele Patienten auch wiederkommen.Sonst würde ich mir schon Gedanken machen. ;-)“ 

 
Ich nehme es schon lange nicht mehr persönlich. Zumindest nicht, solange viele Patienten auch wiederkommen. josral
 

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de.

 

Kommentar

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