Verschiedene reproduktive Faktoren in der Vorgeschichte von Frauen scheinen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (CVD) zu beeinflussen, so eine neue Studie unter Leitung des Imperial College London [1].
Anhand der Mendelschen Randomisierung, die genetische Variationen nutzt, um Risikofaktoren und gesundheitliche Folgen miteinander zu verknüpfen, konnten die Forscher zeigen, dass ein jüngeres Alter bei der Menarche, eine Geburt in jüngeren Jahren sowie eine höhere Zahl von Lebendgeburten mit einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf-Probleme im späteren Leben assoziiert sind.
Verschiedene Beobachtungsstudien hatten zwar bereits Hinweise ergeben, dass reproduktive Faktoren zum Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen könnten. Dieser Verdacht hatte sich jedoch aufgrund von Bedenken über den Einfluss von Störfaktoren bei diesen Studien nicht bestätigt.
Die Forscher erklärten, ihre neue Studie liefere „Beweise für einen kausalen Zusammenhang zwischen geschlechtsspezifischen Faktoren und CVD bei Frauen“ und zeige mögliche Wege auf, um dieses erhöhte Risiko zu vermitteln.
Mendelsche Randomisierung deckt potenziell kausale Zusammenhänge auf
In der Studie wurde die Mendelsche Randomisierung verwendet, um öffentlich zugängliche genomweite Assoziationsdaten zu analysieren. Ziel war, den Einfluss reproduktiver Faktoren auf CVD bei Frauen in der britischen Biobank-Datenbank zu erforschen.
„Diese Art der Analyse ermöglicht es, Störfaktoren wie die Ernährung, den wirtschaftlichen Hintergrund und die körperliche Aktivität zu eliminieren, die ansonsten das Gesamtbild verfälschen können“, schreiben die Autoren. Damit gelinge es, kausale Zusammenhänge zu ermitteln.
Für ihre Studie verwendeten die Forschenden Daten aus der UK Biobank, und zwar für das Alter bei der 1. Geburt (n = 131.987 Frauen) und die Anzahl der Lebendgeburten (n = 193.953 Frauen). Hier handelte es sich um Selbstauskünfte der Teilnehmerinnen. Das Alter bei der Menarche (n = 329.345 Frauen) und das Alter bei der Menopause (n = 106.048 Frauen) kamen aus genomweiten Assoziationsstudien des ReproGen-Konsortiums.
Die Analyse zeigte, dass eine frühere Erstgeburt, eine höhere Zahl an Lebendgeburten und eine frühere Menarche bei Frauen mit einem höheren Risiko für Vorhofflimmern, koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz und Schlaganfall assoziiert waren. Die Details:
Das Alter bei der 1. Geburt erhöhte das Risiko für:
Koronare Herzkrankheit (Odds Ratio [OR] pro Jahr 1,49 [95%-KI 1,28 bis 1,74], p = 3,72×10-7)
Herzinsuffizienz (OR 1,27 [95%-KI 1,06 bis 1,53], p = 0,009)
Schlaganfall (OR 1,25 [95%-KI, 1,00 bis 1,56], p = 0,048)
Hier spielten auch bekannte kardiometabolische Risikofaktoren wie der Body-Mass-Index, Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck und hohe Cholesterinwerte eine Rolle.
Eine höhere Anzahl von Lebendgeburten erhöhte das Risiko für:
Vorhofflimmern (OR 2,91 [95%-KI, 1,16 bis 7,29], p = 0,023)
Herzinsuffizienz (OR 1,90 [95%-KI 1,28 bis 2,82], p = 0,001)
Ischämischen Schlaganfall (OR 1,86 [95%-KI 1,03 bis 3,37], p = 0,039)
Schlaganfälle insgesamt (OR 2,07 [95%-KI 1,22 bis 3,52], p = 0,007).
Ein jüngeres Alter bei der Menarche erhöhte das Risiko für:
Koronare Herzkrankheit (OR pro Jahr 1,10 [95%-KI 1,06 bis 1,14], p = 1,68×10-6)
Herzinsuffizienz (OR 1,12 [95%-KI 1,07 bis 1,17], p = 5,06×10-7)
Beide Zusammenhänge wurden zumindest teilweise durch den Body-Mass-Index vermittelt.
Die Analyse ergab keinen Zusammenhang zwischen dem Alter bei der Menopause und dem CVD-Risiko.
Besseres Verständnis kardiovaskulärer Risikofaktoren von Frauen
Die Studie, die im Journal of the American Heart Association veröffentlicht wurde, sei „die bisher umfassendste Analyse der frauenspezifischen Reproduktionsfaktoren und ihres Zusammenhangs mit einer Reihe von Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, so die Autoren. Sie hoffen, dass ihre Ergebnisse „Ärzten helfen, die Risikofaktoren von Frauen besser zu verstehen und zu überwachen und gegebenenfalls einzugreifen“.
Die Hauptautorin Dr. Maddalena Ardissino vom National Heart and Lung Institute am Imperial College London, sagte: „Frauen werden oft fälschlicherweise als Personen mit einem geringen Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingestuft, was zu Verzögerungen bei der Diagnose führt.“ Selbst wenn solche Erkrankungen diagnostiziert würden, erhielten sie meist eine weniger gezielte Therapien als Männer.
„Diese Studie zeigt einen klaren Zusammenhang zwischen reproduktiven Faktoren und Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, sagte Ardissino. „Das bedeutet nicht, dass Frauen sich Sorgen machen müssen, wenn sie ihre Periode in jungen Jahren bekommen haben oder wenn sie eine frühe 1. Geburt hatten.“
Die Wissenschaftlerin ergänzte: „Unsere Forschung zeigt, dass das zusätzliche Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen minimiert werden kann, wenn die traditionellen Risikofaktoren wie BMI und Blutdruck gut kontrolliert werden. Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit für Ärzte, diese Risikofaktoren bei Frauen genau zu überwachen und bei Bedarf einzugreifen.“
Die Erstautorin Dr. Fu Siong Ng, Dozentin für kardiale Elektrophysiologie am Imperial College London, sagte: „Viele der bisherigen Studien zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben sich auf Männer konzentriert, aber unsere Forschung zeigt, dass es geschlechtsspezifische Faktoren gibt, die das Risiko für Frauen beeinflussen.“
Sie ergänzte: „Wir können zwar nicht genau sagen, wie stark diese Faktoren das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen, aber unsere Studie zeigt, dass die reproduktive Vorgeschichte eine wichtige Rolle spielt, und sie deutet auf einen kausalen Einfluss hin.“ Wie geht es weiter? „Wir müssen mehr über diese Faktoren wissen, um sicherzustellen, dass Frauen die bestmögliche Behandlung erhalten“, berichtete die Forscherin.
Der Irrglaube, dass CVD hauptsächlich Männer betrifft, kostet Leben
Dr. Sonya Babu-Narayan vom Imperial's National Heart and Lung Institute und stellvertretende medizinische Direktorin bei der British Heart Foundation (BHF), die nicht an der Studie beteiligt war, sagte im Namen der BHF: „Der Irrglaube, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen hauptsächlich Männer betreffen, kostet Frauen ihre Gesundheit und sogar ihr Leben.“
Babu-Narayan: „Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Frauen wissen, was sie einem höheren Risiko aussetzt, in Zukunft eine Herzerkrankung oder einen Schlaganfall zu bekommen. Dazu gehören bekannte Risiken, die alle Menschen betreffen. Aber bei Frauen kommen möglicherweise noch zusätzliche Risikofaktoren aus ihrer reproduktiven Phase hinzu.“
Ärzten rät die Expertin: „Wenn wir mehr Frauenleben retten wollen, muss die Frage nach Periode und Schwangerschaft zur Routine werden, um das Risiko jeder Frau für Herzkrankheiten und Schlaganfälle zu beurteilen.“
Der Beitrag ist im Original erschienen auf Medscape UK ; er wurde von Michael van den Heuvel übersetzt und adaptiert.
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Credits:
Photographer: © Valuavitaly
Lead image: Dreamstime.com
Medscape Nachrichten © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Frühe Menarche oder frühe 1. Geburt – dann sollten Ärzte bei Patientinnen auf kardiovaskuläre Erkrankungen achten - Medscape - 21. Mär 2023.
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