Bis zu 10% aller COVID-19-Erkrankten können infolge der Infektion anhaltende Symptome wie Konzentrations- und Schlafprobleme, Fatigue und Schmerzen entwickeln. Weder ist die Ursache geklärt, noch gibt es kausale Therapieoptionen, deren Nachweis belegt ist. Entsprechend irren Patienten mit Post-COVID oft von Arzt zu Arzt und lassen sich auf fragwürdige Verfahren ein. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) mahnt jetzt, dass Aphareseverfahren nur im Rahmen von Studien angewendet werden sollten. Auch weil es bei unsachgemäßer Anwendung zu schweren Komplikationen kommen kann.
Blutwäsche für verzweifelte Long-COVID-Patienten?
In seiner Dokumentation „Die Pandemie der Unbehandelten“ hatte Dr. Eckart von Hirschausen Mitte Oktober vergangenen Jahres die HELP-Apherese (Heparin-induzierte extrakorporale LDL-Präzipitation) als mögliche Therapie dargestellt. Für die Wirksamkeit von HELP-Apheresen gegen Post-Covid gibt es bis dato allerdings keine ernst zu nehmenden Belege. Das hält viele Betroffene nicht davon ab, sich einer Blutwäsche zu unterziehen.
Die Internistin Dr. Beate Jaeger hat in ihrer Praxis in Mülheim nach eigenen Angaben mehr als 1.000 Patienten mit HELP-Apherese behandelt, 8.000 Patienten stehen laut Hirschhausens Dokumentation bei ihr auf der Warteliste.
Bei der Lipidapherese werden primär Blutfette entfernt, bei der Immunadsorption (Auto-)Antikörper. Beide Therapieformen werden bei Post-COVID diskutiert und praktiziert, obwohl es bislang noch keine randomisierten kontrollierten Studien gibt.
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) weist jetzt daraufhin, dass Aphereseverfahren nicht außerhalb von klinischen Studien durchgeführt werden sollten. Die Immunadsorption ist z.B. bei Neuromyelitis optica, Myasthenia gravis oder dem Guillain-Barré-Syndrom erfolgversprechend. Dort führt sie nachweislich zu Symptomreduktion und Verkürzung der Erkrankungsdauer, da die „krankmachenden“ Autoantikörper mit dem Verfahren aus dem Blut gefiltert werden.
„Allerdings heißt das nicht, dass diese Therapie auch bei Post-COVID hilft“, erklärt DGN-Generalsekretär Prof. Dr. Peter Berlit. „Bislang ist nicht erwiesen, ob Autoantikörper die neurologischen Post-COVID-Symptome tatsächlich auslösen.“
Andere Krankheitsursachen, die diskutiert werden, sind u.a. eine Viruspersistenz, die Aktivierung anderer Viren (z.B. EBV), ein Kortisonmangel oder eine psychische Erschöpfung. Eine Apherese könnte in diesen Fällen wenig ausrichten, womöglich sogar schaden.
In ihrer Stellungnahme hatte die Kommission Apherese der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) im August vergangenen Jahres zwar alle „Aktivitäten, die auf ein wissenschaftlich gestütztes, systematisches Vorgehen im Umgang mit Plasmapherese, Immunadsorption und Lipoprotein-Aphereseverfahren bei Patienten mit Long-COVID-Syndrom abzielen und entsprechende Daten in ein Register einbringen“ begrüßt, aber auch randomisierte, kontrollierte Studien dazu gefordert.
„Ohne fundierte wissenschaftliche Daten kann keine Empfehlung für die Durchführung diese Therapieverfahren ausgesprochen werden, auch da es bei ihrer unsachgemäßen Anwendung zu schweren Komplikationen kommen kann“, schreibt die DGfN.
Prof. Dr. Tobias Welte, der an der MHH im April 2020 die erste Long-COVID-Ambulanz eingerichtet hat, hält HELP-Apheresen bei Long-COVID für Unsinn: „Wieso soll man Blutfette senken? Das ist nicht plausibel.“ Möglicherweise spielten Placeboeffekte eine Rolle, so Welte. „Wenn jemand sehr viel Geld für so eine Blutwäsche zahlt, dann hilft das auch oft bei der Heilung.“
Risikoreiches Verfahren
Berlit erinnert daran, dass es sich bei der Immunadsorption um ein invasives Verfahren handelt, das nicht risikofrei ist: Die Patienten werden dabei mit Heparin behandelt, damit das Blut nicht außerhalb des Körpers gerinnt. Das kann zu Blutungskomplikationen führen. Auch allergische Reaktionen sind nicht ausgeschlossen.
„Selbst bei neuroimmunologischen Krankheiten, bei denen Studien einen Wirkungsnachweis erbracht haben, wägen wir Nutzen und Risiken immer sorgfältig ab. Die Immunadsorption stellt auch bei einigen dieser Indikationen nicht immer die erste Therapie der Wahl dar, sondern kommt oft erst dann zum Einsatz, wenn die Betroffenen auf andere Behandlungen nicht angesprochen haben“, sagt Berlit.
Die DGN spricht sich dafür aus, mit der gleichen Sorgfalt und Wissenschaftlichkeit auch bei Post-COVID-Erkrankten vorzugehen. Von Apherese außerhalb von klinischen Studien rät sie zum jetzigen Zeitpunkt ab.
Studien zur Immunadsorption sind jetzt gestartet
Selbst wenn Post-COVID Autoantikörper-vermittelt sein sollte, müssten zunächst Studien zeigen, dass die Immunadsorption wirkt und einer medikamentösen Immuntherapie überlegen ist, erklärt Berlit.
Um in randomisiert kontrollierten Studien einen Placeboeffekt auszuschließen, muss dabei die Kontrollgruppe einem invasiven Scheinverfahren unterzogen werden. Solche Studien sind aufwendig, wurden nun aber an verschiedenen neurologischen Zentren gestartet. „Solange die Ergebnisse dieser Studien nicht vorliegen, können wir die Immunadsorption nicht empfehlen“, betont Berlit.
Wachsender Markt für die Blutwäsche wegen fehlender Therapien
Der Apherese-Experte Prof. Dr. Jan T. Kielstein, Chefarzt für Innere Medizin und Blutreinigungsverfahren am Städtischen Klinikum Braunschweig, beobachtet einen wachsenden Markt für Blutwäsche für Long-COVID-Patienten. Bis zu 3.000 Euro müssten die Betroffenen für eine Sitzung bezahlen, sagt Kielstein, der auch Vorstand der European Group der International Society for Apheresis ist.
Anders als in der Dokumentation kommen zu ihm in die Klinik immer wieder Long-COVID-Patienten, denen es nach einer HELP-Apherese nicht besser geht. Er kenne Patienten, die schon zigtausend Euro für nutzlose Behandlungen ausgegeben hätten.
Sich einer Blutwäsche zu unterziehen sei ja „keine Lifestyle Entscheidung, sondern es ist Ausdruck einer Hoffnungslosigkeit und Ausdruck der Tatsache, dass unser Gesundheitssystem bis jetzt keine vernünftigen Antworten auf diese Probleme der Patienten gefunden hat“, betont Kielstein im Interview mit dem SWR. Bisherige finanzielle Anstrengungen für die Long-COVID-Forschung reichen seiner Einschätzung nach „überhaupt nicht aus, um der Dimension dieses Problems gerecht zu werden“.
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Diesen Artikel so zitieren: Blutwäsche bei Post-COVID: Gefährliche Abzocke oder Hoffnung für Patienten? Was Fachgesellschaften und Experten raten - Medscape - 17. Mär 2023.
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