Fall: Gangunsicherheit und eine verwaschene Sprache quälen diesen Mann – doch es ist nicht Parkinson. Ihr Verdacht?

Dr. Thomas Kron 

Interessenkonflikte

23. März 2023

Ein Patient kommt zur Abklärung einer seit mehreren Monaten bestehenden zunehmenden Gangunsicherheit in das Ulmer Bundeswehrkrankenhaus. Die Symptomatik besteht seit etwa 6 Monaten; im Verlauf ist eine verwaschene Sprache hinzugekommen [1]

Zuvor hatte eine ambulante MRT eine vaskuläre Enzephalopathie sowie eine generelle Hirnatrophie gezeigt. Aufgrund von Schwindel-Symptomen wurde er bereits stationär aufgenommen – mit einer akuten unilateralen Vestibulopathie sowie einer hypertensiven Entgleisung als Diagnose. 

Auf weiteres Nachfragen nennt der Patient „eine ungewollte Gewichtsabnahme von etwa 5 kg innerhalb der letzten 5 Monate“ und Nachtschweiß. Die Familienanamnese zu neurologischen Erkrankungen sei unauffällig gewesen, ein übermäßiger Alkoholkonsum habe nicht bestanden, berichtet er weiter. 

Körperliche und apparative Untersuchungen

Der Patient zeigt eine ausgeprägter Stand- und Gangataxie und eine deutliche Dysarthrie ohne Schluckstörungen. Zum Zeitpunkt der Aufnahme hat er eine ungestörte Okulomotorik; Zeigeversuche sind dysmetrisch.

Ein erneutes MRT und eine neurophysiologische Diagnostik bleiben ohne weiterführende Befunde. Auch die Labordiagnostik (u.a. Vitamin B12, Vitamin E, Infektionsserologie bezüglich HIV, Neuroborreliose, Syphilis) liefert keine Hinweise. 

Bei der erweiterten Labordiagnostik finden Ärzte im Serum (Titer 1:1.000) und im Liquor (Titer 1:10) Anti-Tr(DNER)-Autoantikörper. Ein Tumor sei bisher allerdings nicht bekannt gewesen, sagt der Patient. 

Die PET-CT-Diagnostik zeigt stoffwechselaktive, vergrößerte Lymphknoten links axillar sowie beidseitig mediastinal, periklavikular links und auch abdominal paraaortal, vom Verteilungsmuster vereinbar mit einem Lymphom. Schließlich erhärten die Feinnadel-Aspirationszytologie sowie Stanzbiopsie ein Hodgkin-Lymphom als Diagnose. 

Therapie

Bis die endgültige Diagnose gestellt wird, behandeln Ärzte den Patienten unter Annahme einer möglichen paraneoplastischen Zerebellitis mit i.v. Immunglobulinen. Es kommt zur Stabilisierung des Befundes mit etwas rückläufiger Stand- und Gangataxie sowie zu einer deutlichen Abnahme der Dysarthrie. 

Ärzte verlegen den Patienten nach der Tumor-Diagnose zur kurativen Lymphom-Behandlung in die onkologische Abteilung. Nach initialer Besserung nimmt die neurologische Symptomatik zu – mit ausgeprägter Dysphagie und mit weiterem Gewichtsverlust. Noch während der Chemotherapie verschlechtern sich die Symptome. 

Da 2 erneute Behandlungszyklen mit i.v. Immunglobulinen die neurologische Symptomatik nicht gebessert haben, nehmen Ärzte eine Plasmapherese vor. Anschließend beginnt eine neurologische Rehabilitation, die zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung noch nicht abgeschlossen war. 

Diskussion

Ataxien bei Erwachsenen sind klinisch und ätiologisch heterogene Erkrankungen. Typisch ist initial eine progrediente Stand- und Gangataxie, gefolgt von einer Extremitätenataxie, zerebellarer Dysarthrie und Okulomotorikstörung. 

Außer hereditären Ataxien kommen auch erworbene und sporadisch-degenerative Ataxien in Betracht. Der Verdacht auf eine hereditäre Ataxie ergibt sich meist aus dem typischen klinischen Bild und der Familienanamnese. Bei Erkrankungen von Erwachsenen sollte zum Beispiel an die spinozerebellaren Ataxien (SCA) gedacht werden. 

Erworbene Ataxien sind sporadische Erkrankungen, die in jedem Alter auftreten könnten. Außer an toxische oder metabolische Ursachen muss immer auch an eine immunvermittelte Genese gedacht werden. Die häufigste erworbene Ataxie bei Erwachsenen ist die alkoholische Kleinhirndegeneration, allerdings können auch viele Medikamente eine Ataxie verursachen.

Bei verschiedenen Malignomen tritt mitunter eine paraneoplastische Kleinhirndegeneration auf, und zwar auch vor der Diagnose des Tumorerkrankung. Nicht selten wird eine maligne Tumorerkrankung bei der Ursachenklärung einer paraneoplastischen Kleinhirndegeneration diagnostiziert. 

Paraneoplastische Syndrome werden durch Antikörper gegen intrazelluläre Antigene, aber auch durch Autoantikörper gegen neuronale Oberflächenantigene verursacht. Die häufigsten bei der subakuten Kleinhirndegeneration gefundenen Antikörper sind Anti-Hu, Yo, Amphiphysin, Ri oder CV2/CRMP5. Sie könne auf bislang nicht erkannte Primärtumoren hinweisen. Anti-Yo-AK typisch für Mamma- oder Ovarialkarzinome, Anti-Tr(DNER)-Antikörper sind häufig mit einem Morbus Hodgkin assoziiert. Bei klinischem Verdacht auf eine paraneoplastische Kleinhirndegeneration ist demnach eine entsprechende Bestimmung der Autoantikörper, idealerweise im Serum und im Liquor, indiziert.

Diese Kasuistik zeige, wie wichtig eine sorgfältige Differenzialdiagnostik bei neu aufgetretenen und progredienten neurologischen Symptomen sei, berichten die Autoren. Im vorliegenden Fall sei ein Hodgkin-Lymphom noch nicht bekannt gewesen. Aufgrund der zerebellaren Symptomatik sei eine entsprechende zielgerichtete Diagnostik veranlasst worden; durch den Nachweis von Anti-Tr(DNER)-Autoantikörpern habe schließlich die Diagnose einer autoantikörper-assoziierten paraneoplastischen Kleinhirndegeneration gestellt werden können. Nachfolgend sei dann auch ein Hodgkin-Lymphom diagnostiziert worden.

Der Beitrag ist im Original erschienen auf Univadis.de.

 

Kommentar

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