Die Ergebnisse einer koronaren Bypass-Operation sind bei Frauen nach wie vor signifikant schlechter als bei Männern. Zu diesem Schluss kommt eine US-Studie mit knapp 1,3 Millionen Probanden, die ein Team um den Herzchirurgen Prof. Dr. Mario Gaudino vom Department of Cardiothoracic Surgery der Weill Cornell Medicine in New York City in JAMA Surgery vorgestellt hat [1].
Im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts habe man keine wesentlichen Verbesserungen feststellen können, schreiben Gaudino und seine Kollegen. Noch immer würden sich bei Frauen nach einem Bypass eine höhere Mortalität und Morbidität beobachten lassen als bei Männern.
Auch hierzulande sind die Unterschiede seit langem bekannt
„Das sind natürlich keine ganz neuen Erkenntnisse“, kommentiert Prof. Dr. Andreas Zeiher, außerordentlicher Professor für Kardiologie am Institute of Cardiovascular Regeneration der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), im Gespräch mit Medscape.
Zwar sei die Gesamtsterblichkeit infolge einer Bypass-Operation in den vergangenen 20 Jahren sowohl in den USA als auch in Deutschland gesunken. „Aber auch hierzulande beobachten wir einen noch immer anhaltenden Unterschied der Operationsergebnisse zwischen den Geschlechtern, nicht nur im Hinblick auf die Sterblichkeit, sondern auch bezüglich der auftretenden Komplikationen“, sagt Zeiher. Ähnliches gelte übrigens auch für die Stent-OP.
„Die Daten der US-Forscher zeigen sehr gut, dass sich in den vergangenen 10 Jahren praktisch nichts verändert hat“, betont der Kardiologe. Die leicht aus der Reihe tanzenden Ergebnisse aus dem Jahr 2020 müsse man aufgrund der damals beginnenden Coronapandemie mit Zurückhaltung interpretieren.
„Grundsätzlich hat die Studie somit die wichtige Botschaft, dass wir auf die Frauen künftig besser aufpassen müssen – und zwar vor, während und nach der Bypass-OP“, sagt Zeiher.
Knapp ein Viertel der operierten Probanden war weiblich
Gaudino und sein Team analysierten für ihre retrospektive Kohortenstudie die Daten von 1.297.204 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 66 Jahren, die zwischen 2011 und 2020 einen primären isolierten Koronararterien-Bypass erhalten hatten. 317.716 der Probanden (24,5%) waren Frauen. Die ausgewerteten Informationen entstammten der Datenbank für Herzchirurgie bei Erwachsenen der US-Fachgesellschaft STS (Society of Thoracic Surgeons).
Als primären Endpunkt ihrer Studie formulierten die Forscher um Gaudino die Sterblichkeit innerhalb von 30 Tagen nach der Operation.
Sekundärer Endpunkt war eine Kombination aus der operativen Sterblichkeit und der Morbidität – einschließlich Schlaganfall, Nierenversagen, Reoperation, tiefe sternale Wundinfektion, verlängerte mechanische Beatmung und verlängerter Krankenhausaufenthalt.
Für beide Endpunkte berechneten die Forscher das zurechenbare Risiko, also den Zusammenhang zwischen dem weiblichen Geschlecht und den Ergebnissen der koronaren Bypass-Operation.
Bei knapp 23% der Frauen kam es zu Komplikationen
Wie Gaudino und seine Kollegen berichten, starben während des Eingriffs oder kurz danach 2,8% der Frauen und 1,7% der Männer. Die Gesamtinzidenz des Komposits aus operativer Sterblichkeit und Morbidität betrug bei Frauen 22,9% und bei Männern 16,7%.
Das auf das weibliche Geschlecht zurückzuführende Risiko für die operative Sterblichkeit schwankte zwischen 1,28 – im Vergleich zu den Männern war das Risiko also um 28% erhöht – im Jahr 2011 und 1,41 im Jahr 2020, ohne dass im Studienzeitraum ein eindeutiger Trend nach oben oder unten zu beobachten gewesen wäre.
Das zurechenbare Risiko für die Kombination aus operativer Sterblichkeit und Morbidität lag sowohl 2011 als auch 2020 bei 1,08. Auch für diesen Endpunkt ließen sich keine signifikanten Veränderungen im Beobachtungszeitraum ermitteln. Dabei war es offenbar gleichgültig, ob der Eingriff mit oder ohne Herz-Lungen-Maschine vorgenommen wurde.
Weitere Untersuchungen zu den Determinanten der Operationsergebnisse bei Frauen seien dringend erforderlich, schreiben die Forscher um Gaudino.
Frauen sind bei einer Bypass-Operation meist älter als Männer
„Einige Ursachen für diese Geschlechtsunterschiede sind bekannt“, sagt Zeiher: „Frauen entwickeln im Mittel etwas später als Männer eine Arteriosklerose der Herzkranzgefäße, da sie bis zum Eintreten der Menopause hormonell besser davor geschützt sind.“ Daher seien die Frauen bei der Bypass-Operation im Schnitt knapp 2 Jahre älter als die Männer und würden dementsprechend mehr Komorbiditäten aufweisen.
In der vorliegenden Studie hätten beispielsweise deutlich mehr Frauen als Männer an Typ-2-Diabetes gelitten, die Inzidenz sei um mehr als 10% erhöht gewesen. „Begleiterkrankungen beeinflussen natürlich das Risiko von Komplikationen bei einer Bypass-OP“, sagt Zeiher.
Zudem seien Frauen häufiger symptomatisch als Männer, weswegen bei ihnen auch der Anteil an Notfalleingriffen höher sei. In der aktuellen Studie seien allerdings praktisch alle Eingriffe elektiv, also geplant gewesen.
„Hinzu kommt, dass Frauen grundsätzlich kleinere Gefäße haben und auch etwas häufiger als Männer Gefäßspasmen aufweisen“, sagt Zeiher. „Das macht bei ihnen die technischen Herausforderungen der Operation etwas größer.“ Auch sei dadurch das Risiko erhöht, dass die gelegten Bypässe nicht richtig funktionieren.
Darüber hinaus hätten Frauen häufiger mikrovaskuläre Funktionsstörungen. „Es könnte sein, dass der Benefit einer Revaskularisation auch aus diesem Grund bei ihnen womöglich etwas geringer ausgeprägt ist“, vermutet Zeiher.
Arterielle Bypässe sollten die venösen möglichst ersetzen
In der Studie von Gaudino und seinem Team hatten die Frauen zudem seltener arterielle Bypässe erhalten als Männer. „Eigentlich weiß man seit zirka 10 Jahren, dass arterielle Bypässe eine bessere Prognose haben als venöse“, sagt Zeiher.
Die Radialarterie des Arms, die man gewöhnlich dafür nutzen würde, sei bei Männern allerdings in der Regel größer und daher leichter zu verwenden. „Offenbar scheuen sich manche Herzchirurgen davor, sich den Herausforderungen zu stellen, die die kleineren Radialarterien der Frauen mit sich bringen“, sagt Zeiher.
„Vielleicht sollte man versuchen, hier an den Stolz der Chirurgen zu appellieren, künftig auch bei Frauen vermehrt arterielle Bypässe zu legen und die arterielle Revaskularisation so komplett wie möglich zu machen“, so Zeiher.
Künftige Studien könnten zudem untersuchen, ob sich bessere Ergebnisse erzielen lassen, wenn man im Vorfeld der Bypass-OP die Frauen in spezialisierten Zentren auf mikrovaskuläre Funktionsstörungen untersucht, schlägt Zeiher vor.
Generell sei es natürlich sinnvoll, beeinflussbare Risikofaktoren wie beispielsweise zu hohe Cholesterinwerte schon vor dem Eingriff konsequent zu behandeln. „Wenn die Frauen künftig noch älter werden, werden wir auch mehr von ihnen auf dem Operationstisch haben“, sagt Zeiher. „Deshalb ist es so wichtig, dass sich sowohl die Kardiologen als auch die Herzchirurgen bei ihnen ganz besonders viel Mühe geben.“
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Diesen Artikel so zitieren: Bei Bypass-OP sind Frauen seit Jahren im Nachteil – kein Fortschritt in Sicht: mehr Komplikationen als bei Männern. Warum? - Medscape - 16. Mär 2023.
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