Im Onko-Blog dieser Woche geht es unter anderem um Scores und Marker zur Risikobeurteilung von Krebserkrankungen. Die dynamischen PANGEA-Modelle sollen eine stärker personalisierte Vorhersage der Progression der Myelom-Vorläufererkrankungen MGUS und SMM ermöglichen. Ein polygener Risikoscore verbessert dagegen die Vorhersage bei Patienten mit Hochrisiko-Prostatakarzinom nicht. Bei der chronischen Graft-versus-Host-Erkrankung ermöglicht das Ausmaß des erythemartigen Hautbefalls Rückschlüsse auf die Prognose.
MGUS und SMM: Personalisierte Vorhersage der Progression mit PANGEA-Modellen
Prostatakarzinom: Polygener Risikoscore verbesserte Vorhersage nicht
Chronische GVHD: Schwere der Hauterkrankung als prognostischer Marker
Krebssterblichkeit: Prognose für das Jahr 2023 in der EU
Melanom: Relatlimab-Nivolumab-Kombi in Deutschland nicht verfügbar
MGUS und SMM: Personalisierte Vorhersage der Progression mit PANGEA-Modellen
PANGEA ist das bislang größte internationale Projekt, um anhand zeitabhängiger Befunde bei Patienten mit Vorläufern des multiplen Myeloms das Risiko für eine Progression vorherzusagen. Dazu zählen die monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS) und das Smoldering Multiple Myelom (SMM).
In Lancet Haematology hat eine internationale Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Irene M. Ghobrial, Dana Farber Cancer Institute, Boston, die PANGEA-Modelle präsentiert. Ergebnisse zeigen, dass die PANGEA-Modelle genauer sind als die aktuellen Risikokriterien, etwa die Risikostratifizierung der International Myeloma Working Group (IMWG) für MGUS und die 20/2/20-Risikostratifizierung für SMM.
Die Arbeitsgruppe stellt zudem eine frei zugängliche Internet-Seite zur Verfügung, in der anhand der Werte für den Leichtketten-Quotienten, das M-Protein, für Kreatinin, Hämoglobin (bis zu 5 Werte über die Zeit) sowie für das Patientenalter das Progressionsrisiko berechnet werden kann. Das funktioniert sowohl für Personen mit als auch ohne Plasmazell-Anteil aus einer Knochenmarksbiopsie (KMB).
Die Autorinnen eines begleitenden Editorials beurteilen die Arbeit als eine wichtige Ergänzung der derzeit verfügbaren Prognosemodelle für MGUS und SMM. „Durch die Verwendung von Daten aus Blutproben neben dynamischen Variablen verbessert das PANGEA-Modell die Genauigkeit aktueller Modelle auf benutzerfreundliche Weise“, schreiben sie. „Es ist in der klinischen Routinepraxis leicht anwendbar und bildet das Rückgrat für die Etablierung zukünftiger Modelle.“
Sie weisen auch darauf hin, dass keines der bisherigen Modelle das Alter der Betroffenen direkt berücksichtigt habe. „Diese Überlegung ist von besonderer Bedeutung, insbesondere für Patienten unter 40 Jahren oder über 85 Jahren. Sie könnte dazu beitragen, sowohl die Überwachungs- als auch die Behandlungsstrategien in diesen Gruppen anzupassen.“
Die internationale Arbeitsgruppe entwickelte ihre PANGEA-Modelle anhand einer Trainingskohorte (n=1.217). Hinzu kamen 2 Validierungskohorten (n=642 und n=4.582). Im PANGEA-Modell (mit KMB) wurden der Quotient der freien Leichtketten (FLC), das Alter, die Kreatinin-Konzentration, die Hämoglobinwerte über die Zeit sowie der Plasmazell-Anteil im Knochenmark verwendet. Beim PANGEA-Modell ohne KMB verzichteten die Forschenden auf den Plasmazell-Anteil im Knochenmark.
Nach Ansicht der Autoren wiesen Ergebnisse ihrer Arbeit darauf hin, dass Variablen aus Knochenmarkbiopsien nicht erforderlich seien, um das Progressionsrisiko bei MGUS und SMM genau zu bestimmen.
Außerdem wurde das PANGEA-Modell (FISH) entwickelt, in dem bei Knochenmarksbiopsien gewonnene FISH-Variablen berücksichtigt sind. Dieses Modell muss jedoch noch in Studien bewertet werden.
Insgesamt ist PANGEA also ein 3-stufiges Modell (ohne KMB, mit KMB und FISH), das sowohl komplexe klinische Tests nutzen kann als auch für Patienten mit wenigen Daten leicht verfügbar und anwendbar ist.
Prostatakarzinom: Polygener Risikoscore verbesserte Vorhersage nicht
Ein polygener Risikoscore (PRS269), der die Belastung mit Risiko-assoziierten Single-Nucleotid-Polymorphismen erfasst, war in einer retrospektiven Studie bei Patienten mit aggressiven Prostatakarzinomen nicht mit einer verbesserten Vorhersage der Prognose im Vergleich zu einer Biopsie assoziiert.
Wie in JAMA Internal Medicine berichtet, verglich eine amerikanische Arbeitsgruppe retrospektiv anhand der Daten von 655 Männern im medianen Alter von 63 Jahren den Wert einer polygenen Risikoscores mit einer Biopsie bei der Prognose. Die Biopsie ergab bei 341 Männern (52%) ein Prostatakarzinom; bei 176 Männern (27%) war es vom Grad ≥ 2. Der PRS fand ebenfalls die mit Biopsie nachgewiesenen Karzinome, er konnte jedoch Erkrankungen vom Grad ≥ 2 nicht besser erkennen.
Chronische GVHD: Schwere der Hauterkrankung als prognostischer Marker
Bei der chronischen Graft-versus-Host-Erkrankung (cGVHD) ist das Ausmaß der beteiligten Körperoberfläche an einer Hauterkrankung vom Erythem-Typ ein prognostischer Marker für die Sterblichkeit. Dies ergab eine multizentrische prospektive Kohortenstudie an 9 Zentren in den USA, deren Ergebnisse in JAMA Dermatology erschienen sind.
Die cGVHD ist die häufigste Ursache für Morbidität und nicht rezidivbedingte Sterblichkeit nach allogener hämatopoetischer Stammzell-Transplantation. Mit 60-80% ist die Haut das am häufigsten an der cGVHD beteiligte Organ, das zudem gut zugänglich ist.
Von 469 Patienten wiesen 57% bei der Aufnahme in die Studie eine kutane cGVHD auf, bei 19% entwickelte sich im weiteren Verlauf eine Hautbeteiligung. 69% der Patienten mit Hautbeteiligung wiesen eine Erkrankung vom sklerotischen Typ auf, die keinen Zusammenhang mit der Sterblichkeit hatte.
Die cGVHD vom Erythem-Typ war mit einer erhöhten nicht rezidivbedingten Mortalität und einem kürzeren Gesamtüberleben assoziiert, wobei es pro 10% Anstieg der befallenen Hautoberfläche um eine Zunahme des Risikos um etwa 30% kam.
Krebssterblichkeit: Prognose für das Jahr 2023 in der EU
Eine italienische Arbeitsgruppe prognostiziert für das Jahr 2023 einen Rückgang der Sterblichkeit an Lungenkrebs sowie an Dickdarm-, Brust-, Prostata- und Magenkrebs sowie Leukämie bei beiden Geschlechtern sowie an Blasenkrebs bei Männern. Nach Ansicht der Autoren spiegeln die Zahlen zum Lungenkrebs die Fortschritte bei der Tabakkontrolle wider.
Die Krebssterblichkeit in der EU bis 2035 könne um weitere 35% sinken, wenn größere Anstrengungen zu Bekämpfung von Übergewicht, Alkoholkonsum, Infektionen und damit zusammen hängenden Neubildungen unternommen würden und wenn Screening, frühe Diagnose und Therapie verbessert würden, schreiben sie in den Annals of Oncology .
Anhand von Todesbescheinigungen und Bevölkerungsdaten aus WHO-Datenbanken und Eurostat schätzte die Arbeitsgruppe die Zahl der Todesfälle und der altersstandardisierten Raten für alle Krebserkrankungen zusammen und für die 10 häufigsten Karzinome für das Jahr 2023.
Sie prognostizierte in den 27 EU-Ländern (EU-27) 1.262.290 Todesfälle durch Krebserkrankungen, was einer altersstandardisierten Rate (ASR) von 123,8/100.000 Männern und 79,3 für Frauen entspricht. Dies bedeutet bei Männern einen Rückgang von 6,5%, bei Frauen von 3,7% im Vergleich zum Jahr 2018.
Die meisten Krebsarten zeigen eine günstige Entwicklung. Eine Ausnahme ist das Pankreaskarzinom, dessen Mortalität bei Männern stabil bleibt und bei Frauen um 3,4% steigt. Lungenkrebs zeigte bei Männern für alle Altersgruppen einen Rückgang der Sterblichkeit. Die Sterblichkeit an Lungenkrebs bei Frauen ging bei jungen Frauen (-35,8%, ASR: 0,8/100 000) und Frauen mittleren Alters (-7 %, ASR: 31) zurück.
Melanom: Relatlimab-Nivolumab-Kombi in Deutschland nicht verfügbar
Die Kombination aus dem Immuncheckpoint-Inhibitor Nivolumab und dem LAG-3-Inhibitor Relatlimab wurde im September 2022 von der EU-Kommission als Opdualag® für die Erstlinienbehandlung des fortgeschrittenen (nicht resezierbaren oder metastasierten) Melanoms mit Tumorzell-PD-L1-Expression < 1 % bei Erwachsenen und Jugendlichen im Alter ab 12 Jahren zugelassen. Der Hersteller Bristol Myers Squibb hat nun entschieden, Opdualag® in Deutschland nicht in den Handel einzuführen.
In einer Pressemitteilung heißt es dazu: „Vor dem Hintergrund des kürzlich in Kraft getretenen GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG) und der aktuellen AMNOG-Regularien sieht das Unternehmen … keine Möglichkeit, eine Nutzenbewertung für Opdualag® zu erreichen, die den Wert dieser medizinischen Innovation gegenüber der Vergleichstherapie und die Bedeutung der Vorteile für Patienten mit einem fortgeschrittenen malignen Melanom widerspiegeln würde.“
In der zulassungsrelevanten RELATIVITY-047-Studie hatte die Kombination im Vergleich zu einer Nivolumab-Monotherapie bei Melanompatienten mit einer PD-L1-Expression unter 1% den primären Endpunkt progressionsfreies Überleben (PFS) signifikant von 2,9 auf 6,4 Monate verdoppelt ( Medscape berichtete).
Das AMNOG-Verfahren sieht jedoch nach den derzeitigen Regularien PFS nicht als patientenrelevanten Endpunkt an. Außerdem wurden mit dem im November 2022 in Kraft getretenen GKV-FinStG Änderungen am AMNOG-Prozess beschlossen. Dazu gehören unter anderem Modifikationen, welche Erstattungsbedingungen für Arzneimittel mit nach AMNOG „geringem“, „nicht quantifizierbarem“ oder „keinem“ Zusatznutzen gegenüber der Vergleichstherapie künftig gelten sollen.
„Unter den Bedingungen, wie sie das GKV-FinStG und andere Regularien vorgeben, hat die Attraktivität von Deutschland als Standort, an dem pharmazeutische Innovation und Investment anerkannt werden – was letztlich in Form von innovativen Arzneimitteln den Patienten zugutekommt – stark abgenommen,“ so Neil Archer, General Manager bei Bristol Myers Squibb in Deutschland, in der Pressemitteilung.
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Diesen Artikel so zitieren: Graft-versus-Host-Erkrankung, Myelom, Melanom – neue Scores und Marker zur Risikobeurteilung von Krebserkrankungen - Medscape - 14. Mär 2023.
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