Hochverarbeitete Lebensmittel (ultra-processed foods, UPFs) dominieren immer stärker die Ernährung. Inzwischen tragen UPFs in Deutschland, Großbritannien, Kanada und den USA etwa die Hälfte zur gesamten Energiezufuhr bei, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE).
Die Ergebnisse einer jetzt in Lancet veröffentlichten Kohortenstudie von Dr. Diane Chang vom Imperial College London und ihren Kollegen deuten darauf hin, dass ein hoher Konsum von UPFs mit einem höheren Krebsrisiko und einer erhöhten Krebssterblichkeit assoziiert ist [1].
Chang und ihr Team schlossen in ihre Studie eine prospektive Kohorte der UK Biobank ein (n = 197.426). Die Studienteilnehmer waren zwischen 40 und 69 Jahre alt, 54,6% waren Frauen.
Alle hatten zwischen 2009 und 2012 24-Stunden-Fragebögen zu ihrer Ernährung ausgefüllt. Die Teilnehmer wurden bis zum 31. Januar 2021 nachverfolgt und ihr Krebsrisiko und die damit verbundene Sterblichkeit untersucht.
Chang und ihre Kollegen kategorisierten die verzehrten Lebensmittel anhand der NOVA-Klassifizierung nach dem Grad der Lebensmittelverarbeitung. Der Konsum hochverarbeiteter Lebensmittel wurde als Prozentsatz der gesamten Nahrungsaufnahme festgehalten.
Die prospektiven Assoziationen wurden mittels multivariabler Cox-Analysen bewertet; Raucherstatus, körperliche Aktivität, Body-Mass-Index (BMI), Alkohol- und Gesamtenergieaufnahme wurden entsprechend berücksichtigt.
Jeder UPF-Anstieg um 10% war mit erhöhtem Krebsrisiko verbunden
Der durchschnittliche Verbrauch hochverarbeiteter Lebensmittel lag bei 22,9% der Gesamternährung. Während einer medianen Nachbeobachtung von 9,8 Jahren erkrankten 15.921 Personen an Krebs und 4.009 starben daran. Jeder Anstieg des Konsums um 10% war verbunden mit:
einer erhöhten Krebsinzidenz insgesamt (Hazard Ratio: 1,02; 95%-Konfidenzintervall: 1,01-1,04) und
einer erhöhten Inzidenz für Eierstockkrebs (HR: 1,19),
einem erhöhten Risiko für die Gesamtsterblichkeit (HR: 1,06),
der Sterblichkeit an Eierstockkrebs (HR: 1,30) und
der Sterblichkeit an Brustkrebs (HR: 1,16).
Die Ergebnisse der Kohortenstudie „deuten darauf hin, dass ein höherer Konsum hochverarbeiteter Lebensmittel mit einer erhöhten Krebsbelastung und Krebssterblichkeit allgemein, aber auch speziell bei Eierstockkrebs verbunden sein könnte“, schreiben die Autoren.
Krebsrisiko: Noch keine Kausalität, aber Hinweise mehren sich
Auch wenn die Studienergebnisse noch keine Kausalität belegen – die Hinweise, dass hochverarbeitete Lebensmittel das Krebsrisiko erhöhen, mehren sich. Der Epidemiologie Dr. Bernard Srour erforscht amINSERM (Institut national de la santé et de la recherche médicale) an der Universität Paris den Zusammenhang zwischen dem Verzehr von stark verarbeiteten Lebensmitteln und chronischen Krankheiten.
Den derzeitigen Forschungsstand zu Ernährung und Krebsrisiko fasst Srour so zusammen: „Die vorliegenden Erkenntnisse – aus fast 9 prospektiven Studien zur Sterblichkeit und 4 prospektiven Studien zu Krebs – deuten darauf hin, dass hochverarbeitete Lebensmittel das Krebsrisiko erhöhen können.“
Mehrere Faktoren, so Srour, spielten dabei eine Rolle: zum einen die Exposition gegenüber potenziell krebserregenden Verbindungen wie bestimmten Lebensmittel-Zusatzstoffen und Verunreinigungen, die bei der Lebensmittelverarbeitung entstehen. Hinzu kommt die Gewichtszunahme „infolge des übermäßigen Verzehrs, der durch die besondere Schmackhaftigkeit dieser Lebensmittel gefördert wird“, erklärt Srour im Gespräch mit Medscape.
Aspartam & Co: Hoher Konsum mit Krebsrisiko assoziiert
In einer Kohortenstudie aus der französischen webbasierten NutriNet-Santé-Studie hatten Srour und seine Kollegen im März 2022 untersucht, inwieweit künstliche Süßstoffe (Aspartam und Acesulfam-K), die weltweit in vielen Lebensmitteln und Getränken verwendet werden, mit einem erhöhten Krebsrisiko in Verbindung stehen. Das Ergebnis zeigt, dass die Probanden mit einem überdurchschnittlich hohen Süßstoffkonsum – verglichen mit denjenigen, die gar keine Süßstoffe zu sich nahmen – ein 13% erhöhtes Krebsrisiko (HR: 1,13) aufwiesen.
Unter den Probandinnen, die besonders häufig zu Aspartam griffen, war das Brustkrebsrisiko – verglichen mit Frauen, die den Süßstoff gar nicht verwendeten – um 22% erhöht (HR: 1,22). Als überdurchschnittlich galt bei Frauen der Verzehr von mehr als 19,00 mg Süßstoff pro Tag und bei Männern von mehr als 17,44 mg pro Tag.
„Die derzeitigen epidemiologischen Erkenntnisse deuten, auch wenn sie noch begrenzt sind, auf einen positiven Zusammenhang zwischen hochverarbeiteten Lebensmitteln dem Risiko einiger Krebsarten hin“, schreibt Dr. Nathalie Kliemann, die in ihrem Review 2022 die Studienlage zu hochverarbeiteten Lebensmitteln und Krebsrisiko untersucht hatte.
Zwar seien die potenziellen Mechanismen noch nicht völlig klar, „aber sie könnten mit den fettleibigkeitsfördernden Eigenschaften von ultrahochverarbeiteten Lebensmitteln, dem Alkoholkonsum und der Exposition gegenüber potenziell krebserregenden Verbindungen wie bestimmten Lebensmittelzusatzstoffen und neu gebildeten Verunreinigungen in der Verarbeitung zusammenhängen“, schreibt Kliemann.
Mehr öffentliche Forschung
Srour und seine Kollegen sehen einen dringenden Bedarf an öffentlicher Forschung, „um die Auswirkungen der Lebensmittelverarbeitung auf den Menschen besser zu verstehen und um festzustellen, welche Zusatzstoffe und Verunreinigungen kausal beteiligt sind.“ Dazu, so schreiben Srour und Kollegen in einem 2022 in Lancet publizierten Review, seien groß angelegte Programme sowohl für die epidemiologischen als auch für die mechanistischen Aspekte erforderlich.
Srour und seine Kollegen erwarten, dass solche Programme wichtige Daten liefern und als wissenschaftliche Grundlage für weitere Verordnungen (z.B. Verringerung der Höchstkonzentration einiger Zusatzstoffe) und Leitlinien dienen.
Nicht nur Empfehlungen: Experten raten zu regulatorischen Maßnahmen
Kliemann und ihre Kollegen erinnern daran, dass Länder wie Brasilien, Uruguay, Ecuador, Peru, Frankreich und Kanada spezifische Empfehlungen zur Begrenzung von UPFs in ihre Ernährungsrichtlinien aufgenommen haben. Auch die Food and Agriculture Organization der UN und der World Cancer Research Fund empfehlen, den Konsum von UPF einzuschränken und durch Obst und Gemüse, Vollkornprodukte, Vollkorngetreide und Bohnen zu ersetzen und hauptsächlich Wasser und ungesüßte Getränke zu trinken, um das Krebsrisiko und das Risiko für andere chronische Krankheiten zu verringern.
Nach Einschätzung von Kliemann und ihrem Team reichen Empfehlungen allerdings nicht aus. Sie schreiben, dass „wahrscheinlich mutige steuerliche und regulatorische Maßnahmen erforderlich sind, die den weit verbreiteten Zugang, die Erschwinglichkeit und die Attraktivität dieser Produkte verringern.“
Eine Einschätzung, der sich auch Srour und seine Kollegen in ihrem Review anschließen: „Künftige politische Maßnahmen könnten auch finanzielle Regelungen umfassen, z.B. eine Steuer auf hochverarbeitete Lebensmittel, während weniger verarbeitete und ernährungsphysiologisch gesunde Lebensmittel besser verfügbar und erschwinglich gemacht werden. Wir sind auch der Meinung, dass die Darmmikrobiota als zentraler Akteur für die Bewertung der Lebensmittelqualität und -sicherheit untersucht werden sollte, um die Herstellung von UPFs und die Verwendung von Zusatzstoffen weiter zu regulieren.“
Hochverarbeitete Lebensmittel
UPFs sind verzehrfertige Produkte, die durch Kombination von lebensmittelbasierten oder synthetischen Zutaten hergestellt werden. Die Zutaten sind meist nur industriell verwendete Substanzen wie hydrierte Öle, Glukose-Fruktose-Sirup, Proteinisolate und Zusatzstoffe, so die DGE. Die Kombination der Zutaten kann die sensorischen Eigenschaften von unverarbeiteten oder minimal verarbeiteten Lebensmitteln imitieren.
Für die Herstellung von UPFs sind hochtechnisierte industrielle Prozesse erforderlich. Charakteristisch für UPFs ist, dass sie lange haltbar, verzehrfertig oder erhitzbar und sehr schmackhaft sind. Beispiele sind Fertiggerichte, abgepacktes Brot, Cerealien und Fruchtjogurts mit Zuckerzusatz und Zusatzstoffen, Süßigkeiten.
UPFs haben eine geringe Nährstoffdichte und eine hohe Energiedichte. Sie enthalten oft viel Fett, insbesondere gesättigte und trans-Fettsäuren, Salz, Zucker in verschiedenen Formen, haben einen hohen glykämischen Index und sind arm an Ballaststoffen, Vitaminen, Mineralstoffen und anderen bioaktiven Verbindungen.
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Credits:
Photographer: © Rufatjumali
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Diesen Artikel so zitieren: Indizienlast wächst: Krebsrisiko könnte mit der verzehrten Menge hochverarbeiteter Lebensmittel steigen - Medscape - 21. Feb 2023.
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