HIV-Heilung mittels Stammzelltransplantation – Option auch für nicht an Krebs erkranke Patienten?

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

20. Februar 2023

Es ist erneut gelungen, einen krebskranken HIV-Patienten mit einer allogenen hämatopoetischen Stammzelltransplantation von seiner HIV-Infektion zu heilen. Der als „Düsseldorf-Patient“ bezeichnete Mann ist der inzwischen 3. publizierte Fall eines HIV-Infizierten, dem auf diesem Weg geholfen werden konnte. Jetzt stellt sich die Frage, ob eine Stammzelltransplantation womöglich auch eine Therapieoption für HIV-Patienten sein könnte, die nicht an Krebs erkrankt sind.

In Nature spekulieren Dr. Björn-Erik Ole Jensen, Bereichsleiter Spezielle Infektiologie an der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie des Universitätsklinikums Düsseldorf, und seine Kollegen, die für die Behandlung des Mannes verantwortlich waren, ob dieser Ansatz „möglicherweise auch eine Heilung von HIV unabhängig von lebensbedrohlichen hämatologischen Erkrankungen verspricht“ [1].

So könnte man beispielsweise die CCR5Δ32-Mutation mittels Gentherapie in Wildtyp-Stammzelltransplantate einfügen und zur HIV-Therapie mit weiteren Strategien kombinieren, die die HIV-Reservoire im Körper reduzierten, schlagen sie vor.

Seltene homozygote Mutation schützt vor HIV-Infektion

„Das CCR5-Gen kodiert für einen Chemokinrezeptor, den sich HIV als Ko-Rezeptor für die Bindung an seine Zielzellen zunutze macht; bei CCR5Δ32 handelt es sich um eine natürlich vorkommende Genvariante, die in fehlender Rezeptorexpression resultiert. Personen, die homozygot für CCR5Δ32 sind, sind fast vollständig vor einer HIV-Infektion geschützt“, erklärt Prof. Dr. Boris Fehse, Leiter der Forschungsabteilung Zell- und Gentherapie an der Interdisziplinären Klinik und Poliklinik für Stammzelltransplantation am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, der selbst nicht an der Behandlung beteiligt war.

Bei dem heute 53-jährigen Düsseldorf-Patienten wurde 2011 – 3 Jahre nach seiner HIV-Diagnose – eine akute myeloische Leukämie (AML) festgestellt. Als Therapie erhielt er 2013 unter anderem eine Stammzelltransplantation. Wie bei den beiden vorherigen Fällen aus Berlin (Berlin-Patient) und London (London-Patient), verfügte auch hier die Stammzellspenderin über eine natürliche, homozygote Mutation im CCR5-Gen.

Absetzen der antiviralen Therapie möglich

Tatsächlich führte die Transplantation der CCR5Δ32-Blutstammzellen zu einer Remission der HIV-Symptome. 6 Jahre nach der Transplantation konnte der Düsseldorf-Patient die antiviralen Medikamente gegen das HI-Virus absetzen. Zum Zeitpunkt des Fallberichts in Nature waren seit der Stammzelltransplantation fast 10 Jahre und seit dem Absetzen der antiviralen Therapie 4 Jahre vergangen.

Virologische und immunologische Analysen von Blut und Gewebe des Patienten zeigten zwar noch Spuren von HIV-1-DNA. Outgrowth-Assays in 2 verschiedenen humanisierten Mausmodellen fielen aber negativ aus und bestätigten die Abwesenheit replikationsfähiger HI-Viren. Nach dem Absetzen der antiviralen Therapie gab es keine Hinweise auf einen viralen Rebound oder immunologische Korrelate einer Antigenexposition. Das sei, so die Forschenden, ein starker Hinweis auf eine Heilung von HIV-1.

 
Es handelt sich erst um den dritten publizierten Fall, bei dem von einer vollständigen Genesung von einer HIV-Infektion ausgegangen werden kann. Prof. Dr. Boris Fehse
 

Fehse betont: „Es handelt sich erst um den dritten publizierten Fall, bei dem von einer vollständigen Genesung von einer HIV-Infektion ausgegangen werden kann. Der erste, inzwischen an einem Rezidiv seiner Leukämie verstorbene Patient (Berlin-Patient) wurde bereits vor mehr als 15 Jahren transplantiert, ein weiterer Patient (London-Patient) folgte im Jahr 2016.“

Stammzelltransplantation ist nicht immer erfolgreich

Dabei handelt es sich allerdings nur um die publizierten Fälle. Erst kürzlich seien auf wissenschaftlichen Fachkonferenzen 2 ähnliche Fallberichte vorgestellt worden, so Fehse. Hinzu kämen einige weitere Patienten, bei denen die Behandlung aus verschiedenen Gründen nicht erfolgreich gewesen sei.

Diese Patienten starben zum einen aufgrund einer schnellen Rückkehr ihrer Blutkrebserkrankung oder infolge von Komplikationen der sehr intensiven Therapie. Manche trugen auch bereits eine alternative HIV-Variante in sich, die einen anderen Ko-Rezeptor (CXCR4) benutzt, um in die Zellen einzudringen, sodass die HIV-Infektion auch nach der Stammzelltransplantation von einem CCR5Δ32-homozygoten Spender bestehen blieb.

Ausreichend Zellen CCR5-frei zu machen, ist kompliziert

Den Vorschlag der Forschungsgruppe um Jensen, dass dieser Ansatz in Zukunft auch auf die Heilung von HIV-Infizierten Personen ohne schwere Krebserkrankung ausgeweitet werden könnte, sehen Experten (noch) kritisch. Der Einsatz von Genscheren wie CRISPR/Cas, um das CCR5-Gen in Blutstammzellen zu editieren, ist zwar erprobt worden – allerdings ohne Erfolg.

„Die niedrige Modifikationsfrequenz von nur rund 4% editierten CCR5-Allelen im peripheren Blut nach der Transplantation reichte nicht aus, um ein HIV-resistentes Immunsystem auszubilden“, berichtet Prof. Dr. Toni Cathomen, Direktor des Instituts für Transfusionsmedizin und Gentherapie am Universitätsklinikum Freiburg.

„Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie, das heißt das Ausbilden einer anhaltenden HIV-Resistenz, ist eine hohe Editing-Frequenz am CCR5-Gen. Computer-basierte Modelle gehen davon aus, dass mindestens 50 % der Immunzellen CCR5-frei sein müssen, um dieses Ziel zu erreichen“, ergänzt er.

Risiken nur bei lebensbedrohlicher Erkrankung akzeptabel

Fehse ergänzt: „Um das Immunsystem des Empfängers zu unterdrücken und ein Anwachsen der körperfremden Stammzellen zu ermöglichen, ist trotz neuer Ansätze aktuell noch immer eine zytotoxische und intensiv immunsuppressive Therapie – ‚Konditionierung‘ – notwendig, die mit entsprechenden Nebenwirkungen einhergeht“, sagt Fehse.

 
Die Risiko-Chancen-Bewertung einer allogenen Stammzellentransplantation zur Behandlung einer HIV-Infektion dürfte auch auf längere Sicht eher negativ ausfallen. Prof. Dr. Boris Fehse
 

Die zeitweise Unterdrückung des Immunsystems führt zu einem deutlich erhöhten Risiko für schwere Infektionen. Und es kann passieren, dass sich die transplantierten Immunzellen des Spenders gegen gesundes Empfängergewebe richten und eine Spender-gegen-Wirt-Krankheit auslösen, die sich sowohl akut als auch chronisch manifestieren und ebenfalls einen schweren Verlauf nehmen kann. Hinzu kommen andere Spätfolgen der Therapie, die teilweise mit relevanten Einschränkungen der Organfunktionen einhergehen können.

Diese Risiken „sind vor dem Hintergrund einer unausweichlich tödlich verlaufenden Blutkrebserkrankung akzeptabel, nicht jedoch im Kontext einer Krankheit, die sich, wie die HIV-Infektion, heute gut kontrollieren lässt und in Deutschland mit einer weitgehend normalen Lebenserwartung assoziiert ist“, betont Fehse. „Auch wenn die Behandlungsprotokolle immer besser und die schweren Nebenwirkungen dadurch seltener werden, dürfte die Risiko-Chancen-Bewertung einer allogenen Stammzellentransplantation zur Behandlung einer HIV-Infektion auch auf längere Sicht eher negativ ausfallen.“

Stammzelltransplantation für HIV-Infizierte soll unbedingt weiter erforscht werden

Cathomen ergänzt: „Das Risiko, das zurzeit mit einer Stammzelltransplantation verbunden ist, ist meines Erachtens für ‚gesunde‘ HIV-Infizierte nicht vertretbar. Das kann sich in Zukunft ändern, wenn nebenwirkungsärmere Möglichkeiten der Konditionierung vor einer Stammzelltransplantation entwickelt werden.“

 
Das Risiko, das zurzeit mit einer Stammzelltransplantation verbunden ist, ist meines Erachtens für ‚gesunde‘ HIV-Infizierte nicht vertretbar. Das kann sich in Zukunft ändern. Prof. Dr. Toni Cathomen
 

Dennoch stimmen die Experten den Autoren um Jensen zu, dass „die Studie wichtige Erkenntnisse hinsichtlich zukünftiger Heilungsansätze für HIV aufzeigt, beziehungsweise bekräftigt“, wie Fehse hervorhebt. „Zusammengefasst unterstreicht der sehr gründlich aufgearbeitete Fallbericht aus Düsseldorf das prinzipielle Potenzial kombinierter Gen-Immuntherapien zur Behandlung der HIV-Infektion, welches unbedingt im Rahmen größerer klinischer Studien weiter untersucht werden sollte.“

 
Der sehr gründlich aufgearbeitete Fallbericht aus Düsseldorf unterstreicht das prinzipielle Potenzial kombinierter Gen-Immuntherapien zur Behandlung der HIV-Infektion. Prof. Dr. Boris Fehse
 

Insbesondere, so Cathomen, da „im Gegensatz zur konventionellen HIV-Therapie, die lebenslang eingenommen werden muss, der genetische Ansatz nach einmaligem Einsatz der Genscheren eine Heilung, das heißt eine komplette Remission, und damit das Absetzen der antiretroviralen Therapie verspricht.“

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Kommentar

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