Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und Novartis warnen vor akutem, tödlichem Leberversagen bei der Anwendung von Zolgensma® (Onasemnogene Abeparvovec). Ärzte sollten Patienten länger nachbeobachten und gegebenenfalls die Kortikoid-Therapie anpassen, heißt es im jetzt veröffentlichten Rote-Hand-Brief [1].
Zolgensma® liefert Kopie eines defekten Gens
Zum Hintergrund: Das Gentherapeutikum wurde von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zur Behandlung der spinalen Muskelatrophie zugelassen, einer schweren Nervenerkrankung, die zu Muskelschwund und -schwäche führt.
Patienten mit spinaler Muskelatrophie haben einen Defekt im Gen SMN1. Es kodiert für ein Protein, das für die normale Funktion der Nerven, die Muskelbewegungen steuern, erforderlich ist.
Onasemnogene Abeparvovec enthält eine funktionsfähige Kopie dieses Gens. Wenn das Präparat injiziert wird, gelangt es in die Nerven. Dort wird das funktionsfähige Protein synthetisiert.
Bessere Überlebenschancen für betroffene Babys
Eine große Studie hat gezeigt, dass Zolgensma® die Notwendigkeit einer künstlichen Beatmung bei Säuglingen mit spinaler Muskelatrophie verringert. 20 aller 22 behandelten Säuglinge waren nach 14 Monaten noch am Leben und atmeten ohne Dauerbeatmung, während normalerweise nur 1 Viertel der unbehandelten Patienten ohne Beatmungsgerät überleben würde.
Die Studie konnte auch belegen, dass Zolgensma® dazu beiträgt, dass Babys mindestens 30 Sekunden lang ohne Hilfe sitzen. 14 der 22 behandelten Säuglinge waren nach 18 Monaten dazu in der Lage: ein Meilenstein, der bei unbehandelten Säuglingen mit schweren Formen der Krankheit nie erreicht wird.
Fallberichte: Klinische Manifestation des Leberversagens
Dennoch kam es zu Komplikationen. Der Sicherheitsausschuss der EMA hat Informationen zu 2 Fällen mit tödlichem Ausgang erhalten. Die Patienten waren 4 bzw. 28 Monaten alt.
Zum Verlauf:
Etwa 1 bis 2 Wochen nach der Gentherapie erhöhte sich die Aminotransferase-Werte, ohne dass es zu Symptomen gekommen war. Die Patienten erhielten Prednisolon.
Etwa 5 bis 6 Wochen nach Therapiebeginn stieg dieser Laborwert weiter an. Gleichzeitig litten die Patienten an allgemeiner Schwäche und an Erbrechen.
Kurz darauf verschlechterte sich der Gesundheitszustand der Patienten rapide, inklusive einer Beeinträchtigung der Leberfunktion, einer hepatischen Enzephalopathie und Multiorganversagen.
Der Tod trat 6 bis 7 Wochen nach Therapiebeginn ein.
Patienten länger überwachen und bei ersten Anzeichen rasch behandeln
Aufgrund der Fallberichte hat der Sicherheitsausschuss der EMA beschlossen, Risiken über die EU-Mitgliedsstaaten an Ärzte und Apotheker zu kommunizieren.
Im jetzt veröffentlichten Rote-Hand-Brief heißt es, die Hepatotoxizität zeige sich zu Beginn anhand erhöhten Aminotransferase-Werte (AST, ALT). Als Erklärung spekulieren die Autoren über eine angeborenen und/oder adaptiven Immunreaktion auf den Vektor.
Ärzte sollten vorbeugend Kortikosteroide verabreichen und die Leberfunktion für mindestens 3 Monate überwachen, inklusive Kortikosteroid-Ausschleichphase.
Treten erste Anzeichen von Funktionsstörungen der Leber auf, sind umgehend weitere Untersuchungen zu veranlassen. Sprechen Patienten nicht auf die empfohlenen Kortikoid-Gaben an, sollte ein pädiatrischer Gastroenterologe oder ein Hepatologe konsultiert werden. Er hat u.a. die Möglichkeit, Kortikoide höher zu dosieren und/oder länger zu verabreichen bzw. langsamer auszuschleichen.
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Credits:
Photographer: © Nataliia Mysik
Lead Image: Dreamstime
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Diesen Artikel so zitieren: Warnung vor tödlichem Leberversagen nach Gentherapie: Rote-Hand-Brief zu Zolgensma® veröffentlicht - Medscape - 17. Feb 2023.
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