MEINUNG

So schnell und so viel wie möglich mehr Medizinstudienplätze – aber wo bleiben Reformen und Qualität?

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

15. Februar 2023

Beim 126. Deutschen Ärztetag in Bremen 2022 hatte die Ärztekammer gewarnt, dass tausende Medizinstudienplätze fehlen. Anfang Januar dieses Jahres ging Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach noch einen Schritt weiter und hat die Länder dazu aufgefordert, zügig mehr Medizinstudienplätze zu schaffen. Sein Ziel: 5.000 zusätzliche Studienplätze.

Peter Schreiber
Quelle: privat

Die Diskussion über eine Erhöhung der Zahl von Medizinstudienplätzen ist in vollem Gange. Doch die Mengen-Debatte darf nicht dazu führen, dass wichtige Reformen – der Masterplan Medizinstudium 2020 (MM2020) und die neue Approbationsordnung – ins Hintertreffen geraten, warnt Peter Schreiber, Vorsitzender des Studierendenausschusses im Hartmannbund.

Medscape: Sie warnen vor einer „einseitigen Fokussierung auf die Quantität in der medizinischen Ausbildung“. Woran machen Sie das fest?

Schreiber: Ja, zum Beispiel. Es ist unverkennbar, dass zur Zeit der öffentliche Diskurs sehr getragen ist von Rufen nach möglichst baldiger Aufstockung der Zahl von Medizinstudienplätzen: so viel wie irgend geht, so schnell wie irgend möglich machbar.

Und das nicht zuletzt durch die Forderung des Bundesgesundheitsministers Anfang des Jahres nach diesen 5.000 zusätzlichen Plätzen. Das scheint zur Zeit der vermeintliche Top-Lösungsansatz unserer strukturellen Probleme in toto zu sein. Wir sehen das anders.

Medscape: Sie sagen, es muss sichergestellt sein, dass die dringend notwendige Reform des Medizinstudiums – die Umsetzung des Masterplans Medizinstudium 2020 – nicht unter den Tisch fällt. Wie kann das aus Sicht des Studierendenausschusses sichergestellt werden?

Schreiber: Da ist erst mal das Bundesgesundheitsministerium gefragt. Aus unserer Sicht hätte das BMG lieber gestern als heute den aktualisierten Referentenentwurf für die Approbationsordnung veröffentlichen sollen. Denn genau darauf warten alle. Und sicherlich warten auch die Ministerpräsidenten darauf, dass die vorliegenden Ergänzungen und Gedankenanstöße in den Referentenentwurf einfließen.

 
Wenn man das schafft – Approbationsordnung und Masterplan adäquat aufeinander abzustimmen – dann hat man inhaltlich kaum Fehler gemacht. Peter Schreiber
 

Läge der aktualisierte Entwurf vor, wäre das ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Das wäre auch überfällig, um wirklichen Handlungswillen zu demonstrieren.

Denn die Weichen für eine unverzügliche Zukunftsausrichtung des Medizinstudiums müssen schnellstmöglich gestellt werden – hätten schon längst gestellt werden müssen. Außerdem gibt es die geeignete Blaupause, die gerade gesucht wird, doch schon: den Masterplan Medizinstudium 2020. Wenn man das schafft – Approbationsordnung und Masterplan adäquat aufeinander abzustimmen – dann hat man inhaltlich kaum Fehler gemacht.

Medscape: Bislang ist allerdings die Umsetzung des MM2020 an der Finanzierung gescheitert. Wie bewerten Sie das?

Schreiber: Dass es Bund und Länder bis jetzt immer noch nicht geschafft haben, ein funktionierendes Finanzierungsmodell auszuarbeiten, beunruhigt mich. Das beunruhigt aber nicht nur mich, sondern den ganzen Studierendenausschuss. Ich denke, dass es auch außerhalb des Hartmannbundes den meisten Studierenden, die sich mit dieser Thematik befassen, so geht.

 
Dass es Bund und Länder bis jetzt immer noch nicht geschafft haben, ein funktionierendes Finanzierungsmodell [für den Masterplan Medizinstudium 2020] auszuarbeiten, beunruhigt mich. Peter Schreiber
 

Ich gehe aber weiterhin von der Ernsthaftigkeit der Absichten zur umfassenden Umsetzung des MM2020 aus. Daran zweifle ich nicht.

Trotzdem muss man an dieser Stelle anmerken: Diese Debatte ist ja nicht neu. Gerade zum Thema Kostenpunkt der Reform: 2018 hat die unabhängige Expertenkommission des Wissenschaftsrates unter Leitung des Bildungsforschers Prof. Dr. Manfred Prenzel ihr lang erwartetes Gutachten vorgelegt. Schon damals wurde der vermutliche Bedarf an Finanzmitteln auf einen dreistelligen Millionenbetrag beziffert.

 
Das Erreichen der Umsetzung [der neuen Approbationsordnung] sieht aus unserer Sicht deshalb sehr schlecht aus. Peter Schreiber
 

Dass aber nach dieser langen Zeit bei einem so bedeutungsvollen Thema wie der medizinischen Versorgung der Zukunft noch keine Einigung erfolgt ist – das ist schon sehr ernüchternd. Deswegen sehen wir jetzt auch mit den neuerlichen Entwicklungen noch nicht so viel Landgewinn. Wenn die Entscheidung jetzt lediglich übertragen wird, dann wird der „schwarze Peter“ einfach nur weitergeschoben. Das hat noch keinen wirklichen Mehrwert. Aber wir bleiben gespannt.

Medscape: Die Arbeitswelt der Mediziner und Medizinerinnen hat sich verändert. Die neue Approbationsordnung soll am 1. Oktober 2025 in Kraft treten. Ist die Umsetzung der neuen Approbationsordnung aus Ihrer Sicht gefährdet? Und ist sie gut genug an die neuen Behandlungsbedingungen angepasst?

Schreiber: Wir sehen die Umsetzung als gefährdet an, ja. Es bleiben zwar noch zweieinhalb Jahre bis dahin, das ist noch ein bisschen Zeit. Aber schaut man sich an, was in dieser Zeit noch erfolgen muss – der Gesetzgebungsprozess und dann eben auch das mögliche Anlaufen der Reformen, die Umsetzung in der Lehre – dann ist die Zeit wirklich sehr knapp. Das Erreichen der Umsetzung sieht aus unserer Sicht deshalb sehr schlecht aus.

 
Es ist nicht zielführend, primär für mehr Studienplätze zu plädieren, wenn zugleich eine andere, noch viel grundlegendere Baustelle – die des MM 2020 – noch keinen Abschluss gefunden hat. Peter Schreiber
 

Wir meinen auch, dass die Politik die Hochschulmedizin der einzelnen Länder – vor allem in finanzieller Hinsicht – auf diesem steinigen Weg nicht einfach so im Regen stehen lassen darf. Sowohl finanziell nicht – das ist ja der größte Streitpunkt –, aber eben auch nicht konzeptionell.

Unmittelbar nachdem die ersten Inhalte aus dem Referentenentwurf zur neuen Approbationsordnung durchgesickert sind, hat sich schnell gezeigt, dass die Themen Digitalisierung, Kompetenzvermittlung für digitale Anwendungen und Datenrecherche sehr nebulös formuliert waren. Da hat sich z.B. der medizinische Fakultätentag auch ein bisschen allein gelassen gefühlt. Das Thema Digitalisierung war im Referentenentwurf ein weites Feld – da wurden kaum Struktur oder Anhaltspunkte aufgezeigt.

Medscape: Nun kosten weitere Medizinstudienplätze ebenfalls immense Summen, die dann die dann ggf. an anderer Stelle – z.B. für die Umsetzung des MM2020 – fehlen könnten. Sollte die Zahl von Medizinstudienplätzen erhöht werden?

Schreiber: Richtig ist, dass mittelfristig eine Erhöhung der Studienplätze eine mögliche Antwort auf die uns entgegenschlagenden Probleme – vor allen Dingen die medizinische Versorgung im ambulanten Bereich – sein kann. Wir wissen es aber heute einfach nicht. So ist nicht wirklich klar, ob die jetzt avisierten 5.000 zusätzlichen Medizinstudierenden – wenn sie ihre lange Ausbildung dann abgeschlossen haben werden – angesichts parallel laufender Entwicklungen tatsächlich noch so dringend wie jetzt gebraucht werden.

Forderungen nach zusätzlichen Studienplätzen hin oder her: Aus unserer Sicht muss die oberste Maxime lauten, dass den berechtigten Ansprüchen der Studierenden an die Qualität der medizinischen Ausbildung, aber eben auch den Ansprüchen der Patienten an die junge Ärzte-Generation Rechnung getragen werden muss.

Demnach ist es nicht zielführend, primär für mehr Studienplätze zu plädieren, wenn zugleich eine andere, noch viel grundlegendere Baustelle – die des MM 2020 – noch keinen Abschluss gefunden hat. Und da sich die Finanzierungsfrage ja ohnehin ein wenig diffizil zu gestalten scheint, ist für uns klar: Qualität geht vor Quantität.

Medscape: Herzlichen Dank für das Gespräch.

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