Wenn es nach den Patientinnen und Patienten geht, kann die elektronische Patientenakte (ePA) kommen – und zwar im Opt-Out-Verfahren. Das geht aus Zahlen einer Studie der Bertelsmann Stiftung und der Stiftung Münch hervor. Die beiden Stiftungen haben im vergangenen August/ September eine Haushaltsbefragung unter 1.871 Menschen ab 14 Jahren gemacht.
Danach erfreut sich das Opt-Out-Verfahren in der Bevölkerung großer Beliebtheit. 2 Drittel der Befragten haben die Widerspruchslösung bei der ePA befürwortet. Ein weiteres Ergebnis: Die Patienten vertrauen weitaus mehr ihren Ärzten wenn es um Gesundheitsdaten geht, als ihren Krankenkassen.
„Anlass für die Befragung war der Umstand, dass die Bundesregierung im Laufe des Jahres auf das Opt-Out-Verfahren umstellen will“, sagt Dr. Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung zu Medscape. Wer derzeit eine ePA nutzen möchte, muss dies bei seiner Krankenkasse beantragen. Und er muss das Anlegen der Akte, die Befüllung mit Daten und die Nutzung durch Ärzte in Praxen oder Krankenhäusern jeweils einzeln genehmigen und freigeben.
Dieses Opt-In-Verfahren wird von den Patienten offenbar als kompliziert und zeitraubend wahrgenommen, wie die unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) festgestellt hat. "Dieses komplizierte Einwilligungsverfahren dürfte einer der Gründe sein, weshalb in Deutschland bisher nicht einmal ein Prozent der Versicherten die ePA nutzen“, sagt auch Etgeton. „In Österreich, wo Opt-Out schon seit Jahren gilt, sind es 97%. Mit Opt-Out kann auch in Deutschland die ePA zur Datendrehscheibe im Gesundheitswesen werden."
Das von der Bundesregierung favorisierte Opt-Out-Verfahren sieht für jeden Versicherten jeweils eine eigene bereits eingerichtete ePA vor. Versicherte, die dies nicht wünschen, können der Einrichtung ihrer Akte widersprechen.
Opt-out-Verfahren findet relativ große Zustimmung
65% der Befragten finden die ePA-Opt-Out gut. Am stärksten ist die Zustimmung unter den 70- bis 79-Jährigen mit 72%, am geringsten unter den 30- bis 49-Jährigen (62%). Am auffälligsten ist der Unterschied zwischen Ost und West: Unter den Ostdeutschen können sich nur 46% für die Opt-Out-Lösung erwärmen, im Westen sind es 70%.
Dafür setzen Ost- und Westdeutsche bei der Befüllung ihrer ePA vor allem auf ihre Hausärzte. Mit 47% gibt fast die Hälfte aller befragten Menschen an, dass ihre ePA in der Hausarztpraxis befüllt werden soll. 40% würden allen ihren Ärztinnen und Ärzten generell das Zugriffsrecht auf ihre Daten gewähren. Die Hälfte der Befragten allerdings will den Kreis enger ziehen und nur bestimmten Ärzten den Zugriff erlauben.
„Es ist nachvollziehbar, dass viele Patienten die Diagnosen einer Psychotherapie oder einer sexuell übertragbaren Krankheit nicht allen ihren behandelnden Ärzten zugänglich gemacht werden soll“, sagt Etgeton zu Medscape. „Man kann über sensible Daten noch mal sprechen. Aber die Grundeinstellung muss sein, dass alle behandelnden Ärzte die Daten erst mal einsehen können.“
UPD: ePA und Co. sind vielen Patienten zu kompliziert und zu undurchsichtig
Insgesamt scheine aber die Bevölkerung nicht besonders interessiert zu sein an den Telematik-Anwendungen im Gesundheitswesen, sagt Marcel Weigand, Leiter der Kooperationen und digitale Transformation bei der UPD zu Medscape. Denn die meisten Patienten wüssten nicht genau, woran sie sind, sie hadern mit der Technik: Gilt schon die elektronische AU? Das elektronische Rezept? Die ePA? Wie und wo und wozu muss ich mich anmelden? Wie ist es ist dem Datenschutz?
„Die Patienten sind eigentlich genauso irritiert wie viele Experten“, sagt Weigand. Die Folge des Fremdelns mit den Anwendungen: Die Patienten finden keinen Arzt der ihnen die ePA befüllt und die Ärzte haben nichts davon, wenn nur jeder 1.000. Patient eine ePA hat. „Außerdem- so lange die ePA für den Arzt eine Art Überraschungstüte bleibt, und er nicht sehen kann, ob sie überhaupt gefüllt ist, wird er in seiner Praxis keinen Standard-Prozess für das Befüllen anlegen“, meint Weigand. „Da ist es natürlich gut, die Einführung der ePA über das Opt-Out-Verfahren läuft.“
Kurz: Das Interesse ist groß, aber wenn es konkret wird mit der ePA, zögern die Patientinnen und Patienten. Weigand: „Bisher haben 0,7% der Patienten eine ePA bei ihrer Krankenkasse beantragt; wie viel davon befüllt sind, ist eine andere Frage. Mit dem Opt-Out-Verfahren ist eine wirkliche Nutzung der elektronischen Gesundheitsakte von 70% bis 80% durchaus realistisch.“
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Diesen Artikel so zitieren: Bekommt die elektronische Patientenakte noch eine Chance durch das Opt-Out-Verfahren? Die Patienten haben abgestimmt - Medscape - 15. Feb 2023.
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