Eine Sepsis erhöht kardiovaskuläres Risiko deutlich: Große Studie mahnt zur langfristigen Nachsorge

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

14. Februar 2023

Sepsis ist weltweit eine der führenden Ursachen für Hospitalisierungen, Invalidität und Todesfälle. Laut einer großen retrospektive Kohortenanalyse aus den USA ist insbesondere das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse nach überlebter Sepsis signifikant erhöht [1]. Eine kardiologische Weiterbetreuung dieser Patienten könnte sinnvoll sein.

 
mit mehr als 2 Millionen Patienten ist bietet diese retrospektiven Kohortenanalysen eine statistische Genauigkeit, die kleinere Kohortenanalysen nicht erbringen können. Dr. Tobias Graf
 

Dass Sepsis bei Krankenhausüberlebenden mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse einhergeht, hatten kleinere Studien bereits angedeutet. „Aber mit mehr als 2 Millionen Patienten ist bietet diese retrospektiven Kohortenanalysen eine statistische Genauigkeit, die kleinere Kohortenanalysen nicht erbringen können“, sagt Dr. Tobias Graf, der an der Medizinischen Klinik II (Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin) des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, die Intensivstation leitet.

„Diese Studie kann von der Datenqualität her erstmalig wirklich zeigen, dass wir bei der überlebten Sepsis und auch in den Jahren danach kardiovaskuläre Ereignisse genauer im Auge haben müssen“, ergänzt er im Gespräch mit Medscape.

Zahlen zur Sepsis

Schätzungen zufolge ist Sepsis jährlich für 11 Millionen Todesfälle weltweit verantwortlich. Für Deutschland ergab eine retrospektive Beobachtungsstudie 58.689 mit explizit codierter Sepsis assoziierte Krankenhaustodesfälle im Jahr 2016. Die Kriterien für eine implizierte codierte Sepsis erfüllten 196.440 Todesfälle.

Zur Identifikation einer expliziten Sepsis werden die Entlassdiagnosen R65.1 (Sepsis mit Organversagen) und R57.2 (septischer Schock) herangezogen. Bei der impliziten Identifikationsstrategie, die als weniger anfällig für Codierungseinflüsse gilt, werden Sepsis-bedingte Krankenhaustodesfälle als Todesfälle mit gleichzeitigem Vorliegen eines ICD-10-Codes für Infektion und eines ICD-10-Codes für Organversagen bei Krankenhausentlassung gewertet. Implizit erfasste Sepsisfälle schließen explizite Sepsisfälle mit ein

Die retrospektiv analysierte Kohorte umfasste 2.258.464 Patientinnen und Patienten, die einen nicht-chirurgischen Krankenhausaufenthalt von mindestens 2 Nächten Dauer überlebt hatten. Insgesamt 808.673 (35,8%) von ihnen litten während ihrer Hospitalisierung an einer Sepsis.

Bei 448.644 Patienten war es eine implizit codierte Sepsis, bei 124.841 eine explizit codierte Sepsis, 235.188 erfüllten die Kriterien für beide Identifikationsstrategien. Das Follow-up umfasste 5.396.051 Patientenjahre.

Erstautor Dr. Jacob C. Jentzer vom Department of Cardiovascular Medicine der Mayo Clinic in Rochester, USA, und seine Kollegen berichten im Journal of the American Heart Association, dass diejenigen mit einer Sepsis während ihres Krankenhausaufenthalts im Anschluss ein höheres Sterberisiko gehabt hätten. Darüber hinaus seien sie häufiger aufgrund irgendeiner Ursache oder aufgrund eines kardiovaskulären Ereignisses erneut hospitalisiert worden.

 
Wir müssen bei der überlebten Sepsis und auch in den Jahren danach kardiovaskuläre Ereignisse genauer im Auge haben. Dr. Tobias Graf
 

Die Patienten mit einer Sepsis während der Hospitalisierung unterschieden sich beträchtlich von denjenigen ohne Sepsis: Sie hatten ein insgesamt höheres Risikoprofil – wie etwa häufiger schwere Erkrankungen und mehr akute und chronische kardiovaskuläre Erkrankungen. Allerdings hätten die Patienten mit Sepsis auch dann noch ein höheres Ereignisrisiko gehabt, wenn um diese relevanten Faktoren adjustiert oder stratifiziert worden sei, betonen die Autoren.

Erhöhtes Risiko insbesondere für Herzinsuffizienz

Nach Adjustierung um die relevanten klinischen Einflussgrößen sowie die Anfälligkeit für eine Sepsis im Krankenhaus waren erhöht:

  • das Risiko für Gesamtmortalität um 27% (adjustierte Hazard Ratio [aHR] 1,27; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,25-1,28; p<0,001),

  • das Risiko für Rehospitalisierung aufgrund aller Ursachen um 38% (aHR 1,38; 95%-KI 1,37-1,39; p<0,001) und

  • das Risiko für kardiovaskuläre Hospitalisierung um 43% (aHR 1,43; 95%-KI 1,41-1,44; p<0,001).

Letzteres galt insbesondere für Hospitalisierungen aufgrund von Herzinsuffizienz (aHR 1,51; 95%-KI 1,49-1,53).

„Die Sepsis-Überlebenden hatten über das gesamte Follow-up hinweg ein erhöhtes Risiko für alle schweren kardiovaskulären Ereignisse, sowohl atherosklerotischer als auch nicht-atherosklerotischer Natur. Herzinsuffizienz war am häufigsten“, schreiben die Studienautoren.

 
Die Sepsis-Überlebenden hatten über das gesamte Follow-up hinweg ein erhöhtes Risiko für alle schweren kardiovaskulären Ereignisse … Herzinsuffizienz war am häufigsten. Dr. Jacob C. Jentzer und Kollegen
 

Das zusätzliche kardiovaskulären Risiko der Patienten mit Sepsis zeigte sich bereits innerhalb der ersten 6 bis 12 Monate nach dem Krankenhausaufenthalt und wuchs über die gesamten 12 Jahre Follow-up an. Patienten mit impliziter Sepsis hatten ein höheres Risiko als diejenigen mit expliziter Sepsis.

Substanzielle Risikoerhöhung über das gesamte Spektrum

Nach Alter, Geschlecht, Ethnizität, Versicherungsform und kardiovaskulärer Vorerkrankung stratifizierte Subgruppenanalysen bestätigten die Ergebnisse. Allerdings fiel die Stärke der Assoziation teils unterschiedlich aus. Die Hazard Ratios für Gesamtmortalität waren zum Beispiel höher, wenn die Sepsis-Patienten unter 65 Jahren alt, nicht-weiß und privat versichert waren und keine kardiovaskuläre Vorerkrankung aufwiesen.

„Das Risiko war über das gesamte Spektrum kardiovaskulärer Ereignisse erhöht. Und dass Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bei Sepsis-Überlebenden war substanziell genug erhöht, dass Sepsis als nicht-traditioneller Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse in Betracht gezogen werden sollte“, schlussfolgern Jentzer und seine Kollegen.

Die Frage nach der Kausalität bleibt

Allerdings: Trotz ihrer Größe stellt sich auch bei dieser retrospektiven Kohortenstudie die Frage nach der Kausalität: Werden Patienten nach einer Sepsis häufiger kardiovaskulär krank, oder sind kardiovaskulär erkrankte Patienten bei einer Sepsis einem höheren Risiko ausgesetzt?

„Wenn Patienten kardial vorerkrankt sind, vielleicht auch eine eingeschränkte Pumpfunktion haben, können sie möglicherweise nicht mehr mit einer ausreichenden hämodynamischen Antwort auf eine Sepsis reagieren“, sagt Graf. „Eine Sepsis erfordert ein hohes Herzminutenvolumen, vielleicht kann ein vorerkrankter Patient das weniger gut bewältigen.“

 
Eine Sepsis erfordert ein hohes Herzminutenvolumen, vielleicht kann ein vorerkrankter Patient das weniger gut bewältigen. Dr. Tobias Graf
 

Es kann somit durchaus sein, dass eine Sepsis eine bestehende Herzerkrankung verschlimmert, da sie dem Herzen mehr Leistung abfordert. Ein möglicher Mechanismus, über den die Sepsis selbst das kardiovaskuläre Ereignisrisiko erhöht, wurde bislang nicht beschrieben – aber es gibt biologische Hinweise.

Sepsis könnte ein nicht-traditioneller kardiovaskulärer Risikofaktor sein

In einem begleitenden Editorial schreiben Dr.Gabriel Wardi vom Department of Emergency Medicine der University of California at San Diego in La Jolla, USA, und seine Koautoren, dass „einige Patienten mit Sepsis in einem Zustand der dauerhaften Immundysfunktion und systemischen Inflammation verbleiben. Dies könnte erklären, weshalb einige Patienten mit Sepsis ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse haben“ [2].

 
Einige Patienten mit Sepsis verbleiben in einem Zustand der dauerhaften Immundysfunktion und systemischen Inflammation. Dr. Gabriel Wardi und Kollegen
 

Sie stimmen den Studienautoren zu, dass die beobachteten Korrelationen ein Hinweis darauf sind, dass Sepsis ein wichtiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Komplikationen bei einem breiten Spektrum von Patienten sein könnte.

Kardiologische Weiterbetreuung ist sinnvoll

„Die hohe Zahl an Sepsis-Fällen weltweit führt zu einer hohen Zahl an Sepsis-Überlebenden weltweit, die ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse haben“, schreiben Jentzer und seine Kollegen und fordern „eine gewissenhafte Nachversorgung und die Optimierung der leitliniengerechten medikamentösen Therapie“ für diese Patientengruppe.

Und auch Graf betont: „Was sich aus dieser großen Kohortenanalyse ableiten lässt, ist, dass man diese Patienten genauer im Auge behalten muss, weil die kardiovaskulären Ereignisse auch in den Jahren nach der Krankenhausentlassung gehäuft auftreten und damit auch die Mortalität der Patienten deutlich antreiben.“

Es sei die Aufgabe des Primärbehandlers, die Patienten über das erhöhte kardiovaskuläre Risiko nach Sepsis aufzuklären und bei der Entlassung mit dem Hausarzt zu klären, dass eine kardiologische Weiterbetreuung sinnvoll ist.

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