Anhand eines spezifischen Lipidprofils ist es Forschern gelungen, Patienten mit Schizophrenie zu identifizieren. Ergebnisse ihrer Studie könnten den Weg für erste Labortests ebnen, um schwere psychiatrische Erkrankungen zu diagnostizieren.
Alle Details wurden jetzt in JAMA Psychiatry veröffentlicht [1]. Grundlage ist ein Profil aus 77 Lipiden; Cholesterin und Triglyceride machten nur einen kleinen Teil der untersuchten Biomarker aus.
Schizophrenie anhand von Lipiden erkennen
„Die 77 Lipide bilden ein Profil der Lipidomik, das mit sehr hoher Genauigkeit zwischen Personen mit Schizophrenie und Personen ohne eine psychiatrische Diagnose unterscheidet“, sagte Studienleiterin Dr. Eva C. Schulte vom Institut für Psychiatrische Phänomik und Genomik (IPPG) und der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München gegenüber Medscape.

Dr. Eva C. Schulte
„Bemerkenswert ist, dass wir keine großen Profilunterschiede zwischen Patienten mit erster psychotischer Episode, die nur einige Tage lang behandelt worden waren, und Personen mit einer langfristigen antipsychotischen Therapie feststellen konnten“, so Schulte.
Obwohl ein Test als Teil der Routinediagnostik noch in weiter Ferne liege, sei die Identifizierung der speziellen Lipidsignatur ein wichtiger Schritt in diese Richtung, schreiben die Autoren im Artikel. Ein Experte merkt jedoch an, dass die Lipidsignatur durchaus Einschränkungen habe, weil sie Patienten mit Schizophrenie nicht akkurat von solchen mit bipolarer Störung oder mit schwerer depressiver Störung abgrenze.
Details der Studie
Über Lipidprofile bei Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen haben Forscher bereits früher berichtet. Ältere Studien haben jedoch nur wenige Patienten eingeschlossen und ergaben keine zuverlässige Signatur, die von demografischen Faktoren und Umweltfaktoren unabhängig gewesen ist.
Für ihre aktuelle Studie analysierten Forscher Lipide aus dem Blutplasma von 980 Personen mit schweren psychiatrischen Erkrankungen und von 572 Personen ohne psychische Erkrankungen. Die Proben kamen aus China, Deutschland, Österreich und Russland.
Zu den Studienteilnehmern gehörten Patienten mit Schizophrenie (n=478), mit Borreliose (n=184) und mit Depression (Major Depressive Disorder; n=256) sowie 104 Patienten mit einer ersten psychotischen Episode, die keine Psychopharmaka über längere Zeit eingenommen hatten.
Die Ergebnisse zeigten, dass 77 Lipide in 14 Klassen bei Teilnehmern mit Schizophrenie im Vergleich zu gesunden Kontrollen signifikant verändert waren. Zu den auffälligsten Unterschieden gehörten höhere Werte von Ceramid, Triacylglycerid und Phosphatidylcholin sowie niedrigere Werte von Acylcarnitin und Phosphatidylcholin-Plasmalogen (p<0,05).
Schizophrenie-assoziierte Lipidunterschiede waren bei Patienten mit hoher und niedriger Schwere der Symptome ähnlich (p<0,001), was darauf schließen lässt, dass Lipidveränderungen ein generelles Merkmal psychiatrischer Störungen darstellen könnten.
Kein Effekt von Pharmakotherapien
Die meisten Patienten in der Studie erhielten eine Langzeitmedikation mit Antipsychotika, was sich auf einige Lipide im Plasma auswirken kann. Deshalb untersuchten die Forscher 13 Patienten mit Schizophrenie, die vor der Blutentnahme mindestens 6 Monate lang keine Medikamente eingenommen hatten, sowie Patienten mit einer ersten psychotischen Episode, die seit weniger als 1 Woche Pharmaka bekommen hatten.
Ein Vergleich der Unterschiede der Lipidspiegel zwischen der gesunden Kontrollgruppe und den Teilnehmern, die entweder Medikamente erhielten oder nicht medikamentös behandelt wurden, ergab hoch korrelierte Veränderungen der Signaturen in beiden Patientengruppen (p<0,001).
„Zusammengenommen deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass die identifizierten Schizophrenie-assoziierten Veränderungen nicht auf Medikamenteneffekte zurückgeführt werden können“, schreiben die Forscher.
Unterschiedliche Krankheitsbilder gegeneinander abgrenzen
Lipidom-Veränderungen bei Patienten mit bipolarer Störung und mit Depression wurden bei 184 bzw. 256 Personen bewertet. Diese waren denen der Schizophrenie ähnlich, aber nicht identisch.
Die Forscher isolierten 97 Lipide, die bei Patienten mit Depression verändert waren, und 47 bei Patienten mit bipolaren Störungen. Dabei überlappten sich 30 bzw. 28 der Biomarker mit den Schizophrenie-assoziierten Merkmalen. 7 der Lipide wurden bei allen 3 Störungen gefunden.

Dr. Thomas G. Schulze
Obwohl dies statistisch signifikant sei (p<0,001), sei der Effekt nicht stark genug, um einen eindeutigen Zusammenhang zu belegen, schreiben die Forscher.
Die Profile seien gut geeignet, um Personen mit schweren psychischen Erkrankungen von Personen ohne eine solche Erkrankung zu unterscheiden, aber weniger geeignet, um verschiedenen diagnostischen Entitäten zu unterschieden, sagte der Koautor Prof. Dr. Thomas G. Schulze, Direktor des IPPG, gegenüber Medscape.
„Ein wichtiger Vorbehalt ist auch, dass die verfügbaren Stichproben für die bipolare Störung und die schwere depressive Störung kleiner waren als die für die Schizophrenie, was einen direkten Vergleich zwischen ihnen erschwert“, fügte Schulze hinzu, der auch klinischer Professor für Psychiatrie und Verhaltenswissenschaften am Norton College of Medicine der SUNY Upstate Medical University in Syracuse, New York, ist.
Es gibt noch viel zu tun
Obwohl es sich bei der Studie um die bisher größte Untersuchung von Lipidprofilen in Zusammenhang mit schweren psychiatrischen Erkrankungen handele, bleibe noch viel zu tun, so Schulze.
„Zum jetzigen Zeitpunkt kann auf der Grundlage dieser Ergebnisse noch kein klinischer Diagnosetest abgeleitet werden“, sagte er. Den die Entwicklung zuverlässiger Biomarker auf der Grundlage des Lipidoms erfordere große prospektive, randomisierte Studien, die durch Beobachtungsstudien ergänzt würden. Wichtig sei, solche Profile über die gesamte Lebensspanne hinweg zu untersuchen.
Die Forscher wünschen sich auch, besser zu verstehen, warum sich das Lipidom bei psychiatrischen Erkrankungen verändert. Physiologisch gesehen haben die untersuchten Lipide viele zusätzliche Funktionen. Schulte wies darauf hin, dass mehrere Lipidarten an der Bestimmung von Mechanismen beteiligt sein könnten, die für die synaptische Funktion wichtig seien, wie etwa die Fluidität der Zellmembran und die Freisetzung von Vesikeln.
„Wie allgemein bekannt ist, liegen vielen schweren psychiatrischen Störungen Veränderungen der synaptischen Funktion zugrunde“, sagte sie. „Veränderungen der Lipidspezies könnten theoretisch mit diesen synaptischen Veränderungen in Zusammenhang stehen.“
Ein besserer Marker muss her
Prof. Dr. Steve Strakowski, stellvertretender Vorsitzender für Forschung in der Abteilung für Psychiatrie an der Indiana University School of Medicine, Indianapolis und Evansville, merkte in einem Kommentar für Medscape an, dass die Ergebnisse zwar interessant seien, aber nicht wirklich die Art von Informationen böten, die Ärzte am dringendsten benötigten.
„Brauchen wir einen Marker, der uns sagt, ob jemand im Vergleich zu einer gesunden Person eine schwere psychische Erkrankung hat?“, fragt Strakowski, der nicht an der Studie beteiligt war. „Die Antwort darauf ist nein. Wir wissen bereits, wie man das macht.“
„Ein wirklich nützlicher Marker würde Ärzten helfen, zwischen Schizophrenie, bipolarer Störung, schwerer Depression oder einer anderen schweren psychischen Erkrankung zu unterscheiden“, sagte er. „Das ist der Marker, der am hilfreichsten wäre.“
Strakowksi merkte an, dass die Ergebnisse auch nicht erklärten, ob das Lipidprofil, das bei Patienten mit Schizophrenie gefunden worden sei, der Diagnose vorausgehe oder ob es eine Folge der psychischen Krankheit, einer nicht damit zusammenhängenden Krankheit oder eines anderen Faktors sei.
Er wies jedoch darauf hin, dass diese Einschränkungen die Bedeutung der Studie nicht schmälere. „Es handelt sich um einen großen Datensatz, der Länder- und Diagnose-übergreifend ist und der zeigt, dass es hier ein Signal zu geben scheint, dass es etwas an den Lipidprofilen gibt, das unabhängig von der Behandlung ist und dass es wert sein könnte, verstanden zu werden“, sagte Strakowksi. „Es ermöglicht uns, über die Entwicklung verschiedener Modelle auf der Grundlage von Lipidprofilen nachzudenken, und das ist wichtig.“
Der Beitrag ist im Original erschienen auf www.medscape.com und wurde von Michael van den Heuvel übersetzt und adaptiert.
Credits:
Photographer: © Luchschen
Lead image: Dreamstime.com
Medscape Nachrichten © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Schizophrenie per Bluttest erkennen? 77 Lipide als Biomarker weisen den Weg – doch einige Fragen sind offen - Medscape - 9. Feb 2023.
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