Aggressive oder desorientierte Patienten in der Hausarztpraxis – was können und was dürfen Ärzte tun?

Dr. Thomas Kron

Interessenkonflikte

28. Februar 2023

Viele Ärzte stellen sich bei der Akutversorgung psychiatrischer Notfälle die Frage, ob sie die Situation richtig einschätzen und ob eine unfreiwillige Vorstellung in einer psychiatrischen Klinik nötig ist. Manche haben Bedenken, dass die Gefahr einer Traumatisierung der Betroffenen zu groß sein könnte, fragten sich aber zugleich, ob es nicht gefährlich sei, weiter abzuwarten. Außerdem stellt sich die Frage, ob psychomotorisch erregte Patienten sediert werden dürften. 

In einem Zeitschriftenbeitrag erklären die Allgemeinmedizinerin Dr. Bernadett Hilbert, ihre Münchener Kollegin Dr. Marlies Karsch-Völk sowie Prof. Dr. Michael Landgrebe von der kbo-Lech-Mangfall-Klinik Agatharied, einer Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, anhand typischer Fallbeispiele, wie Hausärzte vorgehen sollten.

Eine ältere, verwirrte Patientin mit Metastasen im Gehirn

In einem Fallbeispiel geht es um eine verwirrte Patientin in einer Hausarzt-Praxis. Bei ihr besteht die Gefahr, dass sie nicht auf den Straßenverkehr achtet und verunfallt. Die Frage, die sich hier stellt, ist die, ob im Notfall eine Medikation gegen den Willen von Betroffenen verabreicht werden darf. 

Bei der Patientin handelt es sich um eine 78-jährige Frau mit Hirnmetastasen. Zuletzt sei sie regelmäßig in onkologischer Behandlung gewesen, berichten die Autoren. Eines Tages sei sie jedoch ohne Voranmeldung in die Hausarzt-Praxis gekommen, habe aber nicht sagen können, warum sie gekommen sei. Sie habe unruhig und aufgebracht gewirkt. Im Sprechzimmer habe sie „zerfahren“ erzählt, dass sie verfolgt werde und jemand ihr nach dem Leben trachte. Plötzlich sei sie aufgesprungen und aus der Praxis auf eine vielbefahrene Straße gelaufen. 2 medizinische Fachangestellte hätten die Frau zum Gehsteig zurückführen können. Allerdings habe sie immer wieder versucht, sich loszureißen und zur Straße zurückzulaufen. Die benachrichtigte Polizei habe erst in ca. 10 Minuten vor Ort sein können. 

In solchen akuten Situationen kann es nach Angaben der Autoren notwendig sein, einen Patienten zu fixieren oder ihm gegen seinen Willen Medikamente zu verabreichen. Vorher sollten jedoch weniger drastische Maßnahmen versucht werden, etwa „das Einbeziehen von Vertrauenspersonen und verbale Deeskalation“, was in der Akutsituation jedoch nicht leicht sei. Ansonsten könnten eine körperliche Fixierung und eine Zwangsmedikation indiziert sein. Solche Maßnahmen seien nicht rechtswidrig, wenn so Gefahr von sich oder anderen abgewendet werden solle, erklären die Autoren. 

Empfehlungen zur Medikation bei psychiatrischen Notfällen

Für die medikamentöse Therapie in solchen Situationen werden Benzodiazepine oder Antipsychotika empfohlen. Wenn Patienten einsichtsfähig oder behandlungswillig sind, ist laut der Leitlinie „Notfallpsychiatrie“  in der Regel die orale Medikation zu bevorzugen. 

Oft sei jedoch eine intramuskuläre Gabe nötig, da eine orale Einnahme verweigert und ein intravenöser Zugang nicht realisiert werden könne, heißt es im Artikel. Außerdem sei die intravenöse Applikation wegen des sehr schnellen Wirkeintritts mit der Gefahr der Atemdepression oder kardialer Nebenwirkungen bei fehlendem Monitoring nicht empfehlenswert. Die Leitlinie „Notfallpsychiatrie“ biete einen guten Überblick über verschiedene Notfallmedikamente, so Hilbert und Kollegen.

Generell gilt laut der Leitlinie, dass neuere Antipsychotika bei vielen psychiatrischen Notfällen eine sinnvolle Alternative zu Haloperidol und anderen konventionellen Antipsychotika sind. Außerdem empfehlen die Autoren der Leitlinie, bei älteren Patienten zur Sedierung niederpotente Antipsychotika ohne anticholinerge, antihistaminerge oder adrenolytische Wirkung zu verwenden. Zur Sedierung auch bei multimorbiden und älteren Patienten seien wegen ihrer guten Verträglichkeit vor allem Melperon und Dipiperon geeignet.

Tipps für die Hausarztpraxis

Viele der in der Leitlinie empfohlenen Medikamente, etwa Olanzapin oder Aripiprazol, seien in den meisten Hausarzt-Praxen jedoch nicht vorrätig oder geläufig, erklären Bernadett Hilbert und ihre Kollegen. Für die Praxis empfehlen sie daher folgendes Vorgehen: 

  • Falls möglich sollte eine orale Medikamenten-Gabe versucht werden. 

  • Wegen der Gefahr von Bissverletzungen sollten Finger nicht zum Mund der Patienten geführt werden. 

  • Es könne funktionieren, Lorazepam-Schmelztabletten auf ein feuchtes Zitronenstäbchen zu legen und der Person in den Mund zu schieben (1 mg). 

  • Sei eine intramuskuläre Applikation nötig, biete sich Diazepam (Beginn mit 10 mg) an, das allerdings eine lange Halbwertszeit habe und daher schlecht steuerbar sei.

  • Alternativ empfehle die Leitlinie „Notfallpsychiatrie“ das besser steuerbare Haloperidol (i.m). Nach parenteraler Gabe sollte so bald wie möglich ein Monitoring und ein Transport in die Klinik mit notärztlicher Begleitung erfolgen. 

Der Beitrag ist im Original erschienen auf Univadis.de.

 

Kommentar

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