Ab in den Park, runter vom Sofa: Schon 9 Minuten zusätzliche intensive Bewegung pro Tag könnten dem Gehirn nutzen

Pauline Anderson

Interessenkonflikte

2. Februar 2023

Erwachsene mittleren Alters, die sich 9 Minuten zusätzlich pro Tag mäßig bis stark bewegen, scheinen ihre kognitiven Fähigkeiten zu verbessern, wie Forscher im Journal of Epidemiology and Community Health berichten [1]. Zur körperlichen Aktivität mit möglichem Nutzen für das Gehirn zählen u.a. schnelles Gehen, Laufen oder Radfahren.

 
Selbst kleine Unterschiede im täglichen Verhalten scheinen laut dieser Studie für die Kognition von Bedeutung zu sein. John J. Mitchell
 

„Selbst kleine Unterschiede im täglichen Verhalten scheinen laut dieser Studie für die Kognition von Bedeutung zu sein“, erklärte John J. Mitchell, Erstautor der Studie und Doktorand am Medical Research Council in London, gegenüber Medscape.

Viele Wissenslücken in früheren Studien

Der Hintergrund: Ältere Studien haben mögliche Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und erhöhten kognitiven Reserven hergestellt – inklusive eines späteren Beginns des kognitiven Verfalls. Die wichtigsten Komponenten der körperlichen Aktivität wie Intensität und Umfang wurden jedoch noch nicht ausreichend erforscht.

Auch wurde die Schlafdauer in früheren Studien nicht erfasst. Dies sei jedoch „äußerst wichtig“, schreiben die Autoren der aktuellen Arbeit.

Darüber hinaus konzentrieren sich viele ältere Studien oft nur auf 1 oder 2 unterschiedliche Aktivitäten. Dieser Ansatz würde jedoch vernachlässigen, dass „alle Bewegungsarten eng miteinander verbunden sind“, sagt Mitchell.

Forscher erheben Daten von knapp 4.500 Probanden

In die neue Studie haben Forscher 4.481 Teilnehmer der British Cohort Study eingeschlossen. Alle Probanden wurden 1970 in England, Schottland oder Wales geboren. Sie wurden während ihrer gesamten Kindheit und im Erwachsenenalter nachbeobachtet.

Das Durchschnittsalter der Probanden lag bei 47 Jahren, und sie waren überwiegend weiß, weiblich (52%), verheiratet (66%) und gut ausgebildet. Die meisten konsumierten gelegentlich Alkohol, aber keine kritischen Mengen, und die Hälfte hatte noch nie geraucht.

Die Forscher erfassten biometrische Daten sowie Informationen zu Gesundheit, zur Demografie und zum Lebensstil. Alle Teilnehmer trugen bis zu 7 Tage lang mindestens 7 Stunden pro Tag ohne Unterbrechung einen Beschleunigungssensor am Oberschenkel, um die körperliche Aktivität, aber auch die Zeit im Sitzen und die Schlafdauer zu erfassen.

Das Gerät konnte sowohl unterschiedliche Bewegungsmuster als auch die Stärke von Beschleunigungen erkennen. „Auf diese Weise unterscheiden wir intensive körperliche Aktivität von langsamem Gehen, Stehen und Sitzen“, so Mitchell. „Dies ist die derzeit beste Methode, um unterschiedliche Bewegungsmuster zu erkennen, wie zügiges Gehen und Treppensteigen, und nicht nur Sport“, fügte er hinzu.

Zu den Bewegungen mit leichter Intensität zählen Gehen und normale Tätigkeiten im Haus oder im Büro, während intensive körperliche Aktivitäten zügiges Gehen oder Laufen sind. Sie beschleunigen die Herzfrequenz. Die Zeit im Sitzen oder im Liegen wird vom Sensor durch die Neigung der Oberschenkel vom Stehen unterschieden.

Ergebnisse der Studie

An einem durchschnittlichen Tag verbrachten Teilnehmer durchschnittlich 51 Minuten mit intensiver körperlicher Aktivität, 5 Stunden und 42 Minuten mit leichter körperlicher Aktivität, 9 Stunden und 16 Minuten im Sitzen sowie 8 Stunden und 11 Minuten mit Schlafen.

Die Forscher berechneten einen Gesamtscore für das verbale Gedächtnis und für die Exekutivfunktion. Sie arbeiteten mit statistischen Methoden, um Assoziationen zwischen Kognition und körperlicher Aktivität im Kontext aller Komponenten der täglichen Bewegung zu untersuchen.

Ihre Analyse ergab eine positive Assoziation zwischen intensiver körperlicher Aktivität und Kognition im Vergleich zu allen anderen Verhaltensweisen, nachdem soziodemografische Faktoren wie Geschlecht, Alter, Bildung und Familienstand berücksichtigt worden waren. Die Assoziation nahm jedoch nach einer weiteren Anpassung hinsichtlich des Gesundheitszustands, etwa durch kardiovaskuläre Erkrankungen oder körperliche Behinderungen, und Lebensstilfaktoren wie Alkoholkonsum und Raucherstatus, ab.

Etwas überraschend blieb die Zeit im Sitzen nach weiterer statistischer Adjustierung positiv mit der Kognition assoziiert. Die Autoren vermuten, dass dies auf stimulierenden Aktivitäten wie Lesen zurückzuführen sein könnte.

Mehr Bewegung mit besseren kognitiven Faktoren assoziiert

Um die Zusammenhänge besser zu verstehen, wendeten die Forscher eine statistische Methode an. Sie wollten bewerten, welche Effekte unterschiedliche Aktivitätskomponenten haben, wenn sie unterschiedlich lange ausgeführt werden. Die Ergebnisse:

  • Wissenschaftler fanden eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten um 1,31% im Vergleich zum Durchschnitt, nachdem 9 Minuten sitzende Tätigkeit durch intensive körperliche Aktivität ersetzt worden waren (95%-Konfidenzintervall: 0,09-2,50).

  • Es gab eine Verbesserung von 1,27%, falls 7 Minuten leichte durch intensive körperliche Aktivität ersetzt worden waren.

  • Die Verbesserung lag bei 1,2%, falls 7 Minuten Schlaf durch intensive körperliche Aktivität ersetzt worden waren.

Nach nur 9 Minuten mäßiger bis kräftiger Bewegung anstelle von Sitzen könnten sich Personen kognitiv vom 50. Perzentil auf das 51. oder 52. Perzentil verbessern, so Mitchell. „Dies unterstreicht, dass selbst sehr geringe Unterschiede in der täglichen Bewegung – weniger als 10 Minuten – mit Verbesserungen unserer kognitiven Gesundheit assoziiert sind.“

Am stärksten wirkte sich die körperliche Aktivität auf das Arbeitsgedächtnis und auf geistige Prozesse wie Planung und Organisation aus.

Mit dem Aktivitätsmessgerät konnten die Wissenschaftler nicht feststellen, wie gut die Teilnehmer geschlafen haben. Dies sei eine „klare Einschränkung“ der Studie, so Mitchell. „Wir müssen vorsichtig sein, wenn wir versuchen, unsere Ergebnisse zum Thema Schlaf zu interpretieren.“

Eine weitere Einschränkung ist, dass trotz der großen Stichprobengröße farbige Menschen unterrepräsentiert waren, was die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse einschränkt. Außerdem könnten auch bestimmte Freizeitaktivitäten wie Lesen zur Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten beigetragen haben.

Wichtige Erkenntnisse für die Praxis

In einem Kommentar für Medscape sagte Prof. Dr. Jennifer J. Heisz, außerordentliche Professorin und Inhaberin des Canada Research Chair in Brain Health and Aging, Department of Kinesiology, McMaster University Hamilton, Ontario, Kanada, dass die Ergebnisse der Studie wichtig seien.

 
Durch die statistische Modellierung zeigen die Autoren, dass der Austausch von nur 9 Minuten sitzender Tätigkeit gegen mäßige bis starke körperliche Aktivität … mit einer Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten verbunden war. Prof. Dr. Jennifer J. Heisz
 

„Durch die statistische Modellierung zeigen die Autoren, dass der Austausch von nur 9 Minuten sitzender Tätigkeit gegen mäßige bis starke körperliche Aktivität, etwa einen zügigen Spaziergang oder eine Fahrradfahrt, mit einer Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten verbunden war.“ Das scheine besonders für Menschen mit sitzenden Tätigkeiten zu gelten.

„Die Ergebnisse stimmen mit dem immer stärkeren Konsens überein, dass ein gewisses Maß an Bewegung besser ist als gar keine, wenn es um die Gesundheit des Gehirns geht“, so Heisz. „Ärzte sollten ihre Patienten ermutigen, einen zügigen 10-minütigen Spaziergang in ihre tägliche Routine aufzunehmen und langes Sitzen mit kurzen Bewegungspausen zu unterbrechen.“

 
Ärzte sollten ihre Patienten ermutigen, einen zügigen 10-minütigen Spaziergang in ihre tägliche Routine aufzunehmen und langes Sitzen mit kurzen Bewegungspausen zu unterbrechen. Prof. Dr. Jennifer J. Heisz
 

Dir Forscherin wies darauf hin, dass es sich bei der Studie um eine Querschnittsuntersuchung handelte, „so dass es nicht möglich ist, einen Kausalzusammenhang nachzuweisen“.

Der Beitrag ist im Original erschienen auf www.medscape.com und wurde von Michael van den Heuvel übersetzt und adaptiert.

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Kommentar

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