Erste evidenzbasierte Behandlungsleitlinie für Borderline: Neue Therapieansätze, die wirken – möglichst früh beginnen

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

2. Februar 2023

Mit einer neuen S3-Leitlinie hat eine Expertengruppe erstmals evidenzbasierte Empfehlungen für Diagnostik und Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung erarbeitet [1]. Kernpunkte sind: Patienten sollen möglichst ambulant, mit spezifischen Psychotherapien und so früh wie möglich behandelt werden

Prof. Dr. Klaus Lieb

Die Leitlinie wurde unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und unter Moderation der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) erstellt. Bislang existierten lediglich Leitlinien aus dem Jahr 2009, die noch keine spezifischen Therapieoptionen benannten.

 
In den letzten 10 Jahren hat sich die Studienlage zu dieser Thematik deutlich verbessert und ermöglichte uns, eine Leitlinie der höchsten Evidenzstufe zu erarbeiten Prof. Dr. Klaus Lieb
 

„In den letzten 10 Jahren hat sich die Studienlage zu dieser Thematik deutlich verbessert und ermöglichte uns, eine Leitlinie der höchsten Evidenzstufe zu erarbeiten“, erklärt Prof. Dr. Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz. „Die fachgerechte Therapie von Borderline-Betroffenen ist eine der anspruchsvollsten Aufgaben von Psychotherapeutinnen und -therapeuten.“

Erkrankung beginnt meist in früher Jugend

Eine Borderline-Persönlichkeitsstörung wirkt sich auf alle Bereiche des Lebens aus, Erkrankte leiden in der Regel stark unter ihren Symptomen. Ihnen fällt es schwer, Gefühle und Verhalten zu regulieren. Sie sind impulsiv, emotional instabil und haben Probleme mit sozialen Beziehungen. Auch selbstverletzendes Verhalten tritt häufig auf, mit dem sie versuchen, Anspannungszustände zu regulieren. Neben Emotionen wie Wut und Traurigkeit ist Scham ein häufiges Gefühl der meist weiblichen Patientinnen

„Das typische Beispiel ist eine junge Frau mit Anspannungszuständen, Problemen in der Beziehungsregulation zwischen starker Abwertung und liebevoller Zuwendung, ausgeprägten Verlassenheitsängsten und Selbstverletzungen“, erläutert Lieb. „Die Erkrankung entwickelt sich meist im frühen Jugendalter. Etwa zwei von 100 Personen sind betroffen.“

Ambulant mit spezifischen Psychotherapien und speziell geschulten Behandelnden

Die zentrale Behandlungsempfehlung der neuen Leitlinie lautet, Borderline-Persönlichkeitsstörungen vornehmlich ambulant mit Hilfe spezifischer, strukturierter Psychotherapien von speziell weitergebildeten Therapeuten zu behandeln. Dazu gibt es Programme, die auf klassischen therapeutischen Verfahren aufbauen, aber störungsorientiert auf die Besonderheiten der Borderline-Persönlichkeit fokussieren.

Speziell für die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) und die Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) liegen gute Nachweise der Wirksamkeit vor, wenn Symptome wie selbstverletzendes Verhalten oder Suizidalität im Vordergrund stehen. „Diese und andere störungsorientierte Therapie sollten zum Einsatz kommen, da die Richtlinien-Verfahren wie klassische Verhaltens- oder Tiefenpsychologische Therapien keine ausreichende Wirksamkeit haben“, präzisiert Lieb.

Medikamente werden ausdrücklich nicht als primäre Option empfohlen. Sofern sie sich in akuten Krisen als nötig erweisen, sollen sie nach deren Abklingen möglichst schnell wieder abgesetzt werden. Auch stationäre Aufenthalte sollten, wenn überhaupt, nur im akuten Krisenfall und möglichst kurz sein, es sei denn eine Klinik bietet spezielle Borderline-Programme mit geschulten Therapeuten an.

Offenheit gegenüber den Patienten, Interventionen schon bei Jugendlichen
 

Während man früher annahm, es sei besser, das ohnehin leicht erschütterbare Selbstbild der Patienten mit Borderline nicht noch mit einer psychiatrischen Diagnose zu belasten, rät die neue Leitlinie zur Offenheit. Aufklärung über die Diagnose und Psychoedukation sollen das Krankheitsverständnis der Patienten verbessern und Behandlungen effektiver machen. Die neue Leitlinie gibt zudem erstmals Empfehlungen für die Arbeit mit Angehörigen und die Situation von Betroffenen mit Kindern.

Neu ist auch die Empfehlung für frühe Interventionen: Wartet man mit der Behandlung bis ins Erwachsenenalter, können sich Probleme verfestigen. Deshalb kann die Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung nach einer fachgerechten Diagnostik bereits ab einem Alter von 12 Jahren in Betracht gezogen werden, damit die Patienten frühzeitig Unterstützung und borderlinespezifische Behandlungsangebote in Anspruch nehmen können.

„Obschon das Suizidrisiko eher niedriger ist als in früheren Jahren befürchtet, sollten Behandelnde den Eltern der Betroffenen empfehlen, möglichst früh einer fachgerechten Therapie zuzustimmen“, rät Lieb.
 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....