Jeder 3. Mitarbeiter im US-Gesundheitswesen erlebte psychische Gewalt im Job in der Pandemie – Aggressivität auch hierzulande

Dr. Doris Maugg

Interessenkonflikte

1. Februar 2023

Laut einer aktuellen US-Studie erfuhren während der COVID-19-Pandemie 32% der Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitswesens mindestens eine Form oder eine Kombination verschiedener Formen nicht-physischer Gewalt am Arbeitsplatz. Die Ergebnisse der Studie wurden im American Journal of Preventive Medicine veröffentlicht [1].

Diese Gewalt-Erfahrungen waren assoziiert mit negativen Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Mitarbeitenden. Je mehr solcher Erfahrungen die Mitarbeitenden machten, desto eher berichteten sie über depressive Symptome, Angstzustände, posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) und Selbstmordgedanken.

 
Die negativen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Arbeitnehmer sind dokumentiert, und die Forschung zu den psychologischen Auswirkungen nimmt zu. Dr. Hope M. Tiesman
 

„Die negativen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Arbeitnehmer sind dokumentiert, und die Forschung zu den psychologischen Auswirkungen nimmt zu“, sagte Dr. Hope M. Tiesman, Forschungsepidemiologin in der Abteilung für Sicherheitsforschung am National Institute for Occupational Safety and Health (NIOSH), Morgantown, USA, und Erstautorin der Studie in einer Pressemitteilung.

Aggressionen und Gewalt steigen auch in Deutschland

Die Aggressivität in Notaufnahmen und gegenüber Rettungskräften nimmt auch in Deutschland zu. Es sei eine „Spirale des Stresses“, die als Folge der Pandemie auftrete und aufgrund des Personalmangels noch verstärkt werde, äußerte sich der neue Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Prof. Dr. Felix Walcher, vergangene Woche gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Beschäftigten berichteten neben zunehmenden verbalen Attacken auch von vermehrten Handgreiflichkeiten.

Jeder 3. Mitarbeitende erfährt Gewalt am Arbeitsplatz

Die Autoren der US-Studie ermittelten mit Hilfe eines Online-Fragebogens die Prävalenz nicht-körperlicher Gewalt am Arbeitsplatz gegenüber Beschäftigten des öffentlichen Gesundheitswesens und die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. Mehr als 26.000 Beschäftigte des öffentlichen Gesundheitswesens auf Bundes-, Stammes-, Kommunal- und Territorialebene nahmen an der Umfrage teil.

Die Befragten sollten hierbei ihre Erfahrungen auf den Zeitraum von Beginn der Pandemie im März 2020 bis April 2021 beschränken und psychische Probleme der letzten 2 Wochen vor Beginn der Umfrage miteinbeziehen. Die Umfrage enthielt Fragen zur Demografie, zum Ausmaß der Gewalt am Arbeitsplatz und anderen Faktoren am Arbeitsplatz.

Der mentale Gesundheitszustand wurde mittels eines standardisierten und validierten Tools zur Bestimmung von psychischen Problemen wie Depressionen, Angstzuständen, posttraumatischen Belastungsstörungen und Suizidgedanken bewertet.

Augenmerk auf 3 Arten nicht-körperlicher Gewalt

Von den über 26.000 Teilnehmenden:

  • erlebten 26% eine Stigmatisierung aufgrund ihrer Tätigkeit im öffentlichen Gesundheitswesen (n=5.962),

  • 12% erhielten berufsbezogene Drohungen (n=2.688) und

  • 24% wurden schikaniert oder belästigt (n=5.350).

Insgesamt 32% der Teilnehmer erlebten mindestens eine Form oder eine Kombination von Formen der Gewalt (n=8.244).

Mit zunehmender Zahl der wöchentlich geleisteten Arbeitsstunden wurde auch eine Gewalterfahrung wahrscheinlicher:

  • weniger als 20 Stunden wöchentliche Arbeitsstunden: 16% erfuhren Gewalt,

  • 20 bis 40 Stunden: 25%,

  • 41 bis 60 Stunden: 41%,

  • 61 bis 75 Stunden: 52%,

  • mehr als 75 Stunden: 61%.

Der gleiche Trend zeigte sich auch, je mehr Interaktion mit dem öffentlichen Umfeld die Mitarbeitenden hatten (wenig Interaktion: 22%, mittel: 31%, viel: 46%).

Berichte über depressive Symptome verbunden mit Gewalterfahrung

Die Forscher fanden außerdem heraus, dass Gewalt am Arbeitsplatz verbunden war mit:

  • einem um 21% höheren Risiko für Depressionen oder Angstzustände,

  • einem um 31% höheren Risiko für PTBS und

  • einem um 26% höheren Risiko für Selbstmordgedanken.

Auch nach Berücksichtigung von Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussten – wie eine Erkrankung an COVID-19, dem Verlust eines Familienmitglieds durch COVID-19 und anderen Stressfaktoren während der Pandemie –, blieb der Zusammenhang zwischen der Gewalterfahrung und den Auswirkungen auf die psychische Gesundheit signifikant.

Je mehr Gewalt die Mitarbeitenden am Arbeitsplatz erlebten, desto größer waren die Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit. Die Zahl der Personen, die über Depressionssymptome berichteten, war:

  • um das 1,7-Fache höher, wenn sie nur eine Art von Gewalt erlebt hatten,

  • um das 2-Fache, wenn sie 2 Arten erlebt hatten, und

  • um das 2,4-Fache, wenn sie alle 3 Arten von Gewalt erlebt hatten.

Kein kausaler Zusammenhang

Die Autoren beschreiben Einschränkungen dieser Studie, wie zum Beispiel die Zufallsstichprobe der Online-Befragung, weshalb die Ergebnisse nicht repräsentativ für die Arbeitskräfte im Bereich des Gesundheitswesens sind. Des Weiteren kann eine Verzerrung nicht ausgeschlossen werden, da zum Beispiel nur Mitarbeiter an der Umfrage teilnahmen, die schwerer von der Gewalt betroffen waren oder, im Gegenteil, sich Personen, die besonders schwer betroffen waren, nicht trauten, teilzunehmen. Auch konnten Daten über die Gründe und die Verursacher der Gewalt in diesem Setting nicht erhoben werden.

 
Wir müssen unbedingt sicherstellen, dass unsere Mitarbeiter ... in die Lage versetzt werden, die Feindseligkeit, Belästigung und Bedrohung … durch Schulungen, Unterstützung ... und bessere Kommunikation nach Zwischenfällen zu entschärfen. Dr. Hope M. Tiesman
 

Da es sich um eine Querschnittstudie handelt, konnten die Autoren außerdem keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Gewalt und der mentalen Gesundheit feststellen.

Es bestehe dringender Handlungsbedarf, um neue präventive Ansätze für die Mitarbeitenden des öffentlichen Gesundheitssystems zu etablieren, so die Autoren der Studie. Tiesman und ihre Kollegen schlagen präventive Maßnahme vor: „Da sich immer wieder Notfälle im Bereich der öffentlichen Gesundheit ereignen, müssen wir unbedingt sicherstellen, dass unsere Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitswesens in die Lage versetzt werden, die Feindseligkeit, Belästigung und Bedrohung, der sie ausgesetzt sind, durch Schulungen, Unterstützung am Arbeitsplatz und bessere Kommunikation nach Zwischenfällen zu entschärfen.“

Es sei außerdem wichtig, die Kapazitäten der Gesundheitsämter zur Vorbeugung, Reaktion und Nachbereitung von Vorfällen vor Ort zu verbessern. Weitere Forschung sei zudem notwendig, um genauere Zusammenhänge zwischen Umfang und Folgen der Gewalt am Arbeitsplatz zu erkennen und zu verstehen, auch in Bezug auf soziodemografische Zusammenhänge, so die Autoren.

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