MEINUNG

Eine junge Ärztin über ihren Berufseinstieg – mit Umwegen: „Größte Herausforderung auch mal Nein zu sagen.“

Nathalie Haidlauf, Marina Urbanietz

Interessenkonflikte

1. Februar 2023

Nach 2 Jahren als Assistenzärztin für Psychiatrie und Psychotherapie hat sich Lilith Schreiber vom Klinikalltag verabschiedet – jedoch nicht vom Arztdasein. Warum sie heute in einer augenärztlichen Praxis glücklich ist und welchen Rat sie ihren jungen Kolleginnen und Kollegen ans Herz legen möchte, verrät sie im Interview mit Coliquio.

Lilith Schreiber
Photo: privat

Coliquio: Frau Schreiber, Sie erinnern sich sicherlich noch gut an die ersten Wochen und Monate im Berufsleben – können Sie uns kurz schildern, wie Ihr Berufseinstieg aussah?

Schreiber: Meine ersten Momente im Gesundheitssystem habe ich als Pflegehilfe während der ersten Corona-Welle verbracht. Zu dieser Zeit suchten viele Kliniken Aushilfen. Während der Vorbereitung auf mein letztes Examen habe ich in der Akutpsychiatrie eines Maximalversorgers gejobbt.

 
Die größte Herausforderung war für mich zu lernen, wie man „nein“ zu Patienten und Patientinnen sagt. Lilith Schreiber
 

Meine erste Stelle als Ärztin war ein paar Monate später, auch in einer Akutpsychiatrie. Ich kann mich noch gut an das Gefühl erinnern, zum ersten Mal ein Medikament mit meiner eigenen Unterschrift anzusetzen. Das kurze Zögern davor. Das war schon monumental.

Coliquio: Wie ging es Ihnen anfangs in der Klinik, und was waren die größten Herausforderungen?

Schreiber: Die größte Herausforderung war für mich zu lernen, wie man „nein“ zu Patienten und Patientinnen sagt. Viele waren deutlich älter als ich und hatten sehr konkrete Vorstellung, wie die eigene Behandlung aussehen sollte. Es war keine Seltenheit, gegen den Willen des Patienten zu behandeln.

Coliquio: Gibt es etwas, was Sie heute rückblickend in den ersten Wochen im Job anders machen würden?

Schreiber: Ich würde mir viel mehr erlauben und verzeihen, Fehler zu machen. Der Mensch verträgt viel Arzt.

Coliquio: Worin sehen Sie die größten Missstände im Gesundheitswesen, die es Ärztinnen und Ärzten schwer machen, ein erfülltes Berufsleben zu haben?

Schreiber: Wir sind einfach zu wenige Ärzte. Selbst wenn formal eine Klinik „gut besetzt“ ist, sind aufgrund von Krankheit oder Urlaub nur selten wirklich die geplanten Besetzungen vor Ort. Wenn man aus diesem Grund dann noch 2, 3 andere Stationen vertreten muss, hat man auf einmal nicht mehr eine lineare To-do-Liste, sondern eine im Zickzack, die sich alle 10 Minuten selbst verlängert.

 
Wir sind einfach zu wenige Ärzte. Lilith Schreiber
 

Das gedankliche Springen und konstante Priorisieren, kombiniert mit Notfallversorgung, ist tiefenerschöpfend. Mit Erfüllung oder Berufung im Job hat das dann leider wenig zu tun.

Coliquio: Nach knapp 2 Jahren in der Weiterbildung Psychiatrie und Psychotherapie haben Sie einen Cut gemacht und sich neu orientiert. Was war der Auslöser, und wie kamen Sie letztlich auf die Augenheilkunde?

Schreiber: Ich habe während eines Nachtdienstes beschlossen, dass ich aufhören muss. Monatelang davor war ich immer wieder krank, und mir ging es körperlich und psychisch schlecht. Schlafen war eine Herausforderung, und die Wochenenden waren nur da, um sich für Montag zu erholen.

Während des Nachtdienstes habe ich dann alle Weiterbildungsrichtungen auf einen Zettel notiert, die in meinem Bundesland angeboten wurden. Anschließend die durchgestrichen, bei denen ich mir partout keine Zukunft vorstellen konnte („HNO? Tamponaden aus Nebenhöhlen ziehen? Nur über meine Leiche“). Während einer Hospitation hat mich die Augenheilkunde dann gepackt.

Coliquio: Seitdem sind Sie nun in der augenärztlichen Praxis tätig. Wie haben Sie den Wechsel empfunden?

Schreiber: Der Anfang war aufregend, aber hart. Bei einem Wechsel in ein völlig fremdes Fach verliert man vorübergehend an Selbstständigkeit, das war mir klar – dachte ich. Wie wichtig es für mich ist, eine eigene, gute und selbstständige Leistung zu erbringen, hatte ich unterschätzt.

Mittlerweile kann ich in der Praxis nun immer mehr Verantwortung für eigene Patienten übernehmen. Ich genieße immens, mich nach und nach um meine To-Do-Liste zu kümmern und mir für manche Patienten mehr, für manche weniger Zeit zu nehmen.

Coliquio: Was wäre Ihr Rat an die heutigen Medizinstudierenden und junge Kolleginnen und Kollegen für einen gelungenen Berufseinstieg?

Schreiber: Kenne deinen Wert. Setze von Beginn an klare Grenzen. Für dich selbst, aber auch für andere. Du darfst mehr als dein Beruf sein. Das schließt aber nicht aus, eine gute Ärztin oder Arzt sein zu wollen und daran zu arbeiten.

 
Der Berufseinstieg ist eine einmalige Gelegenheit, um sich auszuprobieren. Lilith Schreiber
 

Der Berufseinstieg ist eine einmalige Gelegenheit, um sich auszuprobieren: Was möchtest du? Passt dein Arbeitsort zu dem, was du von dir aus geben willst? Dein Einsatz, dein Wissen, deine Zeit, deine Gesundheit? Passt er zu dem, was du geben kannst?

Über Lilith Schreiber

Lilith Schreiber lebt an der Ostseeküste. Nach einem kurzen Exkurs ins Ruhrgebiet studierte sie Medizin in Halle an der Saale. Früher wollte sie Unfallchirurgin werden, dann Psychotherapeutin und hat nun ihren Weg in der Augenheilkunde gefunden. Sie genießt gute Bücher und ist begeisterte Surferin. Sie verbringt überdurchschnittlich viel Zeit damit, ihr Essen vor ihrer Hündin Nova zu beschützen.

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf  Coliquio.de .
 

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