KHK-Risiko mit elektronischen Gesundheitsdaten vorhersagen: Neues Diagnose-Tool ordnet Herzerkrankung in Spektrum ein

Marilynn Larkin

Interessenkonflikte

31. Januar 2023

Ein neuer „digitaler Marker“ für die koronare Herzkrankheit (KHK) kann Risikogradienten auf einem Spektrum aufzeigen und so möglicherweise die Diagnose und Therapie der KHK sowie die Ergebnisse klinischer Studien verbessern. Die Ergebnisse der Analyse von 100.000 elektronischen Gesundheitsakten wurden in The Lancet publiziert [1].

„Die Studie wurde durch die Tatsache angeregt, dass es sich bei der KHK um ein breit abgestuftes Krankheitsbild handelt. In früheren Studien wurde gezeigt, dass Unterschiede bei der Plaque-Menge mit deutlichen Risikoabstufungen für die Atherosklerose und das Überleben verbunden sind“, sagte der Hauptautor der Studie Dr. Ron Do von der Icahn School of Medicine am Mount Sinai Hospital in New York gegenüber Medscape.

„Diese Studie ist eine Folgeuntersuchung zu unserer früheren Studie über die Gewinnung von Informationen zu den koronaren Risiken anhand elektronischer Gesundheitsakten. Auch hier nutzten wir diese in Kombination mit maschinellem Lernen, um in Fall-Kontroll-Untersuchungen eine KHK innerhalb eines Jahres vorherzusagen“, sagte Do.

Diese Studie bediente sich wie auch andere derartige Arbeiten zum Thema KHK eines konventionellen binären Ansatzes, der einfach vorhersagte, ob eine KHK auftreten würde oder nicht. Das Besondere an der vorliegenden Arbeit sei, so Do, dass das Modell einen Score erzeugt, der die Verortung der KHK auf einem Spektrum anhand identifizierter Risikogradienten erlaubt.

Das neue Modell prognostizierte eine KHK mit hoher Sensitivität und Spezifität unter Verwendung von 2 Datensätzen mit elektronischen Gesundheitsakten. Ansteigende Risiko-Scores spiegelten dabei einen erhöhten Grad an Koronararterienstenosen aus Angiografie-Daten wider sowie erhöhte Risiken für Mehrgefäß- und obstruktive Erkrankungen sowie die allgemeine Sterblichkeit und rezidivierende Myokardinfarkte.

„Wir glauben, dass dieser Proof-of-Concept-Pilot für die KHK als Krankheitsspektrum verallgemeinerbar ist und dass unsere Methode auf viele Krankheiten übertragbar sein könnte“, erklärte der Hauptautor Dr. Iain S. Forrest, der ebenfalls am Mount Sinai Hospital tätig ist, gegenüber Medscape.

Risiko-Einordnung auf einem Spektrum

Für die Studie entwickelten und validierten die Forschenden ein auf elektronischen Gesundheitsakten basierendes maschinelles Lernmodell zur Vorhersage einer KHK. Sie übersetzten die resultierenden Wahrscheinlichkeiten in In-silico-KHK-Scores (ISCAD: 0 = geringste Wahrscheinlichkeit, 1 = höchste Wahrscheinlichkeit) und betrachteten den Assoziationsgrad zwischen dem ISCAD-Wert und den klinischen Ergebnissen wie:

  • Koronararterienstenose,

  • obstruktive KHK,

  • Multigefäßerkrankung,

  • Tod jeglicher Ursache und

  • KHK-Folgeerkrankungen.

Sie trainierten und validierten das Modell anhand von 20.497 elektronischen Gesundheitsakten aus der BioMe-Biobank, testeten es an einer Holdout-Zufallsstichprobe von 15.252 elektronischen Patientenakten aus BioMe, die nicht für die Modellanpassung verwendet wurden, und prüften es schließlich extern an 60.186 elektronischen Patientenakten aus der britischen UK Biobank. Anschließend bewerteten sie die Assoziation zwischen den ISCAD-Werten und den klinischen KHK-Ergebnissen in beiden Biobanken.

 
Aus unserer Studie ergibt sich eine neue Betrachtung der Krankheit KHK … als ein Krankheitsspektrum, das sich mithilfe einer künstlichen Intelligenz, die mit klinischen Daten trainiert wurde, quantifizieren lässt. Dr. Iain S. Forrest und Kollegen
 

Das Durchschnittsalter der Teilnehmenden aus der BioMe-Biobank lag bei 61 Jahren, 41% waren Männer, und bei 14% wurde eine KHK diagnostiziert. Bei den Teilnehmenden der UK Biobank lag das Durchschnittsalter bei 62 Jahren, 42% waren Männer, und es wurde ebenfalls bei 14% eine KHK diagnostiziert.

Das Modell prognostizierte eine KHK:

  • in der BioMe-Validierungsgruppe mit einer Fläche von 0,95 unter der Grenzwertoptimierungskurve (Receiver Operating Characteristic), einer Sensitivität von 0,94 und einer Spezifität von 0,82 und

  • in der BioMe-Holdout-Gruppe mit einer Fläche von 0,93, einer Sensitivität von 0,90 und einer Spezifität von 0,88. In der externen Testreihe der UK Biobank lagen die Fläche bei 0,91, die Sensitivität bei 0,84 und die Spezifität bei 0,83.

Der ISCAD-Score erfasste die KHK anhand von bekannten Risikofaktoren, gepoolten Kohortengleichungen und polygenen Risikoscores. Die Koronararterienstenose nahm quantitativ mit aufsteigenden ISCAD-Score-Quartilen mit einem Anstieg von 12% pro Quartil zu, einschließlich des Risikos für eine obstruktive KHK, für Mehrgefäßerkrankungen und für die Hauptstammstenose.

Die Werte für die Hazard Ratio (HR) und die Prävalenz von Todesfällen aller Art stiegen schrittweise über die ISCAD-Score-Dezilen an:

  • Dezil 1: HR 1,0 und Prävalenz 0,2%;

  • Dezil 6: HR 11 und Prävalenz 3,1%;

  • Dezil 10: HR 56 und Prävalenz 11%.

Ein ähnlicher Trend war beim Myokardinfarktrezidiv zu beobachten.

12 nicht diagnostizierte Personen (46%) mit hohen ISCAD-Scores (≥ 0,9) wiesen klinische Anzeichen einer KHK gemäß den Leitlinien der American College of Cardiology/American Heart Association Task Force von 2014 auf.

Mögliche Beschränkungen der Studie sind:

  • die Verwendung von Diagnosecodes zur Bestimmung des KHK-Status,

  • die relativ geringen Stichprobengrößen, welche die Ergebnisse des maschinellen Lernens beeinflussen und deren Verallgemeinerbarkeit zweifelhaft erscheinen lassen können, sowie

  • der retrospektive Charakter der Studie.

Die Autoren ziehen folgende Schlüsse aus ihrer Arbeit: „Aus unserer Studie ergibt sich eine neue Betrachtung der Krankheit KHK – einschließlich Atherosklerose, Tod und Erkrankungsfolgen – als ein Krankheitsspektrum, das sich mithilfe einer künstlichen Intelligenz, die mit klinischen Daten trainiert wurde, quantifizieren lässt.“

Forrest möchte mit seinem Team diesen Ansatz ausweiten und in anderen Gesundheitssystemen prüfen. Er möchte zudem Modelle entwickeln, die in verschiedenen Bevölkerungsgruppen getestet werden können. Sollten sich die Ergebnisse in anderen Systemen als reproduzierbar erweisen, würde auch eine groß angelegte prospektive Studie mit Menschen, die an KHK erkrankt sind, sinnvoll sein.

Verbessertes Outcome?

„Die Einordnung von Personen mit KHK in ein Spektrum, das zahlreiche Faktoren berücksichtigt, könnte anders als aktuelle Scoring-Systeme wie SYNTAX, die sich ausschließlich auf die Koronaranatomie konzentrieren, maßgeschneiderte Interventionen ermöglichen, die besser auf die mit der KHK verbundenen Risiken abgestimmt sind“, schreiben Dr. Puneet Batra und Dr. Amit V. Khera vom Broad Institute des MIT und Harvard in Cambridge, Massachusetts, in einem begleitenden Editorial [2].

 
Die Einordnung von Personen mit KHK in ein Spektrum, das zahlreiche Faktoren berücksichtigt, könnte anders als aktuelle Scoring-Systeme … maßgeschneiderte Interventionen ermöglichen, die besser auf die mit der KHK verbundenen Risiken abgestimmt sind. Dr. Puneet Batra und Dr. Amit V. Khera
 

„Eine wichtige Überlegung ist es, ob eine verbesserte Vorhersage auch zu einem verbesserten Outcome im Vergleich zu den vielen bereits verfügbaren Risikomodellen führt“, schreiben sie. „Das gilt besonders für die KHK, für die in früheren Studien vergleichbare Risikobewertungen vorgenommen wurden, sei es anhand laborgestützter und nicht laborgestützter Faktoren, einer zur Geburt mithilfe eines polygenen Scores erfolgten quantitativen Einordnung der ererbten Disposition sowie eines sehr hilfreichen nicht invasiven CT-Scans zur Bestimmung der Koronararterienverkalkung.“

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus https://www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 
Eine wichtige Überlegung ist es, ob eine verbesserte Vorhersage auch zu einem verbesserten Outcome im Vergleich zu den vielen bereits verfügbaren Risikomodellen führt. Dr. Puneet Batra und Dr. Amit V. Khera
 

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