Antipsychotika, mit denen Demenz-Kranke oft behandelt werden, sollten und können langsam abgesetzt werden. Ein Team um Dr. Carola Roßmeier (Technische Universität München, kbo-Inn-Salzach-Klinikum, Wasserburg am Inn) hat erklärt, wann bei Demenz-Kranken eine antipsychotische Therapie beendet werden sollte und wie die Medikation ausgeschlichen werden kann [1].
Vorteile und Nachteile der Demenz-Therapie
Bei den meisten Demenz-Patienten treten psychische Symptome und Verhaltenssymptome („Behavioural and Psychological Symptoms of Dementia“ [BPSD]) auf, etwa Aggressivität, Erregung, Unruhe, Ängste oder auch Apathie, wahnhafte Symptome und Halluzinationen. Behandelt werden die Patienten häufig mit Antipsychotika, „obwohl viele Antipsychotika als potenziell inadäquate Medikamente für ältere Menschen auf der PRISCUS-Liste stehen“, so die Autoren.
Speziell bei älteren Menschen ist Demenz mit einem erhöhten Risiko für kardio- und zerebrovaskuläre Ereignisse, mit einer erhöhten Sterblichkeit sowie mit Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Schwindel verbunden. Aus diesem Grund raten Autoren von Leitlinien zur Behandlung von Demenz, Antipsychotika nur bei speziellen Indikationen einzusetzen und Antipsychotika möglichst kurz und gering dosiert zu verwenden. Außerdem sei der Einsatz von z. B. atypischen Antipsychotika zur Behandlung von BPSD bei Demenz auf Risperidon begrenzt, laut Fachinformation auf eine Dauer von 6 Wochen, warnen Roßmeier und Kollegen.
In der Fachliteratur gibt es trotz limitierter Datenlage Hinweise, dass ein Ausschleichen von Antipsychotika bei Demenz prinzipiell ohne Nachteil möglich ist. Ausnahmen im Sinne erhöhter Rezidivraten scheinen Patienten zu sein, die besonders gut auf Antipsychotika ansprechen, oder Betroffene mit deutlich ausgeprägten BPSD.
Empfehlungen zum Ausschleichen
Um zu vermeiden, dass Antipsychotika bei Menschen mit Demenz zu lange bzw. ohne entsprechende Indikation verordnet werden, hat Carola Roßmeier mit Kolleginnen der TU München Handlungsempfehlungen zur Reduktion bzw. zum Ausschleichen von Antipsychotika entwickelt.
Die Entwicklung der Empfehlungen erfolgte ihren Angaben zufolge in einem mehrstufigen Prozess: Literaturrecherche, Diskussion in einem Expertengremium und Onlineumfrage mit in Deutschland tätigen ärztlichen Demenz-Experten. Bei den Empfehlungen handelt es sich, wie die Autorinnen betonen, „um keine Leitlinien; sie ersetzen nicht die Eigenverantwortlichkeit der Behandelnden und das individuell notwendige Vorgehen in Abhängigkeit von der Behandlungssituation“.
Hier die wichtigsten Empfehlungen und Vorschläge:
Die Indikation zum Absetzen liegt vor, wenn sich Zielsymptome (also die BPSD) über einen angemessenen Zeitraum, etwa 3 Monate, anhaltend gebessert haben.
Deprescribing ist außerdem indiziert, wenn der therapeutische Effekt trotz adäquater Dosierung ausbleibt.
Deprescribing ist zudem dann indiziert, wenn die Nebenwirkungen der Therapie im Verhältnis zur Wirkung zu stark ausgeprägt sind.
Ob die Indikation für ein Deprescribing vorliegt, sollte mindestens einmal pro Monat von ärztlicher und pflegerischer Seite überprüft werden.
Die Patienten bzw. gesetzlichen Vertreter sollten in den Entscheidungsprozess zum Absetzen der Medikation einbezogen werden; sie müssten über Indikation, mögliche Wirkungen, Risiken (insbesondere des Wiederauftretens der BPSD) und Nebenwirkungen aufgeklärt werden. Auch das Pflegepersonal und die Angehörigen sollte darüber informiert werden.
Das Deprescribing sollte nicht abrupt, sondern schrittweise erfolgen, um das Wiederauftreten von BPSD und/oder das Auftreten von Absetzsymptomen zu vermeiden.
Die Autorinnen empfehlen folgendes Reduktionsschema: Schritt 1: 75% der Ausgangsdosis, Schritt 2: 50% der Ausgangsdosis, Schritt 3: 25% der Ausgangsdosis, ggf. Schritt 4: 12,5% der Ausgangsdosis.
Außerdem raten sie Ärzten:
Je stärker ausgeprägt die BPSD vor Behandlung mit Antipsychotika waren, umso vorsichtiger sollte ausgeschlichen werden. Bei Behandlung mit 2 oder mehreren Antipsychotika sollten diese nacheinander ausgeschlichen werden.
Indiziert sind regelmäßige Visiten während der Reduktion, idealerweise alle 2 Wochen.
Bei (Wieder)auftreten von BPSD während der Reduktion sollten Ursachen, insbesondere Schmerzen, abgeklärt und wenn möglich behandelt werden.
Eine vorübergehende Bedarfsmedikation (idealerweise das Antipsychotikum in der Dosierung des letzten Reduktionsschrittes) kann das Deprescribing erleichtern.
Im Fall einer notwendigen Dosissteigerung aufgrund erneut auftretender BPSD sollte zunächst die Dosierung des vorausgegangenen Reduktionsschrittes verwendet werden.
Das Ausschleichen kann, wenn Symptome oder Situation es erfordern, vorübergehend oder längerfristig gestoppt werden. Die Reduktionsgeschwindigkeit liegt im Ermessen der Therapeuten.
Der Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de.
Credits:
Photographer: © 18percentgrey
Lead Image: Dreamstime
Medscape Nachrichten © 2023 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Deprescribing bei Demenz-Therapien – wie das gelingt. Tipps, um Arzneimittel gezielt abzusetzen - Medscape - 27. Jan 2023.
Kommentar