Zur postoperativen Thrombose-Prophylaxe ist Acetylsalicylsäure (ASS) womöglich genauso gut geeignet wie Heparin. Darauf deuten die Ergebnisse einer multizentrischen Studie mit über 12.000 Patienten hin, die im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurden [1].
Dr. Robert V. O´Toole, University of Maryland, und seine Kollegen der Major Extremity Trauma Research Consortium (METRC) stellten fest, dass ASS bei Patienten mit Knochenbrüchen niedermolekularem Heparin bei der Prävention von Todesfällen nicht unterlegen war.
Die Forscher hatten nach einer operativ versorgten Fraktur einer Extremität 12.211 Patienten auf 81 mg ASS 2-mal täglich (n=6.101) oder 30 mg Enoxaparin 2-mal täglich (n=6.110) randomisiert. Im Schnitt waren die Patienten 44,6 Jahre alt. 0,7% wiesen eine Vorgeschichte mit venösen Thromboembolien (VTE) auf und 2,5% eine Krebsvorgeschichte.
Die Patienten erhielten im Krankenhaus durchschnittlich 8,8 Dosen Thrombose-Prophylaxe und bekamen bei der Entlassung einen 21-Tage-Vorrat verordnet. Primärer Endpunkt war Tod jeglicher Ursache nach 90 Tagen; sekundäre Endpunkte waren nicht-tödliche Lungenembolien, VTE und Blutungskomplikationen.
Es starben 47 Patienten (0,78%) in der ASS-Gruppe und 45 Patienten (0,73%) in der Gruppe mit niedermolekularem Heparin (p<0,001 für Nicht-Unterlegenheit). VTE traten bei 2,51% der Patienten in der ASS-Gruppe und bei 1,71% in der Heparin-Gruppe auf. Die Inzidenzen von Lungenembolien (1,49% in jeder Gruppe), Blutungskomplikationen und anderen schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen waren in beiden Gruppen ähnlich.
Eingang in die Leitlinien …
Nach Einschätzung von Prof. Dr. Jörg Heckenkamp, Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie am Marienhospital Osnabrück, zeigt die Multicenterstudie eine „robuste Datenlage für die Gabe von ASS zur Thrombose-Prophylaxe bei unfallchirurgischen Patienten.“ Beide Medikamente seien damit bei einem ganz wesentlichen Aspekt der Thrombose-Prophylaxe – nämlich dem Schutz gegen fatale thromboembolische Komplikationen – gleichwertig.
Die bisherigen Leitlinien bewerten ASS als Thrombose-Prophylaxe in dieser Patientengruppe nicht. „ASS ist jedoch kostengünstiger und bietet durch die Möglichkeit der enteralen Einnahme erhebliche Compliance-Vorteile“, sagte Heckenkamp gegenüber dem Science Media Center (SMC).
Die Daten, so der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin, „werden vermutlich Eingang in die nächsten Leitlinien zur Thromboseprophylaxe finden.“ Heckenkamp wies daraufhin, dass VTE ohne fatale Komplikationen in der ASS-Gruppe häufiger auftraten. Auch wurden Sicherheitsrisiken, die mit der Gabe von ASS einhergehen, nicht beschrieben.
… oder doch nicht?
Skeptisch in Bezug auf die Gleichwertigkeit von ASS und Heparin zur Thrombose-Prophylaxe ist PD Dr. Robert Klamroth, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Zentrum für Gefäßmedizin am Vivantes-Klinikum im Friedrichshain, Berlin. Er weist darauf hin, dass ASS zur Thrombose-Prophylaxe in den europäischen Leitlinien schon länger als Option genannt wird.
„Ich glaube nicht, dass ASS in dieser Indikation den Antikoagulanzien wie niedermolekularem Heparin ebenbürtig ist. Wenn man sich das Studienkollektiv in der aktuellen Studie ansieht, ist es durchaus heterogen im Hinblick auf das Risiko einer venösen Thrombose nach Operation nach einer Extremitätenfraktur“, sagte Klamroth.
Er erinnerte an eine Studie aus dem vergangenen Jahr mit über 9.700 Patienten. Darin hatte sich Enoxaparin gegenüber ASS in der Thrombose-Prophylaxe nach Hüft- und Kniegelenksersatz als überlegen erwiesen.
Seiner Einschätzung nach weist ASS einen Effekt auf: „Dieser Effekt ist, wenn man alle Literatur zugrunde legt, wahrscheinlich geringer als der mit einer Thrombose-Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin.“
Klamroth erklärte, dass die Wahl des Mittels zur Thrombose-Prophylaxe abhängig vom Basisrisiko sei. „Das bedeutet, Patienten mit einem hohen Risiko für eine venöse Thrombose profitieren weniger von ASS als von niedermolekularem Heparin.“ Die erwähnte Studie aus 2022 untermauere das.
ASS zur Sekundärprophylaxe?
Der Vorteil einer Antikoagulation zeige sich aber auch in den Studien, die zur Sekundärprophylaxe nach venöser Thromboembolie durchgeführt wurden, wie beispielsweise der CHOICE-Studie. Patienten wurden darin nach 6 bis 12 Monaten Antikoagulation randomisiert auf ASS, Rivaroxaban 10 mg und Rivaroxaban 20 mg. Im Follow-up zeigte sich Rivaroxaban bei der Verhinderung einer erneuten Thrombose in beiden Dosierungen deutlich effektiver als ASS.
„Im Vergleich zum Placebo senkt allerdings auch ASS das Risiko eines Thrombose-Rezidivs“, sagte Klamroth. Seine Schlussfolgerung im Hinblick auf die aktuellen Studienergebnisse ist deshalb, „dass ASS abhängig von dem individuellen Thrombose-Risiko des Patienten im Einzelfall nicht ausreichend sein kann.“
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Credits:
Photographer: © Rusty Dodson
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Diesen Artikel so zitieren: Thrombose-Prophylaxe nach Fraktur-OP: ASS ist niedermolekularem Heparin nicht unterlegen - Medscape - 23. Jan 2023.
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