Verhütung ohne Hormone für Mann und Frau? Neuer Kaliumkanalblocker könnte Spermien unfruchtbar machen – und Sterilität erklären

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

23. Januar 2023

Es besteht Bedarf an neuen hormonfreien kontrazeptiven Methoden, die möglichst wenig in die Physiologie von Frau und Mann eingreifen. Ein erster Schritt in diese Richtung ist jetzt Forschenden aus den USA und Belgien gelungen: Sie zeigen in vitro, dass durch die gezielte Hemmung eines Ionenkanals in menschlichen Spermien diese nicht mehr in der Lage sind, die Eizelle zu befruchten.

 
Da der betreffende Kaliumkanal ausschließlich in Spermien exprimiert wird, hätte ein spezifischer Inhibitor voraussichtlich minimale Nebenwirkungen. Dr. Maximilian Lyon
 

„Medikamente, die auf dem Kaliumkanal-Blocker VU0546110 beruhen, könnten als Kontrazeptiva entwickelt werden“, schreiben Dr. Maximilian Lyon vom Department of Obstetrics and Gynecology der Washington University School of Medicine in St. Louis, USA und seine Kollegen in PNAS. „Da der betreffende Kaliumkanal ausschließlich in Spermien exprimiert wird, hätte ein spezifischer Inhibitor voraussichtlich minimale Nebenwirkungen.“

Kaliumkanal SLO3 ist essenziell für die Befruchtung

Der Kalium-Ionenkanal SLO3 steuert sowohl bei Mäusen als auch Menschen wichtige Funktionen der Spermien, wie zum Beispiel das Schwimmverhalten, und ist daher essenziell für die männliche Zeugungsfähigkeit. Ebenfalls essenziell für die Befruchtung ist ein als Hyperpolarisation bezeichneter Prozess. Dabei ändern die Spermien ihre Oberflächenspannung, indem sie Kaliumionen aus der Spermienzelle herauspumpen.

Bei Mäusen wird die Hyperpolarisation durch die Aktivierung des nur in Spermienzellen vorkommenden SLO3 verursacht. Bei menschlichen Spermien war dagegen nicht vollständig geklärt, ob die Hyperpolarisation von SLO3 oder dem überall vorkommenden Kaliumkanal SLO1 abhängig ist. Weder selektive SLO3-Inhibitoren noch SLO3-Mutationen waren identifiziert worden.

Der Forschungsgruppe um Lyon gelang es nun erstmals, einen selektiven SLO3-Inhibitor beim Menschen zu identifizieren: VU0546110. „Die Ergebnisse der Untersuchungen dieser Arbeit mit der Substanz VU0546110 legen nahe, dass SLO3 für Hyperpolarisierung, Hyperaktivierung und Akrosomenreaktion der menschlichen Spermien essenziell ist. Diese Vorgänge sind wiederum Voraussetzungen dafür, dass Spermien eine Eizelle befruchten können“, erklärt Prof. Dr. Artur Mayerhofer, Arbeitsgruppenleiter am Biomedizinischen Centrum München der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Lyon und seine Kollegen zeigten in vitro, dass VU0546110 in menschlichen Spermienzellen den Strom von Kaliumionen durch den SLO3-Kanal komplett blockiert – und damit auch die für die Verschmelzung von Spermienzelle und Eizelle erforderliche Hyperpolarisation verhindert.

Mögliche Erklärung für idiopathische Fälle von Unfruchtbarkeit beim Mann

„Falls sie sich bestätigen lassen, haben die Ergebnisse der Studie Bedeutung für die Diagnostik der männlichen Infertilität“, sagt Mayerhofer. „Mutationen des Kanals, die dessen Funktion beeinträchtigen, könnten ein Grund für bislang nicht erklärbare Fälle von männlicher Infertilität sein.“

 
Mutationen des Kanals, die dessen Funktion beeinträchtigen, könnten ein Grund für bislang nicht erklärbare Fälle von männlicher Infertilität sein. Prof. Dr. Artur Mayerhofer
 

Darüber hinaus „könnten SLO3-Inhibitoren Potenzial als nebenwirkungsarme Kontrazeptiva haben“, schreiben die Autoren, denn der SLO3-Kanal ist ausschließlich in Spermien und sonst keiner anderen Körperzelle zu finden.

 
Hochselektive SLO3-Inhibitoren sollten im Idealfall nämlich nur Spermien und die Zeugungsfähigkeit beinträchtigen, aber fast keine Nebenwirkungen haben. Prof. Timo Strünker
 

Eine Einschätzung, die Prof. Timo Strünker, Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Reproduktionsphysiologie am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster, teilt: „Dieses Ergebnis macht SLO3 zu einem attraktiven Zielprotein für neue Verhütungsmittel: hochselektive SLO3-Inhibitoren sollten im Idealfall nämlich nur Spermien und die Zeugungsfähigkeit beinträchtigen, aber fast keine Nebenwirkungen haben.“

Bis zum einsetzbaren Verhütungsmittel dürfte es noch dauern

Der Weg zu einem SLO3-basierten Verhütungsmittel sei aber noch sehr lang und ungewiss, betont er. Es seien noch viele Studien notwendig, zunächst vor allem in Tiermodellen, um nachzuweisen, ob tatsächlich und wenn ja, wie effizient, ein SLO3-Inhibitor in vivo die Befruchtung verhindere.

Darüber hinaus muss untersucht werden, ob der Mann oder die Frau einen SLO3-Inhibitor zur Verhütung einnehmen müsste. Denn der SLO3-Kanal und die Spermien müssen letztlich erst im weiblichen Körper ihre Funktion erfüllen.

„Aufgrund der beschriebenen Ergebnisse kann ich mir vorstellen, dass ein auf VU0546110 basierendes Verhütungsmittel primär vaginal zum Beispiel als Verhütungsgel/-creme angewendet werden könnte“, sagt Mayerhofer. Aber auch er betont, dass noch weitere Untersuchungen folgen müssten - mit größeren Fallzahlen und spezifischen Analysen zur Verträglichkeit.

 
Es ist noch ein weiter Weg, der sich aber lohnen könnte. Prof. Dr. Artur Mayerhofer
 

„Es ist noch ein weiter Weg, der sich aber lohnen könnte. Es besteht Bedarf an neuen nicht oder wenig invasiven und reversiblen kontrazeptiven Methoden. Spermien und deren Funktion sind dafür ein idealer Angriffspunkt“, lautet sein Fazit.

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