Tics sind meist kurze Bewegungen oder Lautäußerungen, die oft in rascher Abfolge und ohne ersichtlichen Bezug zur aktuellen Situation wiederholt werden. In vielen Fällen geht die Erkrankung mit weiteren Verhaltensauffälligkeiten wie Ängsten oder einer Depression einher. Eine der bekanntesten Tic-Störungen ist das Tourette-Syndrom. Betroffen sind oft Kinder, Schätzungen zufolge bis zu 4% aller Kinder.
Wie Patienten mit Tics behandelt werden können, haben Tina Rawish (Institut für Systemische Motorikforschung, Center of Brain, Behavior and Metabolism, Universität Lübeck) und Gesine Sallandt sowie Institutsleiter Alexander Münchau dargestellt [1].
Bei Erwachsenen häufig Tic-assoziierte Vorgefühle
Tics würden, wie die Autoren erklären, in motorische (etwa Blinzeln, Zwinkern, Nasenrümpfen) und vokale Tics (zum Beispiel Tiergeräusche, Husten, Fiepen oder Piepsen) unterteilt.
Betroffene könnten unterschiedliche Tics haben. Meist träten zunächst einfache motorische Tics auf, vorrangig im Gesicht, am Nacken und an der Schulter. Tics an den Extremitäten seien seltener, so die Autoren. Bei einigen Betroffenen könne es zu Echophänomenen (Echopraxie und Echolalie) kommen, also zur Nachahmung beobachteter Bewegungen oder gehörter Geräusche. Bei etwa 20% der Patienten träten Koprophänomene auf, also Koprolalie (Aussprechen von Schimpfwörtern) oder Kopropraxie (obszöne Gesten). Klassische Koprophänomene bestünden bei Menschen mit Tics selten aus ganzen Sätzen, sondern überwiegend aus einzelnen Wörtern oder auch nur aus Teilen von Schimpfwörtern.
Laut Münchaus Team berichten Betroffene zusätzlich zu den Tics häufig über ein Tic-assoziiertes Vorgefühl, das zum Beispiel als Hitzegefühl, als Kribbeln oder als Druck wahrgenommen werde. Das Vorgefühl könne im ganzen Körper vorkommen, trete aber gehäuft in der Körperregion auf, in der der Tic folge. Ein Vorgefühl sei bei Jugendlichen und Erwachsenen stärker verbreitet als bei Kindern.
Behandlung von Tics
Ob eine spezifische Anti-Tic-Behandlung notwendig sei, richte sich danach, wie schwer die Tics, aber auch wie ausgeprägt komorbide Störungen seien, so die Forschenden. Wichtig sei zudem der Leidensdruck der Betroffenen. Häufig könnten bereits psychoedukative Maßnahmen in Bezug auf Tics bzw. Hinweise zum Umgang mit diesen Patienten helfen und auch ihre Angehörigen entlasten.
Bislang gebe es nur symptomatische Therapien. Dabei sollten in jedem Fall Komorbiditäten berücksichtigt werden, erklären Münchau und Kollegen. Stehe die Begleiterkrankung im Vordergrund, sollte diese bevorzugt behandelt werden. Im Falle einer Besserung der komorbiden Störung sei häufig auch eine Linderung der Tics zu beobachten.
Verhaltenstherapien
Eine wichtige Rolle bei der Behandlung von Tic-Störungen spielten Verhaltenstherapien, berichten die Autoren. Methoden der 1. Wahl seien insbesondere das Habit Reversal Training/Comprehensive Behavioral Intervention for Tics und die Exposition mit Reaktionsverhinderung. Sie seien sowohl für die Therapie von Kindern und Jugendlichen als auch von Erwachsenen geeignet. Die größte Evidenz für die Wirksamkeit gebe es für das Habit Reversal Training (HRT). Das Comprehensive Behavioral Intervention for Tics (CBIT) sei im Wesentlichen eine Erweiterung des HRT, heißt es im Artikel.
Das HRT (Gewohnheitsumkehrtraining) beruhe auf der bewussten Wahrnehmung des Vorgefühls, das einem Tic vorangehe. Dies werde beim Wahrnehmungstraining zunächst in mehreren Schritten trainiert. Anschließend werde für den jeweiligen Tic eine Gegenbewegung ausgewählt und eingeübt, die idealerweise mit der gleichzeitigen Ausführung des eigentlichen Tics nicht zu vereinbaren sei. Dadurch solle es den Betroffenen ermöglicht werden, anstelle der Tics mit einem alternativen (weniger auffälligen und weniger störenden) Verhalten auf das Vorgefühl zu reagieren.
Exposition mit Reaktionsverhinderung
Ebenso wie beim HRT habe auch bei der Exposition mit Reaktionsverhinderung (ERP) die bewusste Wahrnehmung des Vorgefühls eine große Bedeutung. Im Gegensatz zum HRT werde hierbei aber nicht jeder Tic separat behandelt, erklärt das Autorenteam. Stattdessen sollten alle Tics auf einmal unterbleiben. Zunächst werde trainiert, den Tics für eine immer längere Zeitspanne zu widerstehen. Danach werde der Fokus auf die Wahrnehmung der Vorgefühle gelenkt.
Medikamentöse Therapien
Über die psychotherapeutischen und psychoedukativen Verfahren hinaus sei auch die medikamentöse Therapie der Tic-Störungen gut etabliert, berichten die Autoren. Zu den Optionen gehörten in erster Linie Dopaminrezeptor-Antagonisten. Die Therapie sollte grundsätzlich mit niedriger Dosis begonnen und gegebenenfalls langsam gesteigert werden.
An Präparaten stehe bei Erwachsenen insbesondere Aripiprazol (off label) im Vordergrund; begonnen werde mit 1 × 2,5 mg/Tag morgens; im weiteren Verlauf könne dann alle 7 Tage um 2,5 mg gesteigert werden (Maximaldosis 20 bis 30 mg/Tag). Alternativ komme insbesondere Risperidon (off label) infrage. Hier werde anfangs eine Dosis von 1 × 0,5 mg/ Tag am Abend empfohlen sowie eine wöchentliche Steigerung um 0,25 mg. Die übliche Höchstdosis betrage 4 mg pro Tag. Risperidon habe typischerweise mehr Nebenwirkungen als Aripiprazol und werde deshalb seltener eingesetzt.
Weitere Antipsychotika zur Behandlung von Tics bei Erwachsenen seien laut Artikel Pimozid und Sulpirid; der letztgenannte Arzneistoff eignet sich vor allem bei komorbiden Zwängen.
Bei Kindern eigneten sich außer Tiaprid auch Guanfacin und Clonidin. Bei Erwachsenen hingegen seien diese Substanzen nicht oder nur sehr gering wirksam.
Darüber hinaus profitierten manche Patienten von Cannabinoiden. Die Kostenübernahme der Medikamente durch die Krankenkasse müsse gesondert beantragt werden und erfolge erst nach Therapieversuchen mit so genannten First-Line-Medikamenten, berichten die Autoren. Cannabinoide sollten ebenfalls vorsichtig eindosiert werden.
Falls sich Tics auf bestimmte Muskelgruppen beschränkten, könne eine Botulinumtoxin die Symptome lindern. Eine weitere, allerdings noch experimentelle Methode bei Patienten mit Tourette-Syndrom oder chronischer Tic-Störung sei die tiefe Hirnstimulation. Der Einsatz erfolge vorwiegend innerhalb klinischer Studien.
Der Beitrag ist im Original auf Univadis.de erschienen.
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Diesen Artikel so zitieren: Blinzeln, Zwinkern oder Tiergeräusche imitieren: Tics äußern sich ganz unterschiedlich. So helfen Sie Patienten - Medscape - 2. Feb 2023.
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