Digitale Bürokratie nervt: eAU startet mit Hindernissen – Hausärzte kritisieren wegen Zeit, Arbeitgeber wegen Kosten

Christian Beneker

Interessenkonflikte

18. Januar 2023

Seit Jahresbeginn 2023 ist die elektronische Krankschreibung (eAU) auch für die Arbeitgeber verpflichtend. Doch der Einstieg in die eAU läuft nicht rund. Die Arbeitgeber beklagen bürokratische Hürden – die Hausärzte kritisieren den Zeitaufwand, der mit der Ausstellung der eAU verbunden ist.

Die einjährige Pilotphase zur Einführung der eAU endete am 31. Dezember 2022. Seither müssen die Arbeitnehmer zwar immer noch ihren Betrieb über ihre Krankheit und die voraussichtliche Dauer informieren. Aber was früher der Gelbe Schein war, übermitteln die Praxen nun direkt an die Kassen. Und die Arbeitgeber müssen die Krankmeldung individuell elektronisch bei der Krankenkasse des Mitarbeiters abrufen. Die Patienten indessen erhalten in ihrer Arztpraxis auf Wunsch weiterhin einen Ausdruck ihrer Krankmeldung für ihre Unterlagen.

Die Praxen sind bereits seit einem halben Jahr an das System angeschlossen. „Dementsprechend sind auch hier die Zahlen in den letzten Monaten nach oben gegangen“, so der GKV-Spitzenverband in einer Mitteilung. „Zuletzt waren es 2,6 Millionen eAU pro Woche, etwa doppelt so viele wie noch im August 2022. Mit Stand vom 29. Dezember 2022 sind seit dem 1. August 2021 insgesamt 61,4 Millionen eAU von Praxen an Krankenkassen geschickt worden. Groben Schätzungen zufolge werden jährlich insgesamt rund 77 Millionen Krankmeldungen ausgestellt. Die Praxen sind also bereit.

Durch die eAU geht wichtige Arztzeit verloren

Allerdings sieht der Deutsche Hausärzteverband auf die Ärztinnen und Ärzte ein Zeitproblem zukommen. Den trotz der eAU stellen viele Hausärzte ihren Patienten immer noch eine AU-Bescheinigung aus, um „auf Nummer sicher zu gehen“, wie der Bundesvorsitzende des Verbandes, Dr. Markus Beier, in seinem jüngsten Rundschreiben an die Mitglieder betont.

 
Gerade die eAU kostet einfach zu viel Zeit und Nerven – in der aktuellen Belastungsphase ein Unding! Dr. Markus Beier
 

„Der zusätzliche Ausdruck gibt Sicherheit, ist aber auch ein Symptom dafür, mit wie viel Mehraufwand die Digitalisierung noch immer einhergeht. Gerade die eAU kostet einfach zu viel Zeit und Nerven – in der aktuellen Belastungsphase ein Unding!“, so Beier. „Wenn ein Hausarzt etwa 50 Sekunden zusätzlich für die eAU benötigt und 50 Patientinnen und Patienten an einem Montag krankschreibt, geht der Versorgung an diesem Tag etwa eine Dreiviertelstunde Arztzeit verloren.“

Arbeitgeber: eAU führt zu „unkalkulierbaren zusätzlichen Belastungen“

Auf Anfrage von Medscape äußern auch die Arbeitgeber eine ganze Reihe von Bedenken, was die Einführung der eAU angeht. So moniert der Bundesverband des deutschen Mittelstandes (BVMW), die Informationslage vor der verpflichtenden Umsetzung der eAU sei „dürftig bis kaum vorhanden“ gewesen. Weil auch eine angemessene Übergangszeit gefehlt habe, sei jetzt die Umsetzung „mit unnötigem Druck auf die Arbeitgeber verbunden“, erklärt Dr. Hans-Jürgen Völz, Chefvolkswirt des BVMW, gegenüber Medscape.

Besondere Schwierigkeiten machen offenbar die verschiedenen Fristen, die die Arbeitnehmer bei der Vorlage der Krankmeldung einzuhalten haben. „Manche Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sind verpflichtet, AU-Bescheinigungen am ersten Krankheitstag vorzulegen; manche müssen diese ab dem 4. Tag der Erkrankung vorlegen. Diese vertraglichen Verpflichtungen bleiben trotz Einführung der eAU bestehen, weshalb es besonders wichtig ist, eAUs pünktlich abrufen zu können“, erklärt Völz. „Andernfalls drohen arbeitsrechtliche Konsequenzen.“

So sei vorgesehen, dass der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erst 5 Tage, nachdem der Beschäftigte krankgeschrieben wurde, bei der Krankenkasse abrufen kann. „Die eAU wird dem Arbeitgeber also nicht automatisiert übermittelt. Rechnet man die gesetzliche Pufferzeit von 14 Tagen, in der die eAU nachgereicht werden kann, noch hinzu, können aus einer einfachen Krankschreibung jeden Monat deutliche Rückrechnungen resultieren“, moniert Völz. Für die Unternehmen sei dies eine „unkalkulierbare zusätzliche Belastung“.

Die Rückrechnungen bezögen sich auf Unsicherheiten zum Krankenstatus von Beschäftigten. Denn sollten sich Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer krankgemeldet haben, jedoch keine entsprechende eAU abgerufen werden können, könnte das nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz weitergezahlte Entgelt zurückgefordert werden, so Völz zu Medscape. Es seien bereits jetzt „Probleme bei der Erreichbarkeit von IT-Dienstleistern und -anbietern bei der Einrichtung entsprechender Programme absehbar“, so Völz.

 
Sollte verspätet die eAU abgerufen werden können, müsste das dem Arbeitnehmer beziehungsweise der Arbeitnehmerin zustehende Entgelt nachgezahlt werden. Dr. Hans-Jürgen Völz
 

Zudem können die Verzögerungen auch dann zu Problemen führen, „wenn Unsicherheit über den Krankheitsstatus eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin besteht und der Arbeitgeber daraufhin die Weiterzahlung des Entgelts vorerst einstellt“, erklärt der Volkswirt. „Sollte dann verspätet die eAU abgerufen werden können, müsste das dem Arbeitnehmer beziehungsweise der Arbeitnehmerin zustehende Entgelt nachgezahlt werden.“

Grundsätzlich aber begrüßten die Arbeitgeber die eAU, resümiert Völz. „Aber Ziel sollte eine automatische Übermittlung der eAU an die Arbeitgeber sein.“

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Kommentar

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