MEINUNG

ePA-Probleme? „Aufwand wird erheblich sein, aber es lohnt“ – DGIM legt Liste vor, was in elektronische Patientenakte rein soll

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

18. Januar 2023

Mit der elektronischen Patientenakte (ePA) steht seit dem 1. Januar 2021 grundsätzlich ein patientenbezogenes, einrichtungs- und sektorübergreifendes Dokument zur Verfügung. Die ePA hat großes Potenzial die Abläufe im Gesundheitswesen zu vereinfachen. Doch ihre Einführung stockt - nicht zuletzt, weil viele Fragen noch offen sind. Dazu gehört vor allem, welche Daten darin hinterlegt werden sollen und nach welchen Standards das erfolgen soll. Nur 0,7% aller gesetzlich Versicherten haben bisher eine ePA.

Prof. Dr. Georg Ertl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM) hat mit Kollegen zusammen Empfehlungen erarbeitet, die dazu beitragen sollen die ePA rascher zu etablieren, denn das, so Ertl, ist „dringend notwendig und überfällig“.

Medscape: Der ePA wird ein großes Potenzial eingeräumt, die Abläufe im Gesundheitswesen zu vereinfachen. Stimmt das?

Prof. Dr. Georg Ertl

Ertl: Durch die ePA ließe sich die Patientenversorgung erheblich verbessern. Ein wichtiges Beispiel ist die Notfallversorgung. Der Patient kommt als Notfall, hat natürlich seine Arztbriefe nicht dabei. Über seine elektronische Patientenakte können die Ärzte in der Klinik aber unmittelbar auf alle relevanten Daten zu seinen Vorerkrankungen zugreifen. Das ist extrem wertvoll und spart Zeit.

Auch bei Patienten, die nicht als Notfall kommen spart die ePA bei der Klinikaufnahme ganz erheblich Zeit. Umgekehrt gilt das natürlich auch – wird der Patient aus dem Krankenhaus entlassen, hat der niedergelassene Arzt in der Praxis unmittelbaren Zugriff auf die Ergebnisse des stationären Aufenthaltes. 

Ein anderes Beispiel sind Patienten mit chronischen schweren und dynamisch verlaufenden Erkrankungen, das sind typischerweise maligne Erkrankungen aber aus meinem Bereich auch das Beispiel Herzinsuffizienz. Wir sehen bei solchen Erkrankungen immer wieder, wie schwierig es ist, Patienten über die Sektorengrenze hinweg in eine gute Versorgung zu entlassen.

Medscape: Wie aufwändig wird die Umstellung auf die ePA Ihrer Einschätzung nach sein?

Ertl: Der Aufwand wird schon erheblich sein. Wobei die Dokumentation an sich ja gegeben ist, sowohl in den Kliniken als auch in den Praxen. Entscheidend für den zusätzlichen Aufwand sind die technischen Voraussetzungen. In den Kliniken, in denen wir die KIS-Systeme eingeführt haben, haben wir das festgestellt. Man muss sich klar machen, dass die Umstellung mit einem zusätzlichen Aufwand verbunden ist. Aber am Ende ist das in der Praxis und für die Praxis so wertvoll, dass es den Aufwand auch lohnt.

Medscape: Wie ausgeprägt ist die Bereitschaft in der Ärzteschaft? Wartet man nur auf die ePA?

Ertl: Die Kollegen sind sehr unterschiedlich aufgestellt, auch im Hinblick auf ihre Praxissysteme. Davon hängt ab, ob sie es mehr oder weniger schwer haben, damit umzugehen. Je besser die technischen Voraussetzungen sind desto einfacher und weniger aufwändig ist das.

Wobei es schon auch eine Stimmung gibt wie etwa: „Da kommt jetzt ein weiterer Mehraufwand hinzu, von dem man selbst möglicherweise wenig hat.“ Beispielsweise profitiert ein Krankenhaus stärker davon, wenn es auf die Befunde des Patienten direkt zugreifen kann. Der Hausarzt hingegen, der ja seine Patienten kennt, hat die meisten Befunde ohnehin selbst vorliegen, der hat am Ende weniger davon, die ePA zu pflegen und zu befüllen.

Ein anderer Aspekt ist, dass immer so eine Reserviertheit gegenüber einem Zugriff von außen besteht. Die Kliniken kennen das ja vom medizinischen Dienst der Krankenkassen. Man muss auch dafür sorgen, dass der Aufwand in irgendeiner Form ausgeglichen wird.

Medscape: Stichwort Vergütung dieses Mehraufwands – wie sieht es damit aus?

Ertl: Die Frage der Vergütung dieses Mehraufwands ist sicher noch nicht ausdiskutiert, darüber muss beraten werden. Die Kassen – so wie ich das jetzt einschätze – stehen momentan auf dem Standpunkt, dass Dokumentation Teil der ärztlichen Leistung ist und wer dokumentiert, ist den Kassen zunächst mal egal. Ich denke, eine gewisse Bereitschaft wird sich da schon finden lassen, aber da muss man sicherlich noch darum ringen.

Medscape: Sind die technischen Voraussetzungen in den Kliniken eher besser als in den Praxen?

Ertl: Das kann man so generell nicht sagen. Es gibt Kliniken, die sind da exquisit aufgestellt und es gibt Kliniken, die haben noch alles auf Papier. Es ist aber nicht so, dass alle Uniklinika bestens gerüstet wären und kleine Krankenhäuser nicht gut gerüstet sind - das geht querbeet. Und auch bei den Praxen kenne ich welche, die sind hervorragend aufgestellt. Aber ich denke in der Breite wird es in den Praxen doch eher noch schwieriger sein.

Medscape: Gesetzlich Versicherte können seit dem 1. Januar 2021 bei ihrer Kasse eine ePA beantragen. Bislang aber verfügen nur 0,7% der gesetzlich Versicherten (ca. 550.000 Personen) über eine ePA. Woran liegt das?

Ertl: Das liegt einfach daran, dass es eine aktive Entscheidung der Patienten sein muss die Anlage einer ePA zu beantragen. Wir schlagen deshalb die sogenannte Opt-out Lösung vor. Das heißt, der Patient muss sich nicht dafür, sondern aktiv dagegen entscheiden. Widerspricht er nicht, bekommt er eine ePA und auch jeder behandelnde Arzt erhält Zugriff auf die ePA, es sei denn, die Patienten schränken die Zugriffsrechte explizit ein.

Ich denke es wird sich zeigen, dass die allermeisten Menschen damit einverstanden sind. Zumal der Zugriff auf die Daten ja unter der Kontrolle des Patienten bleibt und damit auch der Datenschutz gewährleistet ist.

Medscape: Sie schlagen vor, die Patientendaten auch für die Wissenschaft nutzen zu dürfen…

Ertl: Ja, als wissenschaftliche Fachgesellschaft erhoffen wir uns das natürlich sehr. Im Hinblick auf verfügbare Daten standen wir während der Corona-Pandemie ja wirklich blank da und waren auf die Daten aus anderen Ländern angewiesen, wie z.B. Großbritannien, die in ihrem Gesundheitssystem das alles verankert haben. Das Gesundheitssystem in UK hat – bei allen Nachteilen – in der Hinsicht den Vorteil, dass diese Daten vorliegen und für die Wissenschaft verfügbar sind.

Medscape: Die ePA könnte dazu beitragen, Mehrfach-Untersuchungen von Patienten zu verhindern, oder?

Ertl: Ja, ich denke das wäre der Fall. Denn mittels ePA ließe sich auch die Qualitätssicherung sehr gut umsetzen. Man könnte rasch prüfen und dann sehen, dass der Patient erst vor Kurzem ein MR bekommen hat. Oder ein anderes Beispiel: Die 82jährige Patientin mit fortgeschrittener Demenz – muss die jetzt wirklich noch ein MR erhalten? Die Entscheidung, in dem Fall auf das MR zu verzichten dient auch der Qualitätssicherung im Sinne von „Klug entscheiden“. Dabei würde uns die elektronische Akte auch sehr unterstützen.

Und natürlich bei der Medikation. Wir sind der Meinung, dass auch ein Medikationsplan in der ePA angelegt werden muss. Es ist unter den verschiedenen Fachärzten oft nicht leicht, einen Konsens herzustellen, was an Medikation sein muss und worauf man verzichten kann. In der Klinik sehen wir immer wieder, dass man die Patienten aufnimmt und die Medikation reduziert auf wenige Medikamente. Wird der Patient aber das nächste Mal aufgenommen, stehen wir bei den Medikamenten wieder da, wo wir vor der Reduktion waren.

Medscape: Über die ePA ließe sich also auch – ihre weite Verbreitung vorausgesetzt - die Polymedikation reduzieren?

Ertl: Ja. Natürlich muss man dafür auch spezifische Werkzeuge entwickeln. Die sind jetzt a priori noch nicht verankert in der ePA. Für uns als Fachgesellschaft wäre das aber auch eine Aufgabe uns um den Aspekt Polymedikation zu kümmern. Schließlich werden wir immer älter, d.h.  die Multimorbidität und Polypharmazie unserer Patienten nehmen zu.

Medscape: Wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch.

DGIM-Empfehlungen: Das sollte in der ePA hinterlegt sein

Notfalldatensatz (NFD)

  • Größe, Gewicht

  • Vorerkrankungen (mit ICD 10)

  • Aktuelle Dauermedikation (inkl. Bedarfsmedikation)

  • Allergien (mit klinischen Angaben) und Unverträglichkeiten

  • Angaben zu Implantaten

  • Pflegestufe

  • Einschluss in ein Patientenprogramm, z.B. DMP

  • Kontaktinformationen Angehörige, Pflegeeinrichtung, behandelnde Ärzt:innen/Einrichtungen

 Datensatz persönliche Erklärungen (DPE)

  • Betreuungsverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuung (Kontaktdaten der Pflegeeinrichtung inkl. Pflegebögen), ggf. vorhandener Pflegegrad

  • Patientenverfügung

  • Organspendeausweis

 Aktuelle Medikation

  • Bundeseinheitlicher Medikationsplan (BMP), elektronischer Medikationsplan (eMP) und Angabe über Indikationen und Medikationshistorie

  • Ggf. Interaktionscheck-Option

 Impfdokumentation

  • Impfpass

 Briefe und Berichte

  • Stationäre Behandlung

  • Briefe ambulante Fachärzte

  • Physiotherapeuten, andere Heilberufe

 Befunde von

  • Labor-Untersuchungen (z.B. Klinische Chemie, Hämatologie etc.)

  • apparativen Untersuchungen (z.B. EKG, Lungenfunktion etc.)

  • bildgebenden Verfahren (z.B. CT, MRT, Ultraschalluntersuchungen etc.)

 

Kommentar

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