Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) will verhindern, dass Private-Equity-Gesellschaften weiterhin Praxen in Deutschland aufkaufen können. Bereits Ende vergangenen Jahres hat er in der Bild am Sonntag erklärt: „Ich schiebe einen Riegel davor, dass Investoren mit absoluter Profitgier Artpraxen aufkaufen.“ Er wolle „den Einstieg der Heuschrecken in die Arztpraxen verhindern“ und die Möglichkeiten der Investoren mit einem entsprechenden Gesetz einschränken, hieß es. Noch im ersten Quartal des Jahres soll das Vorhaben angegangen werden.
Es gebe den fatalen Trend, „dass Investoren medizinische Versorgungszentren (MVZ) mit unterschiedlichen Facharztpraxen aufkaufen, um sie anschließend mit maximalem Gewinn zu betreiben.“ Es sei sein politischer Vorsatz, dass profitorientierte Ketten von Arztpraxen wahrscheinlich ihr letztes schönes Weihnachten feierten, sagte der Minister. „Schon bald kommt das Ende“, legte Lauterbach nun auf seinem Facebook-Account nach. „Weniger Gier, mehr Menschlichkeit braucht unser Gesundheitssystem.“
„Dem Ausbau Investoren-betriebener MVZ im deutschen Gesundheitswesen steht das Bundesministerium für Gesundheit kritisch gegenüber“, bestätigte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf Nachfrage von Medscape. „Die zunehmende Ökonomisierung der Medizin in sämtlichen Bereichen der Gesundheitsversorgung setzt falsche Anreize, da sie zu den ihr übergeordneten gesundheitlichen Versorgungszielen und damit einer am medizinischen Bedarf orientierten und wirtschaftlichen gesundheitlichen Versorgung in einem deutlichen Spannungsverhältnis steht.“
Jedes fünfte zahnärztliche MVZ von Finanzinvestoren betrieben
Das GKV-Versorgungstärkungsgesetz hat 2015 den Weg für die Investoren geebnet: Es erlaubt fachgruppengleiche medizinische Versorgungszentren. Seither verzeichne man etwa bei Ketten von Zahnarztpraxen ein „dynamisches Vordringen“. Bis 2015 stieg die Zahl von Investoren-betriebenen MVZ (i-MVZ) von 11 auf 207 im ersten Quartal 2020. Dies hat das IGES Institut in einer Studie im Auftrag der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) bereits 2020 mit Zahlen belegt.
Zwar hatte der Gesetzgeber 2011 mit dem GKV Versorgungsstrukturgesetz Investoren ohne fachlichen Bezug zur medizinischen Versorgung die Gründung von MVZ verboten. Aber die Investoren umgingen und umgehen dieses Verbot, indem sie Krankenhäuser aufkaufen und mit ihnen das Recht, MVZ zu gründen. Inzwischen werde jedes 5. zahnärztliche MVZ von Finanzinventoren betrieben, ermittelte das IGES Institut.
Damit sei der Anteil von i-MVZ an allen derartigen Einrichtungen auf 21% gewachsen. Meistens sind die Praxen als Praxisketten organisiert. Hinter ihnen standen Ende 2020 12 verschiedene Investoren, meist Private-Equity-Gesellschaften, so das IGES-Institut.
Die Gesellschaften verschmelzen die Ketten oft in einer „Buy-and-Build-Strategie“ zu einer Firma, rationalisieren den Betrieb und versuchen, sie gewinnbringend weiterzuverkaufen. So stand im Spätsommer 2022 offenbar die Zahnklinikkette European Dental Group, die mit der Marke „Dein Dental“ mit über 100 Standorten die drittgrößte Zahnarztkette in Deutschland ist, zum Verkauf, wie es in einer kleinen Anfrage der CDU/ CSU Bundestagsfraktion zum Thema vom Dezember 2022 heißt.
Ähnlich werden Hausarztpraxen offenbar vermehrt zum Ziel von Investoren, wie zum Beispiel der Einstieg des irischen Unternehmens „Centric Health“ in den Gesundheitscampus Loreley in Oberwesel zeigt.
All dem will das BMG nun ein Ende bereiten. Die Rahmenbedingungen für die Teilnahme von i-MVZ an der ambulanten Versorgung seien mehrfach gesetzlich eingeschränkt worden, so das BMG auf Anfrage. „Der Gesetzgeber begründete diese Maßnahmen mit der Annahme, dass der Betrieb von MVZ in Investorenhand mit einer Gefahr für die Integrität, Qualität und Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Berufsausübung, mit Veränderungseffekten zulasten selbstständig niedergelassener Ärztinnen und Ärzte sowie mit der Gefährdung einer ausgewogenen flächendeckenden Versorgung verbunden ist. Hier werden wir jetzt noch einmal nachsteuern. Entsprechende Regelungen sollen dieses Jahr auf den Weg gebracht werden.“
Stiftung Patientenschutz: Kein Problem mit den „Heuschrecken“
Kein Wunder, dass die Hausärzte Lauterbachs Absicht begrüßen.
In seinem Rundbrief zum Jahresbeginn erklärte der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes Dr. Markus Beier: „Der Bundesgesundheitsminister hat bereits betont, dass er hier einen Riegel vorschieben will – wir werden darauf hinwirken, dass dies in einer Art und Weise geschieht, die eine bundesweite Kettenbildung durch Kapitalgesellschaften unterbindet. Modelle, die Anstellung und Teamarbeit in hohem Maße ermöglichen, werden immer wichtiger, aber die Zukunft dieser Modelle wie auch der hausärztlichen Versorgung liegt in den Händen der Hausärztinnen und Hausärzte und nicht in denen irgendwelcher Finanzinvestoren!“
Eugen Brysch dagegen, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, teilt die Kritik der Hausärzte nicht. Im Gegenteil. „Karl Lauterbach will den Einstieg von Heuschrecken in Arztpraxen unterbinden. Dabei ist es Patientinnen und Patienten vollkommen egal, wer Investor eines medizinischen Angebots ist“, so Brysch zu Medscape. Für die Betroffenen seien ausschließlich die Öffnungszeiten, gute Erreichbarkeit und Qualität entscheidend. „Allein eine inhabergeführte Praxis ist dafür keine Garantie.“
Ein Gesetzesvorhaben müsse die Praxis und nicht die Ideologie in den Blick nehmen. Wenig überzeugend sei die Gleichung, dass Anbieter, die Gewinne machen, eine schlechte Versorgungsqualität aufwiesen, während diejenigen, die Defizite erwirtschaften, über eine hohe Versorgungsqualität verfügten. Brysch: „Solche Vereinfachungen sind hochproblematisch.“
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Diesen Artikel so zitieren: Lauterbach gegen Heuschrecken: „Weniger Gier, mehr Menschlichkeit“ – so will er Investoren-betriebene MVZ künftig verhindern - Medscape - 18. Jan 2023.
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