3 krebskranke Ärzte berichten, wie es ihnen mit der Diagnose erging – und welche Änderungen im Umgang sie sich wünschen

Dr. Angela Speth

Interessenkonflikte

17. Januar 2023

Eine schwere Erkrankung trifft Ärzte in besonderer Weise: Mit einem Schlag werden sie aus ihrer gewohnten Rolle auf die Gegenseite katapultiert. Waren bisher sie die Helfer, die Patienten die Hilfsbedürftigen, so tragen nun sie das Flügelhemd und andere den weißen Kittel.

3 Ärzte schildern, wie ihre gewohnte Souveränität nach einer Krebsdiagnose zusammenbrach und ihre Perspektive sich nachhaltig veränderte. Sie haben erlebt, dass ein hocheffizienter Medizinbetrieb wenig Raum für Gespräche lässt und behandelnde Kollegen aus Selbstschutz jegliche Empathie verweigern. Daher schlagen sie Fortbildungen vor, die eine zugewandte Haltung und Selbstreflexion vermitteln.

„Die Konfrontation mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung ist bis ins Mark verstörend“, schreiben die Psychiaterin Dr. Sandra Apondo, Universitätsklinikum Heidelberg, der Intensivmediziner Prof. Dr. Thomas Bein, Universität Regensburg, und der Pneumologe Prof. Dr. Bernd Schönhofer, Universitätsklinikum Bielefeld [1].

Eine Kernbotschaft lautet: „Die eigene Erfahrung hat uns bewusst gemacht, wie trügerisch und fragil die Grenze zwischen Ärzten und Patienten ist.“ Und sie stellen klar: „Wir sind dankbar für die Hochleistungsmedizin, die den Krebs geheilt oder zumindest zurückgedrängt hat“, schreiben die Ärzte in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift.

In einem Gesundheitssystem, das möglichst hohe Fallzahlen anstrebt, verwandelten sich die 3 Ärzte in die vielbesagten „Kunden“, die meist freundlich und kompetent behandelt wurden. Ebenso profitierten sie davon, dass spezialisierte Kliniken das Just-in-time-Konzept vom Aufklärungsgespräch bis zur Operation und/oder Chemotherapie routiniert umsetzen.

Vom Akteur der Spitzenmedizin zu ihrem Objekt

Allerdings: Der Druck durch die Ökonomisierung erzwingt nahezu industrialisierte Abläufe mit hochfrequentem, eng getaktetem Durchsatz. Gerade in dieser technisierten Atmosphäre macht Kranksein einsam, weil für ermutigende Worte, geschweige denn eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung wenig Raum bleibt. „Da sitzt man nach Abschluss der Diagnostik im kahlen Vorzimmer und ahnt voller Angst, welch gravierendes Urteil im nächsten Augenblick auf einen zukommt“, schildern die Autoren eine existenzielle Situation.

Und dann teilen die Ärzte auf der anderen Seite des Schreibtischs die niederschmetternden Befunde mit, als stellten sie bei einem Fachkonsil einen komplizierten Fall vor. Offenbar zum Selbstschutz verschanzen sie sich „leider“ hinter dem Dogma, stets professionelle Distanz zu wahren. Diese Sachlichkeit folgt dem ungeschriebenen Gesetz, den Leidenden gegenüber keine Gefühle zu zeigen.

Wertschätzend gemeinte Äußerungen wie „Sie sind ja selbst Kollege/Kollegin“, die Fachsimpelei „unter Kollegen“ über Tumormarker, Operationsstrategien, Chemotherapie-Protokolle und verheißungsvolle Studien sollen eine Atmosphäre von Verständnis und Augenhöhe erzeugen. Therapeutischer Optimismus bestimmt den Tenor und überdeckt zumindest vordergründig die Todesangst.

Das Wissen um Risiken verstärkt die Sorgen

Doch Expertenwissen erweist sich bei einer Krebsdiagnose als zwiespältig: Manchmal hilft es, den eigenen Fall nüchtern zu betrachten, öfter jedoch schürt es zusätzlich Ängste, weil sämtliche Worst-Case-Szenarien bekannt sind. Wenn nach einer Hochdosis-Chemotherapie oder Stammzelltransplantation 10 Tage lang keine Leukozyten mehr nachweisbar sind, raubt das Fachleuten den Schlaf, weil ihnen die Gefahr klar vor Augen steht.

Zudem verhindert die theoretische Diskussion ein echtes Gespräch, eine authentische Begegnung – zum Nachteil beider Parteien: Den kranken Ärzten erschwert sie die Auseinandersetzung mit der harten Realität und die damit einhergehende Chance, neue Ressourcen zu entdecken. Den gesunden Ärzten entgeht der emotionale Zugang.

Dieser Zugang wäre aber wertvoll, um die Verunsicherung zu bewältigen, die sich bei ihnen oft wahrnehmen lässt. Das Unglück eines Menschen in derart ähnlicher Position stellt eine Bedrohung dar, weil die Angst wach wird, man müsste selbst einmal den überlegenen Status mitsamt dem Kittel an den Nagel hängen.

Denn die kranken Kollegen – ob der 80-jährige lebenserfahrene Professor oder die 35-jährige Mutter zweier Kleinkinder – sind ja nur durch das blinde Spiel des Zufalls in diese Misere geraten, der Krebs hätte ja genauso sie selbst treffen können. Sich das einzugestehen, erfordert Mut.

Handyklingeln als willkommener Vorwand

Einen Mut, den die gesunden Ärzte oft nicht aufbringen. Sie entziehen sich schwierigen Themen, sobald das Handy klingelt. Oder sie machen mit der Entschuldigung, sie müssten sich um etwas Wichtiges kümmern, auf dem Absatz kehrt. Oder der Chirurg tritt während der mehrwöchigen OP-Vorbereitung kein einziges Mal in Erscheinung.

Bei den Kranken wächst dann die seelische Not, denn sie können nicht flüchten, zumal dann nicht, wenn sich eine Bestrahlung an die andere reiht oder sie bis zum nächsten 4-tägigen Chemo-Marathon vor sich hindämmern müssen.

„Unmissverständlich wird deutlich, dass es mehr als optimierte Prozesse zur guten medizinischen Behandlung braucht“, so das Fazit von Apondo und ihren Kollegen aus „vielen Tagen, die wir in der onkologischen Klinik oder in der Bestrahlungsambulanz mit medizinischem Personal und Mitpatienten verbrachten“.

Die Kranken, jäh aus ihrer Lebensbahn geworfen und nun um ihr inneres Gleichgewicht ringend, wünschen sich sehnlich ein menschliches Signal, sei es auch nur non-verbal, einen Moment des Innehaltens, eine anteilnehmende Berührung, einen behutsamen Wortwechsel.

Empathie – das Tor zur Gefühlswelt der Mitmenschen

Schon lange sei die Forderung nach mehr Gespräch und Einfühlsamkeit, eigentlich Kernelementen des Arztberufs, nicht mehr zu überhören. Statt durch emotionale Kühle oder Abspulen von Optionen Abstand zu schaffen, könnten die Kollegen mit der eigenen Verletzlichkeit offen umgehen und den Patienten mit Empathie begegnen, also auf deren Gefühle achten, ihnen zuhören, auf sie eingehen, mit ihnen erörtern, was bereits erreicht ist und was noch bevorsteht.

Zu vermeiden sei natürlich eine falsch verstandene Empathie – ein „Verschmelzen“ mit dem Anderen, so die Autoren. Denn ein völliges Aufgeben von Distanz würde das Verhältnis zu den Kranken ebenfalls beeinträchtigen. Schwierig wird es für Ärzte auch, wenn ihnen massive Gefühle wie Angst, Wut und Verzweiflung entgegenschlagen.

Um die ihnen anvertrauten Menschen in ihrer Not trotzdem annehmen zu können, müssten Ärzte selbstkritisch nachdenken, warum manche bei ihnen negative Emotionen wie Abneigung oder Unruhe auslösen.

Ein erster Schritt ist das im Medizinstudium mittlerweile verbreitete Kommunikationstraining, zum Beispiel wie man Patienten eine schlechte Nachricht überbringt. Doch müssten auch berufsbegleitend und auch in der somatischen Medizin – wie in der Psychiatrie schon realisiert – Fortbildungen angeboten werden, die zu Einfühlungsvermögen und Selbstreflexion anleiten, fordern Apondo und ihre Kollegen.

Krebsdiagnose schreibt sich ins Selbstverständnis ein

Zusätzlich möchten die Autoren einen Diskurs zwischen kranken und gesunden Ärzten anregen. Themen wären überholte Sichtweisen auf die ärztliche Rolle, der Umgang mit eigener Krankheit oder Gesundheit, die Gratwanderung zwischen Professionalität und Zuwendung. Damit verbunden sind einfache Fragen: Was würde ich mir als Patient von meinen Ärzten wünschen, welchen Umgang möchte ich?

Ärzte mit einer Krebsdiagnose vereint mit ihren Patienten ein ähnliches Schicksal, das sie nicht unbedingt offenlegen müssen, aber auch nicht zu verheimlichen brauchen. Mit ihren Berufskollegen, so berichten Apondo und ihre Kollegen, hätten sie offen über ihre Krankheit gesprochen, selten oberflächliches Mitleid erhalten, dafür umso mehr konstruktive Gespräche.

„In der modernen Medizin ist ein breiter Austausch über klinische und wissenschaftliche Erkenntnisse etabliert, aber über existenzielle Aspekte des Arzt- und Menschseins wird (fast) konsequent geschwiegen“, so die Autoren. „Daher regen wir an, Krebspatienten mit besonderer Achtsamkeit, Würde und Respekt zu begegnen und die hohe fachliche und vor allem emotionale Verantwortung anzunehmen“, so der Appell der Autoren.

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf  Univadis.de .
 

Kommentar

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