Krebsrisiko nach bariatrischen OPs; Strategien zur schnelleren Behandlung von Kindern; Vorteile der Telemedizin

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

17. Januar 2023

Im Onko-Blog dieser Woche geht es unter anderem um den Effekt einer bariatrischen Operation auf das Risiko für ein Speiseröhren- und Magenkarzinom. Retrospektive Daten aus China zeigen eine hohe Ansprechrate von dMMR-Kolorektalkarzinomen auf eine neoadjuvante Immuntherapie, was möglicherweise eine Operation überflüssig macht. Und eine Autorengruppe der Mayo-Klinik in Rochester schlägt vor, bei klinischen Studien an Patienten mit multiplem Myelom nicht mehr die Zahl der Therapielinien als Einschlusskriterium einzusetzen, sondern die Zahl der Medikamente(nklassen), auf die die Patienten nicht (mehr) ansprechen.  

  • Speiseröhren- und Magenkarzinom: Risiko nach Magenverkleinerung

  • Kolorektalkarzinom: Hohe Ansprechrate auf neoadjuvante Immuntherapie bei dMMR 

  • Aktinische Keratose und Plattenepithelkarzinom der Haut: S3-Leitlinie aktualisiert

  • Multiples Myelom: Refraktärität gegenüber Medikamenten(klassen) als neues Einschluss-Kriterium für klinische Studien?

  • Krebs bei Kindern: Arzneimitteltests an Minitumoren zur Suche nach der optimalen Therapie

  • Telemedizin: Kosteneinsparungen bei der Betreuung von Krebspatienten

Speiseröhren- und Magenkarzinom: Risiko nach Magenverkleinerung

Eine Magenverkleinerung (bariatrische Operation) ist nicht mit einem erhöhten Risiko für ein Speiseröhren- oder Magenkarzinom assoziiert. Eine große retrospektive Studie in Frankreich zeigte sogar, dass der Eingriff mit einer signifikanten Verringerung der Karzinominzidenz assoziiert war, wie die Autoren in  JAMA Surgery berichten.

Immer mehr Studien belegen, dass die Senkung eines erhöhten Körpergewichts mit einem verringerten Risiko für Krebserkrankungen einhergeht. Die Magenverkleinerung gilt derzeit als eines der effektivsten Verfahren zur Gewichtsreduktion. Andererseits bestanden Bedenken, dass es aufgrund des Eingriffs zur vermehrtem gastroösophagealem Reflux (GERD) kommt, der die Entstehung gastrointestinaler Krebserkrankungen begünstigen kann.

Die französische Arbeitsgruppe analysierte nun retrospektiv die Daten von übergewichtigen Patienten mit bariatrischer Operation (n=303.709) im Vergleich zu je 2 Patienten ohne Magenverkleinerung (n=605.140). Sie wurden im Durchschnitt etwa 6 Jahre nachbeobachtet.

Die Inzidenzrate in der Kontrollgruppe betrug 6,9 pro 100.000 Personen pro Jahr und in der operierten Gruppe 4,9 pro 100.000 Personen pro Jahr, was einem Inzidenzratenverhältnis von 1,42 entspricht (p=0,005). Die Hazard-Ratio für Krebs war für die Operationsgruppe signifikant günstiger mit 0,76 (p=0,03). Auch die Gesamtsterblichkeit war in der Operationsgruppe signifikant niedriger als in der Kontrollgruppe (HR 0,60, p<0,001). 

Im begleitenden Editorial heißt es, dass die Ergebnisse erneut die protektiven Effekte einer bariatrischen Operation mit Gewichtsabnahme bestätigen. 

Kolorektalkarzinom: Hohe Ansprechrate auf neoadjuvante Immuntherapie bei dMMR 

Eine neoadjuvante Immuntherapie mit PD-1-Inhibitoren führte bei 85% der Patienten mit lokalisiertem und lokal fortgeschrittenem Kolorektalkarzinom mit Mismatch-Reparatur-Defizienz (dMMR)bzw. mit hoher Mikrosatelliteninstabilität (MSI-H) zu einem objektiven Ansprechen, wie eine retrospektive Studie aus China zeigte, die im  Journal of the National Comprehensive Cancer Network  erschienen ist. Um die Überlebensvorteile zu validieren, sei zwar noch eine längere Nachbeobachtung erforderlich. Dennoch könnte die neoadjuvante Immuntherapie ein neuer Standard für lokal fortgeschrittene dMMR/MSI-H Kolorektalkarzinom sein, so die Aussage der Autoren.

In die Studie wurden 73 Patienten eingeschlossen, die eine neoadjuvante Immuntherapie erhalten hatten. 63 Patienten (84,9%) zeigten bei der radiologischen Beurteilung ein objektives Ansprechen, davon sprachen 17 (23,3%) komplett an. Im Median dauerte es 9,6 Wochen bis zum Ansprechen. 

Die Ansprechraten waren bei den Krankheitsstadien T2 bis T4a/4b ähnlich. 

Die Behandlung führte bei einem Großteil der Patienten zu einer pathologischen vollständigen Remission (pCR).

Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 17,2 Monaten waren das mediane rezidivfreie Überleben und das Gesamtüberleben (OS) bei Patienten, die auf eine Operation verzichtet hatten, noch nicht erreicht. Patienten, die operiert worden waren, hatten ein medianes krankheitsfreies Überleben von 2 Jahren und ein OS von 100% erreicht.

Aktinische Keratose und Plattenepithelkarzinom der Haut: S3-Leitlinie aktualisiert

Im Rahmen des Leitlinienprogramms Onkologie wurde die S3-Leitlinie „Aktinische Keratose und Plattenepithelkarzinom der Haut“ aktualisiert. Ergänzt wurden unter anderem ein Kapitel zu Morbus Bowen und Empfehlungen zur Therapie der Cheilitis actinica. Außerdem wurden die Empfehlungen zur Behandlung des Plattenepithelkarzinoms (PEK) mit System- sowie chirurgischer Therapie aktualisiert.

Die S3-Leitlinie entstand unter Federführung der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Onkologie (ADO), der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) sowie unter Mitwirkung von 24 Fachgesellschaften und 13 Experten.

Morbus Bowen stellt eine Vorstufe des PEKs dar, die deutlich seltener auftritt als die aktinische Keratose. In der Leitlinie sind nun erstmals Empfehlungen zur Behandlung aufgeführt und nach Wirksamkeit und Nebenwirkungsprofil eingeordnet.

Die Cheilitis actinica ist eine Variante der aktinischen Keratose im Bereich des Lippenrots. Rund 10 bis 30% dieser Veränderungen können sich zu PEKs entwickeln. Für die Behandlung stehen theoretisch dieselben Therapiemöglichkeiten wie bei aktinischer Keratose zur Verfügung. Allerdings sollte die gesamte Lippenregion behandelt werden. Daher sind nur bestimmte Methoden einsetzbar, die in der aktualisierten Leitlinie ausführlich beschrieben sind.

Plattenepithelkarzinome werden meist chirurgisch behandelt. Für die genaue Gestaltung dieser Behandlung und der nachfolgenden Untersuchungen gab es jedoch bislang kein einheitliches Vorgehen. Die aktualisierte Leitlinie enthält nun einen Behandlungsalgorithmus, der je nach Einstufung des PEKs durch Berücksichtigung spezieller Risikofaktoren unterschiedliche Vorgehensweisen empfiehlt. Auch die Empfehlung zur Systemtherapie des PEKs wurde aktualisiert.

Multiples Myelom: Refraktärität gegenüber Medikamenten(klassen) als neues Einschluss-Kriterium für klinische Studien?

Eine Autorengruppe der Mayo-Klinik in Rochester schlägt vor, bei Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem multiplem Myelom (r/rMM) die Refraktärität, also das Nichtansprechen auf Medikamente bzw. auf Arzneimittelklassen, als Kriterium für einen Studieneinschluss einzusetzen. Sie könnte das bisherige Kriterium, die Zahl der eingesetzten Therapielinien (LOT – lines of therapy) ersetzen, teilen sie im  Blood Cancer Journal mit. 

Die Zahl der LOT sagt nichts über die eingesetzten Medikamente aus, die sehr stark variieren können. Die Arbeitsgruppe stellte daher die Hypothese auf, dass die Anzahl der Medikamente bzw. Medikamentenklassen, auf die ein Patient refraktär ist, möglicherweise aussagekräftiger und zuverlässiger für die Entscheidung über die weitere Behandlung sein könnte. 

Retrospektiv analysierte sie die Daten von 1.141 r/rMM-Patienten. Wurden diese anhand ihrer Refraktärität auf Medikamente(nklassen) stratifiziert, ergaben sich 4 klar erkennbare Gruppen, nämlich refraktär auf 0, 1, 2 oder ≥ 3 Medikamente(nklassen). Dies erlaubt eine bessere Trennung der Überlebenskurven im Vergleich zur Verwendung von LOTs, wo die Patienten oft nach 1-3 oder mehr als 3 Vortherapien eingeteilt werden. Mit der neuen Klassifikation nach Refraktärität kann die bisherige Gruppe mit 1-3 Vortherapien ebenfalls in 4 Gruppen eingeteilt werden, was eine bessere Auswahl für klinische Studien ermöglichen kann. 

Diese neue Klassifikation berücksichtigt jedoch einen Resistenzverlust oder die unterschiedliche Resistenz bei einer Kombinationsbehandlung nicht. Alternativ könnte nach Aussage der Autoren auch ein zusammengesetzter Score überlegt werden, der sowohl die Anzahl der Therapielinien aus auch die Refraktärität erfasst. 

Krebs bei Kindern: Arzneimitteltests an Minitumoren zur Suche nach der optimalen Therapie

Ein Forscherteam des Hopp-Kindertumorzentrums Heidelberg (KiTZ), des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) hat ein neues Verfahren zur Prüfung von Medikamenten im Labor etabliert, das auf der Analyse von Mini-Tumoren basiert. Damit sollen die wirksamsten Therapeutika für Kinder mit Krebs so rasch wie möglich identifiziert werden können. Bei 72% der untersuchten Minitumoren fand die Arbeitsgruppe Medikamente, auf die die Krebszellen ansprachen, wie sie in  npj presicion oncology  berichtet. 

Aus Krebs-Gewebeproben von 132 Patienten kultivierte die Arbeitsgruppe Minitumoren und unterzog sie den speziell für das INFORM-Programm entwickelten Arzneimitteltests. Darüber hat  Medscape berichtet. Bis zu 78 bereits zugelassene oder in klinischer Entwicklung befindliche Medikamente wurden an den jeweiligen Proben parallel untersucht. 

Die Ergebnisse der Tests bestätigten zum einen die durch Genomanalyse identifizierten molekularen Angriffsziele: In Tumorproben mit bekannten krebstreibenden genetischen Veränderungen wie BRAF, ALK, MET und NTRK töteten gegen diese Ziele gerichtete Therapeutika auch die Minitumoren am wirksamsten ab. 

Darüber hinaus wurden für 80% Prozent der Proben, bei denen im Tumorgenom keine therapeutisch relevante molekulare Schwachstelle gefunden wurde, wirksame Medikamente entdeckt. 

Medikamente an Minitumoren zu prüfen, statt wie bislang an einfachen Zellkulturen oder Mäusen, auf die Tumoren der Patienten übertragen wurden, sei ein großer Fortschritt, heißt es in einer Pressemitteilung: Um die Tumoren in Miniorganen mit mehreren Gewebeschichten oder in Mäusen wachsen zu lassen, seien normalerweise mehrere Monate notwendig. Das neue Verfahren verkürzt die Zeit vom Probeneingang bis zum Ergebnis für die Patienten auf 3 Wochen. Es ließe sich zudem für unterschiedliche Krebserkrankungen, darunter Knochen- und Weichteiltumoren sowie Hirntumoren und andere Tumorarten anwenden und funktioniere auch bei kleineren Gewebeproben, in manchen Fällen sogar bei Feinnadelbiopsien, so die Forscher.

Ein wichtiges künftiges Ziel von INFORM wird es sein, Ergebnisse aus dem Labor mit dem klinischen Verlauf der Patienten zu vergleichen, um die Zuverlässigkeit der Vorhersagen zu untersuchen.

Telemedizin: Kosteneinsparungen bei der Betreuung von Krebspatienten

Eine Betreuung von Krebspatienten im Alter bis zu 65 Jahren mit Telemedizin spart den Betroffenen Zeit, Reiseaufwand und Geld. Dies zeigte die wirtschaftliche Bewertung von telemedizinischen Beratungen im Moffitt Cancer Center in Florida, deren Ergebnisse in  JAMA Network Open  erschienen sind.

Die Corona-Pandemie hat die Etablierung der telemedizinischen Beratung erleichtert. In der Auswertung wurden die telemedizinischen Kontakte zwischen April 2020 und Juni 2021 berücksichtigt. Geschätzt wurden die Kosteneinsparungen bei Reisekosten – definiert als eingesparte Hin- und Rückfahrt zur Klinik – sowie des potenziellen Produktivitätsverlusts aufgrund des Arztbesuchs.

Für die Analyse wurden 25.496 telemedizinische Beratungen berücksichtigt. Hierdurch konnten knapp 3,8 Millionen Meilen für Hin- und Rückfahrt vermieden werden, was etwa 152 Erdumrundungen entspricht. Die eingesparte Reisezeit von ca. 75.000 Stunden summiert sich auf 8,6 Kalenderjahre. Im Durchschnitt wurden pro Televisite je nach Besuchstyp und verwendetem Modell zwischen 79,71 und 146,00 US-Dollar an Fahrkosten und zwischen 141,10 und 222,80 US-Dollar an Gesamtkosten eingespart.

Die Autoren weisen jedoch auch auf das Problem der digitalen Spaltung hin, sprich dem ungleichen Zugang verschiedener Personengruppen zu moderner Kommunikationstechnik. Außerdem erfordert der Aufbau einer funktionierenden Telemedizin erhebliche Investitionen in eine entsprechende Infrastruktur.

In der Studie wurden die Kosten der elektronischen Geräte und des Internetszugangs nicht berücksichtigt. Außerdem sind nach Aussage der Autoren Untersuchungen dazu erforderlich, ob die Outcomes einer telemedizinischen Betreuung über längere Zeit mit denen einer persönlichen Betreuung vergleichbar sind. 

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Kommentar

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