In einer US-Studie haben sich 2 konservative Ansätze zur Behandlung akuter und subakuter Rückenschmerzen als wirksam erwiesen: Die Ergebnisse der randomisierten kontrollierten SPINE-CARE-Studie zeigen, dass eine 6- bis 8-wöchige individualisierte posturale Therapie oder eine multidisziplinäre biopsychosoziale Intervention, die auch eine physikalische Therapie umfasst, nach 3 Monaten die schmerzbedingten Beeinträchtigungen leicht, aber statistisch signifikant verringern können – im Vergleich zur Standardbehandlung.

Dr. Niteesh K. Choudhry
Zudem bestand bei den Kosten für die multidisziplinäre biopsychosoziale Intervention im Vergleich zur Standardtherapie kein signifikanter Unterschied. Die individualisierte posturale Therapie war hingegen insgesamt signifikant teurer. Die Ergebnisse der Untersuchung sind in JAMA publiziert worden [1].
„Wir haben herausgefunden, dass beide Interventionen nach 3 Monaten die Beeinträchtigungen infolge der Schmerzen im Vergleich zur üblichen Versorgung verringerten. Diese Veränderungen hatten nach 12 Monaten, d.h. auch lange nach Ende der Interventionen, noch Bestand und waren von klinischer Relevanz“, erklärte der Hauptautor der Studie Dr. Niteesh K. Choudhry vom Brigham and Women's Hospital der Harvard Medical School in Boston gegenüber Medscape.
Häufige Beschwerden
Rückenschmerzen sind als Schmerzen im Nacken oder Rücken definiert, so die Forschenden. Sie „verursachten in den USA im Jahr 2016 insgesamt höhere Gesundheitskosten als jede andere Erkrankung“, fügen sie hinzu. In Deutschland lag die Gruppe der „Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems“ im Jahr 2010 bei Frauen an 2. und bei Männern an 3. Stelle. „Rückenschmerzen sind ein sehr häufiger Grund dafür, dass Menschen ihre Hausärztin aufsuchen“, so Choudhry.
Die SPINE-CARE-Studie erfasste 2.971 Erwachsene (60% Frauen; Durchschnittsalter 51 Jahre), die seit weniger als 12 Wochen unter Rücken- oder Nackenschmerzen litten. Alle Teilnehmenden wurden zufällig der Standardversorgung (keine Intervention, n = 992), der multidisziplinären biopsychosozialen Intervention (n = 829) oder einer individualisierten posturalen Therapie zugeführt (n = 1.150).
Das biopsychosoziale Interventionsmodell „identify, coordinate and enhance“ (ICE: „identifizieren, koordinieren und verbessern“) teilt die Patienten auf Grundlage des Progressionsrisikos in Personen mit akuten und mit chronischen Schmerzen und geht auf die biopsychosozialen Faktoren ein, die zu den Schmerzen beitragen. Personen mit geringem Risiko wurden einem Physiotherapie-Termin und einem Coaching-Gespräch zugeführt, während Personen mit höherem Risiko 3 Physiotherapie-Termine, 3 Coaching-Gespräche und eine E-Konsultation erhielten.
Die individualisierte posturale Therapie (IPT) bestand aus 8 wöchentlichen Sitzungen, die sich auf die Neuausrichtung der Körperhaltung konzentrierten. Die IPT betont auch die Selbstwirksamkeit und das Selbstmanagement, einschließlich täglicher Übungen zur Verbesserung der Haltungskontrolle, der Koordination und des muskulären Gleichgewichts.
Die Ergebnisse nach 3 Monaten zeigten, dass sich die Werte des Oswestry Disability Index (ODI) sowohl in der ICE- als auch in der IPT-Gruppe deutlich stärker verbesserten als in der Gruppe der Standardtherapie (Tab. 1).
Tab. 1: Verbesserungen durch biopsychosoziales Interventionsmodell ICE und individualisierte posturale Therapie (IPT)
Intervention |
Mittlere ODI-Veränderung nach 3 Monaten |
ICE |
von 31,2 auf 15,4 |
IPT |
von 29,3 auf 15,4 |
Standardtherapie |
von 28,9 auf 19,5 |
Nach 3 Monaten betrug der absolute Unterschied im ODI-Score im Vergleich zur üblichen Versorgung -5,8 für ICE (95%-Konfidenzintervall [KI] -7,7 bis -3,9; p < 0,001) und -4,3 für IPT (95%-KI: -5,9 bis -2,6; p < 0,001).
Unter beiden Interventionen nahm die Beanspruchung von Ressourcen, wie z.B. diagnostische Bildgebung, andere Diagnoseverfahren und Besuche bei Fachärzten, ab, so Choudhry. „Aus diesem Grund gingen auch in beiden Fällen die Kosten, die nicht mit den Interventionen selbst zusammenhingen, zurück“, fügte er hinzu.
Bei Einbeziehung der Interventionskosten kam die ICE insgesamt um 139 US-Dollar günstiger weg als die Standardtherapie, während die Gesamtkosten bei der IPT um 941 US-Dollar höher lagen.
„Wir haben die Interventionen so getestet, wie es den Gegebenheiten in der Primärversorgung entspricht, sodass die Übertragung in andere Praxisumgebungen nicht schwerfallen dürfte“, sagte Choudhry. Er wies darauf hin, dass das ICE-Modell derzeit nicht als komplettes Programm existiert, wohl aber seine Komponenten, wie etwa die Physiotherapie oder die E-Konsultationen durch Fachpersonen. „Und wir sehen in unseren Ergebnissen die Bestätigung dafür, weiter nach Möglichkeiten für eine breitere Ausrichtung zu forschen“, so Choudhry.
Die IPT sei mit der haltungstherapeutischen Egoscue-Methode getestet worden, „deren Institute in einer Reihe von Städten in den USA und international vertreten sind und daher auch problemlos in die Routinepraxis integrierbar sein sollte“. In Deutschland ist die Methode, die in den 1970er-Jahren von Pete Egoscue entwickelt wurde, bisher relativ unbekannt, im Gegensatz zu Mexiko und Japan.
In Zukunft müssten jedoch, so Choudhry, zudem weitere wichtige Faktoren, wie die Einbeziehung der Kostenträger untersucht werden.
Bestätigende Evidenzen?
In einem begleitenden Editorial verwiesen Dr. Erin E. Krebs vom Minneapolis VA Health Care System und Dr. Elizabeth S. Goldsmith von der University of Minnesota Medical School auf frühere systematische Reviews hin [2]. Nach diesen seien Bewegungstherapien bei chronischen Rücken- und Nackenschmerzen, definiert als über 12 Wochen andauernde Beschwerden, „im Allgemeinen wirksam“, nicht jedoch bei akuten Schmerzen, die höchstens 4 bis 6 Wochen bestünden.
„Die vorliegende Untersuchung liefert Belege für die Wirksamkeit von Bewegungstherapien bei Personen mit einer aktuellen Episode von unter 12 Wochen, also nach den gebräuchlichen Definitionen noch nicht chronisch, aber auch nicht mehr unbedingt akut“, schreiben die Autorinnen. „Ärzte sollten häufiger strukturierte Übungsprogramme für subakute Rücken- oder Nackenschmerzen empfehlen, insbesondere wenn die Schmerzen rezidivieren“, fügen sie hinzu.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Credits:
Photographer: © Starast
Lead Image: Dreamstime
Medscape Nachrichten © 2023 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Rückenschmerzen – 2 kurze, konservative Therapien, die wirklich wirken – und was Ärzte ihren Patienten empfehlen sollten - Medscape - 12. Jan 2023.
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