Krebstherapie nur eingeschränkt möglich: Vor allem Standardmedikamente sind von Lieferengpässen betroffen – Forderungen der DGHO

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

10. Januar 2023

Im Jahr 2022 ist die Zahl der Arzneimittelengpässe erneut deutlich gestiegen und betrifft zunehmend Krebspatienten. Mit Folgen für die Prognose und Folgen für das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient – wie Experten auf der Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) deutlich machten [1].

„Die medikamentöse Krebstherapie hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Bei einigen Erkrankungen kann der Krankheitsverlauf so gut beherrscht werden, dass die Patienten eine normale Lebenserwartung haben. Das schafft eine hohe Abhängigkeit von der stabilen Versorgung mit diesen Medikamenten“, erklärte Prof. Dr. Hermann Einsele, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO.

 
Wir haben keine Versorgungsengpässe bei den innovativen Medikamenten – wir haben ein Versorgungsproblem bei den Standardmedikamenten. Prof. Dr. Matthias Beckmann
 

Knapp oder nicht verfügbar sind vor allem Medikamente, die schon seit vielen Jahren eingesetzt werden und längst als Generika auf dem Markt verfügbar sind. Sie machen die Hälfte der aktuell über 200 in Deutschland zugelassenen Krebsmedikamente aus, berichtete Prof. Dr. Matthias Beckmann. „Wir haben keine Versorgungsengpässe bei den innovativen Medikamenten – wir haben ein Versorgungsproblem bei den Standardmedikamenten“, betonte Beckmann, Leitlinienbeauftragter der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). Gerade die „alten“ Krebsmedikamente seien gefährdet.

 
Bei bestimmten Indikationen können wir nicht auf äquieffektive Medikamente zurückgreifen. Prof. Dr. Thomas Seufferlein
 

Zu den fehlenden Standardmedikamenten gehörten Tamoxifen und nab-Paclitaxel, die u.a. bei Brustkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs, Lungenkrebs und Karzinomen im Magen-Darmbereich als Standard eingesetzt werden. Wie Prof. Dr. Thomas Seufferlein berichtete, fehlten darüber hinaus aber auch unterstützende Arzneimittel wie Calciumfolinat, Harnsäuresenker, Antibiotika und Immunglobuline. Exemplarisch wies Seufferlein, Mitglied im Präsidium der Deutschen Krebsgesellschaft, auf 3 Arzneimittelengpässe in 2022 hin:

  • Seit Frühjahr 2022 sind Calciumfolinat-haltige Arzneimittel nur eingeschränkt verfügbar. Eingesetzt werden sie, um die Giftigkeit und Wirkung von Folsäure-Antagonisten wie Methotrexat in der der Krebstherapie zu verringern. In Kombination mit 5-Fluorouracil (5-FU) ist Calciumfolinat Teil zahlreicher Krebstherapieprotokolle.

  • 5-FU selbst ist wiederum seit August 2022 nur eingeschränkt verfügbar und wird kontingentiert. Der Antimetabolit wird als Einzeltherapie oder in Kombination verwendet.

  • Ende Oktober 2022 berichte Bristol-Myers Squibb über eine eingeschränkte Lieferbarkeit von Abraxane® (Paclitaxel-Humanserumalbumin-gebundene Nanopartikel). Indikationen sind das metastasierte Lungenkarzinom, das metastasierte Mammakarzinom und das metastasierte Pankreaskarzinom. Laut Hersteller wird die eingeschränkte Lieferbarkeit von Abraxane® bis Ende Januar anhalten.

Beckmann erinnerte daran, dass Arzneimittelengpässe das Vertrauensverhältnis mit Patienten nachhaltig störten, zumal Therapiealternativen eben nicht immer gleichwertige Alternativen seien. „Bei bestimmten Indikationen können wir nicht auf äquieffektive Medikamente zurückgreifen. Patienten, auf die das zutrifft, sind in einem besonders hohen Maße bei Engpässen betroffen“, erklärte Seufferlein. Jedes Fehlen von Arzneimitteln werde von den Patienten als bedrohlich erlebt.

 
Hier sind Regelungen für eine stabile Versorgungskette, aber auch für Preise erforderlich, die alle Kosten von der Herstellung bis zur Vorratshaltung abdecken. Prof. Dr. Matthias Beckmann
 

Eine Folge der Nicht-Verfügbarkeit von Standardmedikamenten ist auch, dass Kombinationstherapien mit neuen Substanzen nicht durchgeführt werden können, was die Überlebenschancen von Patienten verringert, erklärte Beckmann. „Engpässe wie bei Tamoxifen dürfen sich nicht wiederholen. Hier sind Regelungen für eine stabile Versorgungskette, aber auch für Preise erforderlich, die alle Kosten von der Herstellung bis zur Vorratshaltung abdecken“, betonte er.

Ursachen der Engpässe sind vielfältig

Die Ursachen für die Arzneimittelengpässe, so Seufferlein, sind vielfältig. Dominierend sind Probleme bei der Herstellung (fallende Preise, keine Investitionen in neue Produktionsstätten, Verlagerung ins Ausland) und in den Lieferketten. Wie verletzlich diese komplexen Verflechtungen sind, wurde besonders in der COVID-19-Pandemie und durch den Krieg in der Ukraine deutlich. Neu war das Phänomen regionaler Engpässe bei Krebsmedikamenten durch sogenannte Hamsterkäufe auch innerhalb von Deutschland.

In den vergangenen Jahren wurden einige Maßnahmen ergriffen, um Lieferengpässe von Arzneimitteln auch in der Onkologie zu vermeiden oder zu lindern, u.a. im Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV). Dazu gehören:

  • ein verpflichtendes Register für Lieferengpässe,

  • Regelungen, die den Import aus dem Ausland erleichtern, und

das verbesserte, behördliche Risikomanagement durch den Beirat beim BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte).

Das fordern DKG, DGHO und DGGG

Doch wie die gegenwärtigen Engpässe zeigen, reichen die bisherigen Maßnahmen nicht aus. „Die hohe Qualität der Versorgung von Krebspatienten in Deutschland darf nicht durch vermeidbare Arzneimittelengpässe gefährdet werden. Hier sind weitere regulatorische Maßnahmen, aber auch eine Solidarität von allen am Prozess Beteiligten erforderlich“, betonte Prof. Dr. Andreas Hochhaus, Vorsitzender der DGHO.

 
Die hohe Qualität der Versorgung von Krebspatienten in Deutschland darf nicht durch vermeidbare Arzneimittelengpässe gefährdet werden. Prof. Dr. Andreas Hochhaus
 

Prof. Dr. Bernhard Wörmann, Medizinischer Leiter der DGHO, verwies auf das Positionspapier „Arzneimittelengpässe in der Behandlung von Krebspatienten 2022“ von DGHO, DKG (Deutsche Krebsgesellschaft) und DGGG (Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe). Er hob die konkreten Forderungen hervor, die aus Sicht der Fachgesellschaften notwendig sind, um die bestehenden Defizite zu beheben:

  • frühzeitige Information über drohende Lieferengpässe durch die pharmazeutischen Unternehmen, nicht erst bei bereits bestehenden Lieferproblemen;

  • Anpassung der Verträge zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Unternehmen mit Berücksichtigung von Vorratshaltung und verpflichtenden Liefervereinbarungen;

  • Solidarität der Einkaufsgemeinschaften;

  • Sicherung der Versorgung von Arzneimitteln für seltene Krebserkrankungen, auch unter Berücksichtigung der zunehmend personalisierten, zielgerichteten Therapien;

Aufbau von Produktionsstätten und langfristige Sicherung der Lieferketten in Europa.

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