Wie erwartet hat die Food and Drug Administration (FDA) den Anti-Amyloid-Antikörper Lecanemab zur Therapie der Alzheimer-Erkrankung im Frühstadium zugelassen [1]. Erteilt wurde die Zulassung im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens, obwohl es Zweifel an der Sicherheit gibt.
Handelsname des Medikamentes von Eisai und Biogen ist Leqembi®. Der Preis soll pro Jahr 26.500 US-Dollar betragen. Hinzu kämen nich die Kosten für regelmäßige Infusionen und notwendige Untersuchungen. Eisai hat inzwischen auch die Unterlagen für die herkömmliche FDA-Zulassung eingereicht.
Die beschleunigte Zulassung von Lecanemab haben beide pharmazeutischen Unternehmen auf der Grundlage von Phase-2-Daten beantragt. Dadurch konnte die Amyloid-Plaque-Belastung im Gehirn von 856 Patienten verringert werden. Offen ist, ob dies kognitive Fähigkeiten der Patienten verbesserte. Auf diesem Weg wurde auch Aducanumab zugelassen, ein ähnlicher Antikörper von Biogen und Eisai.
Phase-3-Daten: Ist der statistisch signifikante Effekt auch klinisch relevant?
Inzwischen liegen Ergebnisse der Phase-3-Studie Clarity AD vor. Die Daten sind Grundlage des aktuellen Antrags auf vollständige bzw. herkömmliche Zulassung.
In die kontrollierte 18-monatige Studie wurden Personen mit früher Alzheimer-Krankheit mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder leichter Demenz aufgrund der Alzheimer-Krankheit aufgenommen. Primärer Endpunkt war die Veränderung der Punktzahl auf der CDR-SB-Skala (Clinical Dementia Rating-Sum of Boxes). Sie umfasst 0 bis 18 Punkte, wobei höhere Punktzahlen eine stärkere Beeinträchtigung anzeigen. Unterschiede wurden gegenüber dem Ausgangswert nach 18 Monaten dargestellt.
Der mittlere CDR-SB-Wert bei Studienbeginn lag in beiden Gruppen bei 3,2. Die Veränderung gegenüber dem Ausgangswert nach 18 Monaten betrug 1,21 unter Lecanemab und 1,66 unter Placebo (Differenz: -0,45). Der signifikante Effekt von rund 27% auf die Kognition wird jedoch als eher mäßig beurteilt.
Außerdem hat der Anti-Amyloid-Antikörper potenziell schwerwiegende Nebenwirkungen, darunter Hirnschwellungen und zerebrale Blutungen (ARIA: Amyloid Related Imaging Abnormalities). Mindestens 3 Personen der Phase-3-Studie starben nach Hirnblutungen oder Hirnschwellungen. Ob diese Todesfälle in einem kausalen Zusammenhang mit Lecanemab stehen, ist unklar.
Um den Sicherheitsbedenken Rechnung zu tragen, warnen die Hersteller auf dem Beipackzettel des Medikaments vor ARIA. Zudem empfehlen sie, dass jeder Patient, der Lecanemab erhält, in den ersten 6 Monaten der Behandlung 3 MRT-Untersuchungen erhalten sollte. In der Packungsbeilage ist außerdem von „zusätzlicher Vorsicht“ bei der Verordnung von Blutverdünnern an Lecanemab-Patienten die Rede, da sie das Risiko von Hirnblutungen erhöhen könnten.
Kontroverse unter Neurologen
Eine viel diskutierte Frage lautet auch, ob die Therapie mit dem Antikörper kosteneffektiv ist. Laut einem vorläufigen Bericht des Institute for Clinical and Economic Review, einer unabhängigen, gemeinnützigen Organisation, die den Wert von Arzneimitteln evaluiert, sollte der Preis zwischen 8.500 und 20.600 Dollar pro Jahr liegen, um für US-Patienten kosteneffektiv zu sein.
Lecanemab sei „ein Gewinn für uns alle“, so Dr. Maria Carrillo, Chief Science Officer der Alzheimer's Association in den USA.
Diese neue Therapie sei nicht perfekt, aber ein Schritt in die richtige Richtung, wird auch die an der Phase-3-Studie beteiligte Neurologin Prof. Dr. Joy Snider von der Washington University School of Medicine in St. Louis in Science zitiert. Auch für sie ist Lecanemab „nur der Anfang“; die Expertin hofft auf weitere und bessere Therapien. Dazu können Substanzen mit anderen Wirkmechanismen und anderen Zielstrukturen gehören, etwa Wirkstoffe gegen abnormes Tau, gegen Glia-Zellen oder gegen immunologische Prozesse.
Um den Nutzen der Behandlung zu maximieren, „werden wahrscheinlich auch andere Ziele als Beta-Amyloid benötigt“, schreiben die New Yorker Alzheimer-Forscher Prof. Dr. Samuel E. Gandy und Dr. Michelle E. Ehrlich in einem Editorial zur Lecanemab-Studie Clarity AD.
Zu den Gegnern von Lecanemab gehört laut Science der Neurologe Prof. Dr. Alberto Espay von der Universität von Cincinnati. Er sei der Ansicht, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis negativ sei. „Ich denke, dass dieses Medikament nicht zugelassen werden sollte“, so Espay in einem Interview. Aber die Beamten der Behörde seien Opfer einer künstlich niedrig angesetzten Messlatte, die sie 2021 mit der Zulassung von Aducanumab etabliert hätten.
Skeptisch zeigt sich auch Dr. Diana Zuckerman, Präsidentin des National Center for Health Research, einer gemeinnützigen Organisation in Washington, D.C. Sie sei sich nicht sicher, ob der Nutzen der Antikörper-Therapie das Risiko wert sei. Zuckerman: „Man hat es mit Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen zu tun, die noch funktionieren, und setzt sie einem Risiko aus.“
Der Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de.
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Diesen Artikel so zitieren: Wirklich „ein Gewinn für alle“? Umstrittene US-Zulassung von Lecanemab bei Alzheimer – geringer Nutzen, hohe Risiken - Medscape - 10. Jan 2023.
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