MEINUNG

Neuro-Talk: Sind die neuen Migräne-Mittel wirklich besser? Neutraler Überblick zur Wirksamkeit – im Auftrag der Kopfschmerzgesellschaft

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Interessenkonflikte

20. April 2023

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener stellt 8 Studien vor, die eine neutrale Bewertung der neuen Migräne-Medikamente zur Akuttherapie und Prophylaxe bieten – ohne Interessenkonflikte.

Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen.

In diesem Video geht es ausschließlich um die Akuttherapie und Prophylaxe der Migräne mit neuen Medikamenten.

Sie wissen, dass wir neue Substanzen für die Behandlung akuter Migräneattacken und eine Reihe neuer Substanzen für die Migräneprophylaxe haben. Allerdings sind fast alle Publikationen, die es zu diesen neuen Medikamenten gibt, von Pharmafirmen gesponsert.

Daher war es ein Anliegen der internationalen Kopfschmerzgesellschaft, den Kenntnisstand der Wissenschaft neutral zusammenzufassen. Dazu wurden 8 Publikationen in der Zeitschrift Cephalalgia in Auftrag gegeben, die von jungen Kopfschmerz-Neurologen verfasst wurden, die keine Interessenkonflikte haben. Sie sind jeweils mit der Hilfe eines Experten als Letztautor in der Zeitschrift Cephalalgia im März 2023 erschienen und frei zugänglich.

Wirksamkeit und Sicherheit im Vergleich

Es geht los mit Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit der neuen Migränemittel. Es gibt 2 Klassen, einmal die Ditane wie Lasmiditan. Die Substanz wirkt als Agonist am Serotonin-1F-Rezeptor und hat eine zentrale Wirkung. Zum anderen gibt es 2 Antagonisten am CGRP-Rezeptor, nämlich Rimegepant und Ubrogepant.

Für die Metaanalyse standen 7 Studien mit fast 13. 000 Patienten zur Verfügung [1]. Die neuen Substanzen waren wirksamer als Placebo. Die beste Wirksamkeit hatte Lasmiditan in einer Dosis von 200 mg. Rimegepant und Ubrogepant zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr wenige unerwünschte Arzneimittelwirkungen haben. Sie sind allerdings im indirekten Vergleich auch deutlich weniger wirksam als die Triptane.

Langzeit- und Beobachtungsstudien

Die 2. Publikation beschäftigt sich mit offenen Langzeitstudien und Beobachtungsstudien zu diesen neuen Substanzen in der Behandlung akuter Migräneattacken [2]. Hier gab es keine Überraschungen, insgesamt wenig Nebenwirkungen und wenig Therapieabbrüche wegen Nebenwirkungen.

Bei 2 Patienten in den Ubrogepant-Studien wurden erhöhte Leberwerte festgestellt, wobei unklar ist, ob es hier eine kausale Beziehung gibt.

Zu sehen ist auch, dass die Gepante in der Langzeittherapie offenbar nicht an Wirksamkeit verlieren.

Wirksamkeit bei Nichtansprechen auf Triptane

Die 3. Publikation beschäftigt sich mit dem Stellenwert der neuen Migränemittel bei Patienten, die auf Triptane nicht ansprechen [3]. Hier gibt es Post-hoc-Subgruppen-Analysen, die darauf hinweisen, dass diese Substanzen möglicherweise bei Triptan-Non-Respondern wirksam sind.

Es gibt aber leider keine direkten Studien bei vordefinierten Patienten, bei denen Triptane nicht wirksam sind. Wahrscheinlich sind die neuen Medikamente zur Behandlung akuter Migräneattacken auch bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen sicher. Aber auch hier sind noch weitere Studien notwendig.

Wirksamkeit von CGRP-Antikörpern

Die 4. Publikation beschäftigt sich mit der Wirksamkeit der 4 monoklonalen Antikörper gegen CGRP und der Gepante Rimegepant und Atogepant in der Migräneprophylaxe [4]. Hier wurden 19 Studien mit 14.500 Teilnehmern ausgewertet, 11 Studien bei episodischer Migräne, 4 Studien bei chronischer Migräne und 4 Studien bei episodischer und chronischer Migräne.

Die monoklonalen Antikörper und die Gepante sind eindeutig besser wirksam als Placebo. Das gilt sowohl für die Reduktion der Migränetage pro Monat wie für die 50% Responderrate.

In indirekten Vergleichen ist allerdings Rimegepant 75 mg jeden 2. Tag weniger wirksam als die monoklonalen Antikörper. Es hat aber den Vorteil, dass es nicht subkutan oder intravenös injiziert werden muss, sondern als Tablette zur Verfügung steht.

Verträglichkeit von MoAbs und Gepanten

Die 5. Publikation beschäftigt sich mit Sicherheit und Verträglichkeit der monoklonalen Antikörper gegen CGRP und der Gepante [5]. Wesentlicher Vorteil ist, dass diese neuen Substanzen deutlich weniger Nebenwirkungen haben als die bisherigen Migräneprophylaktika. In diesem Vergleich waren 120 mg Atogepant und 240 mg Galcanezumab die Substanzen, die die höchste Rate an unerwünschten Arzneimittelwirkungen hatten. Sonst gab es keine wesentlichen Unterschiede. Erenumab macht wahrscheinlich etwas mehr Verstopfung.

Migräneprophylaxe bei Non-Respondern

Die 6. Publikation beschäftigt sich mit dem Stellenwert dieser Migräne-Prophylaktika bei Patienten, die auf bisherige Therapien nicht ausreichend ansprachen [6]. Und hier gibt es dezidierte Studien für alle diese neuen Therapien, die zeigen, dass sie auch bei dieser Patientengruppe wirksam sind.

Wirksamkeit bei Dauerkopfschmerz

Die 7. Studie beschäftigt sich mit der Rolle der neuen Migräne-Prophylaktika bei Patienten mit chronischer Migräne und hier insbesondere bei Patienten mit einem Medikament-induzierten Dauerkopfschmerz. Die erfreuliche Nachricht ist, dass die monoklonalen Antikörper auch bei diesen Patienten wirksam sind und eingesetzt werden sollten.[7]

Offene Studien und Langzeitdaten

Die 8. Publikation beschäftigt sich mit den offenen Studien und den Langzeitdaten [8]. Es zeigt sich, dass die monoklonalen Antikörper auch über lange Zeit gut wirksam sind. 75% der Patienten führen nach einem Jahr diese Therapie noch durch. Das ist deutlich mehr als bei den traditionellen Migräne-Prophylaktika.

In einer weiteren Metaanalyse wurden die monoklonalen Antikörper mit Onabotulinumtoxin A und Topiramat bei Patienten mit chronischer Migräne und Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerz verglichen hat. Hier waren die monoklonalen Antikörper eindeutig wirksam wie auch unter Onabotulinumtoxin A. Für Topiramat ist einfach die Datenlage nicht besonders gut.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn sie Zeit haben und sich für Migräne interessieren, dann lesen Sie bitte diese neuen Publikationen, die alle kostenlos zur Verfügung stehen. In der Zeitschrift Cephalalgia .

Ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
 

Kommentar

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